Trojanische Hühner. Ado Graessmann
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Das Haus hatte drei Zimmer und eine Küche, der Boden bestand aus gestampften Lehm, den sie zunächst mit einigen Kuhfellen bedeckten, die Wände aus dicken Holzstämmen, zwischen den einzelnen Holzbalken befand sich Moos, das hielt im Winter etwas die Kälte und im Sommer die Wärme ab. Feuer konnte nur in der Küche und im Wohnzimmer gemacht werden. Einen Monat nach der Hochzeit war Nasrims Mutter mit nach oben zu ihnen gezogen, seitdem bewohnt sie das kleinste Zimmer im Haus. Sie war immer schwarz bekleidet, wodurch ihr blasses Gesicht noch mehr zum Vorschein kam. Sie kränkelte oft, beklagte sich über dieses und jenes, hatte immer Schmerzen, mal hier mal dort, schon seit vielen Jahren. Einmal war sie beim Doktor in der Stadt, Nasrim hatte sie dorthin gebracht, auf dem Hühnerlaster, der Fahrer hatte sie ohne Bezahlung mitgenommen, in den meisten Dörfern gab es keinen Arzt und wenn einer gerufen wurde, dann dauerte es fast immer einige Tage bis er kam, wenn überhaupt, meist erübrigte sich sein Besuch, die Patienten waren meist wieder gesund oder waren oft schon verstorben, bevor der Arzt eintraf. Die Verwandten nehmen es gelassen hin, es war eben ihr Schicksal, man wird geboren um wieder zu sterben, so will es eben Allah.
Der Doktor in der Stadt konnte ihr auch nicht richtig helfen, sie bekam von ihm einige Medikamente verschrieben, eingenommen hatte sie nie etwas davon. Mit der Zeit hörte kein Mensch mehr auf ihr Gejammer. Ihr Mann war schon vor vielen Jahren verstorben, woran weiß keiner mehr so genau, wahrscheinlich war sie die Gesündeste von allen und hatte das ewige Leben, sie mochte es eben wenn sie jammern konnte, so wusste jeder, dass sie noch am Leben war und verhinderte damit, dass die anderen sich krank fühlten und ebenfalls jammerten, ein Kranker in der Familie war schon mehr als genug, das war wahrscheinlich ihre Strategie. Sie kümmerte sich um das Essen und darüber konnte man sich nicht beklagen. Sie war aber eine Frau die Konflikte suchte und die Harmonie scheute, das Essen am Abend war ihr oft zu salzig und das gleiche am nächsten Abend wieder zu süß, obwohl sie es selbst gekocht hatte, für logische Argumente bestand bei ihr kein Zugang, alle Bemühungen um Harmonie und um Verständnis waren meist umsonst, sie konnte mit wenigen Worten alles zerstören, so war sie nun mal, wir mussten mit ihr leben, waren dazu verdammt.
Schon neun Monate nach der Hochzeit wurde sein erster Sohn geboren und noch weitere folgten in regelmäßigen Abständen, von Verhütung hatten beide ja noch immer nichts gehört und wenn Cave kam, verblieb er immer in ihr, so wurde sie immer wieder schwanger, sobald sie dafür empfänglich war. Alle Kinder wurden im Haus geboren, ohne ärztliche Unterstützung, Nasrims Mutter war durch die große Anzahl ihrer eigenen Geburten zur erfahrenen Hebamme geworden und nichts konnte sie erschrecken. In der Sippe war es so üblich, dass sich die Frauen gegenseitig Beistand bei der Geburt leisteten. Bei einigen von Caves Tanten verlief die Geburt komplizierter und einige der Kinder waren während oder kurz nach der Geburt verstorben. Daraus wurde wenig Aufstand gemacht und auch nicht weiter viel darüber geredet. Die Frauen wurden rasch wieder schwanger, dies verhalf das Geschehene schnell zu vergessen. Die Männer nahmen sowieso diese Ereignisse nicht so ernst, tranken ihren Tee und fühlten sich mehr als Unbeteiligte, nicht als Betroffene.
Nasrims Geburten hatten immer lange gedauert, die Wehen setzten schon frühzeitig ein und dauerten über Stunden, bei der ersten Geburt einen ganzen Tag. Cave war immer bis kurz vor der Geburt bei Nasrim geblieben, hatte ihre Stirn gekühlt und ihr gut zugesprochen, als die Geburt nahte wurde er von seiner Schwiegermutter aus dem Zimmer geworfen, er blieb vor der verschlossenen Tür stehen und bat Allah um seine Hilfe.
Im Haus schliefen seine Kinder gemeinsam in einem Raum, neben dem Zimmer von Nasrims Mutter, er und Nasrim hatten ihre Liegen im Wohnraum aufgestellt, die tagsüber als Sitzplätze Verwendung fanden, es war auch der einzige Raum im Haus der eine Feuerstelle hatte, mit Kamin und Abzug, nach oben, in der hinteren Ecke des Zimmers. Während des Sommers fällte Cave einige Bäume und bereitete daraus mit seinen Söhnen Brennholz für den Winter vor, die Holzscheite stapelten sie hinter dem Haus an der Wand in zwei Reihen auf, so kamen sie immer sicher über den Winter hinweg. Wenn die Nächte kälter wurden und der Frost durch das Haus zog, wurden alle Liegen in das Wohnzimmer geschoben, neben einander aufgestellt, um sich vor der Kälte zu schützen. Gegen Morgen, wenn das Feuer niedergebrannt war, zog die Kälte ein, oft war das Wasser in den Schüsseln zu Eis gefroren. Die Toilette war eine Grube, umgeben von drei Wänden mit einer Tür, ohne Verriegelung, darüber ein breiter Holzbalken, gleich hinter dem Haus, keiner hielt sich dort unnötig lange auf. Zweimal im Jahr wurde sie ausgepumpt, einmal im Frühjahr und noch einmal im Herbst, der Inhalt wurde als Dünger auf die Felder gekippt. Dann stank es für einige Tage, schon aus der Ferne war es zu riechen, aber niemand störte sich daran, so ist es eben mal auf dem Lande.
Wird man von der Notdurft auf dem Felde überfallen, dann geht man einfach in die Hocke, zieht die Unterhose herunter, bis zu den Knien und reinigt sich danach mit Gras.
An all dies erinnerte er sich im Morgennebel, etwa tausend Meter vom Haus entfernt, barfuß im feuchten Grase stehend, es war sein dreißigster Geburtstag und im Haus herrschte immer noch Totenstille als er oben an seinem Stammplatz ankam.
Als es heller wurde, hörte er ein leises Gackern, erst nur leise Töne, dann konnte er es genau hören, es kam wirklich von Hühnern, doch die Geräusche kamen nicht von unten, vom Hühnerstall, wie er es erwarten konnte, sondern von oben, aus dem Nebel, vom Berg herunter. Sie kamen immer näher, eines löste sich aus dem Nebel bis er die Umrisse von mehreren Tieren schattenhaft erkennen konnte, es waren tatsächlich Hühner, sie waren anders, seine Hühner waren alle braun, aber die, die vom Berg herunter kamen waren alle weiß, soweit er zählen konnte waren es etwa zwanzig Tiere. Doch wo kamen sie her, auch seine Brüder hatten nur braune Tiere, aus dem Tal konnten sie also nicht stammen, aber wie sind sie hierhergekommen?
Hühner fliegen nicht gerne, nur kleine Strecken, auch Laufen ist nicht ihre große Leidenschaft, sie gehen nur kurze Strecken, so lange bis sie Futter finden, deswegen hatte er auch nie einen Zaun gezogen.
Kein Mensch setzt freiwillig Tiere aus und alle erschienen groß und gut genährt zu sein. Cave hatte auch niemand gesehen, auch keine Stimmen gehört. Fremde Geräusche hätte er sofort wahrgenommen, durch die Anordnung der Berge entsteht eine Art von Schalltrichter, der Geräusche verstärkt und widerhallen lässt, selbst leises Flüstern, auch wenn es von ganz weit entfernt käme, hätte er gehört.
Sie konnten auch keine trojanische Pferde sein, wer könnte sich schon im Bauch eines Huhnes verstecken, da war kein Platz, trotzdem befiel Cave ein gewisses Unwohlsein.
Sein Vater hatte immer zu ihm besagt, höre nur auf deinen Verstand und nicht auf deinen Bauch, von dem kannst du sowieso nichts Gutes erwarten, höchstens Blähungen, und was Vater sagte, war fast immer richtig. Leider war er zu früh verstorben, trotzdem fragte Cave ihn noch immer, wenn er allein war, Vater was würdest du mir raten, was würdest du machen, eine direkte Antwort bekam er nie, zumindest bisher noch nicht, trotzdem empfand er es tröstlich wenn er so mit ihm reden konnte. Leider hatte er nicht mehr miterlebt, wie seine Kinder sich aus dem Nichts eine Existenz aufgebaut hatten, sein Stolz wäre grenzenlos gewesen, war er doch für all seine Tage nicht mehr als ein armer Handlanger gewesen, der seine Familie nur mühselig über die Runden brachte. Oft gingen sie abends hungrig zu Bett und wurden oft auf den nächsten Tag vertröstet, doch der begann meistens so, wie der Tag zuvor geendet hatte.
Trotzdem, Cave hatte ihn niemals klagen gehört, er war ein gottesfürchtiger Mensch und alles was die Mullas sagten, war für ihn unantastbar. Hätten sie behauptet die Erde sei eine Scheibe, so wäre die Erde eben auch für ihn wieder eine Scheibe gewesen. Er konnte es sich sowieso nicht vorstellen, dass die Erde sich um die eigene Achse dreht, einmal am Tag, mit großer Geschwindigkeit schneller als der Schall. Er meinte nur, wenn die Erde sich so schnell dreht, warum spüre ich dann nichts davon. Wenn ich hinten auf einem Lastwagen sitze, dann fliegt mir ja schon bei langsamer Fahrt der Hut vom Kopf. Und noch eines, wenn dies alles stimmt, warum kann ich dann nicht mit einem Heißluftballon nach oben steigen, einige Stunden dort oben verbleiben, die Erde müsste sich dann unter mir weiter