Wahre Kriminalfälle und Skandale. Walter Brendel
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So weit, so (nicht)gut. Es sollte der größte Medienknüller der Nachkriegszeit werden und wurde der größte Reinfall des Magazins "Stern". Vor über 20 Jahren schreckte die Redaktion des Blattes die Öffentlichkeit mit der Meldung auf, Adolf Hitlers geheime Tagebücher seien entdeckt worden. "Nach der Auswertung der Tagebücher muss die Biografie des Diktators und mit ihr die Geschichte des NS-Staates in großen Teilen neu geschrieben werden", verlautbarte der "Stern" am 22. April 1983. Drei Tage später präsentierte die Chefredaktion in einer international besuchten Pressekonferenz etwa ein Dutzend von 60 gebundenen Kladden im DIN-A-4-Format mit Reichsadler, Kordel und Hakenkreuz. Für die Echtheit der mit schwarzer Tinte geschriebenen Aufzeichnungen konnte sich der "Stern" auf namhafte Historiker berufen, unter ihnen der britische Hitler-Experte Hugh Trevor-Roper.
Keine zwei Wochen später war der Spuk vorbei. Nach erneuten Untersuchungen des Bundesarchivs, des Bundeskriminalamts und des Bundesamtes für Materialprüfung lautete das einhellige Urteil: eine "grotesk oberflächliche Fälschung". Ganze Passagen waren aus einer längst veröffentlichten Sammlung von Hitler-Reden abgeschrieben. Einbände, Papier und Klebstoffe enthielten zum Teil Materialien, die vor 1955 gar nicht auf dem Markt waren.
Der "Stern" stoppte den bereits begonnenen Abdruck der "Tagebücher" und stürzte in eine Ansehens- und Auflagenkrise, von der er sich jahrelang nicht erholte. Der "Entdecker" der Bände, der Reporter Gerd Heidemann, konnte bei der Suche nach dem Fälscher zunächst wenig helfen. Er hatte die Hefte gegen viel Bargeld von einem Stuttgarter Militaria-Händler namens Konrad Kujau ehalten, der sie seinerseits aus einer dunklen Quelle bekommen haben wollte.
Insgesamt investierte der "Stern" 9,3 Millionen Mark (knapp 4,8 Millionen Euro) für die 60 Bände. Heidemann trug das Geld jeweils in Plastiktüten zu Kujau, der ihm mal einen, mal drei Bände übergab. Dass Kujau die Tagebücher selbst geschrieben hatte, dämmerte Heidemann damals nicht. Er fiel auf dessen Geschichte herein, die Bände seien in einem gegen Kriegsende in Sachsen abgestürzten Flugzeug gefunden worden.
Heidemann schilderte der "Berliner Zeitung" das Geschehen von 1983 so: "Ich rief ihn in Stuttgart an oder er rief mich morgens in Hamburg an und sagte: Komm her, in übernehme heute Vormittag drei Tagebücher an der Autobahn ... Er rief mich also an und sagte: Bring mal Geld für drei Tagebücher mit. ... Aber er hatte nur eins dabei. ...
Ich hab dann oft zu Kujau gesagt, ruf mich doch erst an, wenn du genau weißt, wie viele Tagebücher du hast. ... Ich hatte keine Lust, immer Hunderttausende Mark hin und herzutransportieren. Manchmal hatte ich 900.000 Mark in einer Plastiktüte dabei, für drei, vier Bücher, aber Kujau hatte dann nur eins."
Am Ende landeten sowohl der Fälscher Kujau als auch Heidemann, der sich bis heute als Opfer fühlt, vor Gericht. Kujau gab an, von den 9,3 nur 2,4 Millionen Mark erhalten zu haben, und wurde zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Heidemann wurden sogar vier Jahre und acht Monate aufgebrummt, weil ihm das Gericht nicht glaubte, dass er die Millionen komplett an Kujau weitergereicht hatte.
Kujau blieb seinem Fälscher-Image auch nach der Haft treu: Er malte Kopien bekannter Gemälde von Künstlern wie Salvador Dali oder Marc Chagall und signierte sie mit dem Namen des echten Meisters und seinem eigenen. Die "echten Fälschungen" verkauften sich gut, und der Meisterfälscher betätigte sich auch als Galerist und Gastronom, bis er im Jahr 2000 im Alter von 62 Jahren an Krebs starb.
Heidemann ist noch heute verbittert und fühlt sich unfair behandelt. Er lebt in bescheidenen Verhältnissen und hat nach eigener Aussage keine Ahnung, wo die verschwundenen "Stern"-Millionen geblieben sind. Noch immer liegen die meisten der 60 "Tagebücher" im Keller des Gruner+Jahr-Verlags in Hamburg - bis auf einige Bände, die im Museum ausgestellt werden, etwa im Haus der Geschichte in Bonn.
Ein echter Knüller wurde die Verfilmung der Tagebuch-Geschichte in Helmut Dietls Erfolgskomödie "Schtonk", die 1993 sogar für den Oscar nominiert wurde.
Heidemann, der während der Dreharbeiten am Set war: "Ich habe Tränen gelacht über Götz George, der mich spielt in dem Film. So einen Typen hätte (der damalige "Stern"-Herausgeber) Henri Nannen schon nach drei Minuten gefeuert, so einen hätte der nie ertragen."
Nun zum Vorbild für "Hermann Willié": Gerd Heidemann. Der war in Wahrheit alles andere als ein ständig in Geldnot lebender Schmierfink, der keine Knüller lieferte und dessen Berichte von der Chef-Redaktion zurück gewiesen wurden. Ganz im Gegenteil waren seine z.T. unter großem persönlichem Einsatz zustande gekommenen Reportagen aus aller Welt fast immer einen Abdruck wert. So erschien z.B. sein Bericht über Görings Yacht "Carin II" entgegen dem, was Dietl in "Schtonk" suggeriert - tatsächlich auf der Titelseite des Stern. Dass Heidemann diese Yacht auf eigene Rechnung gekauft hatte (für 160.000.- DM, von den Briten, die sie bei Kriegsende als Siegerbeute "beschlagnahmt" und nach der Geburt des ersten Sohnes von Queen Elizabeth in "Prince Charles" umbenannt hatten), mag eine Fehlspekulation gewesen sein, aber keine, die ihn nun gleich an den Rand des Verhungerns gebracht hätte - und zum Nazi machte ihn das ja wohl auch nicht. Dann kam also Kujau (der freilich unter einem anderen Namen - Fischer - auftrat) und bot ihm an, "Hitlers Tagebücher" zu besorgen. (Heidemann lernte ihn tatsächlich über Fritz Stiefel kennen, allerdings nicht anlässlich einer Feier von Hitlers Geburtstag, sondern weil er dem reichen Fabrikanten - nicht Görings Nichte, wie im Film – die Yacht andrehen wollte.) Das wäre eine Sensation; und warum hätte man daraus nicht ein Geschäft machen können - wie ja auch mit Goebbels' Tagebüchern? Wenn man das vermeiden wollte, was mit letzteren geschehen war, nämlich ein jahrelanges Hin und Her mit Gerichtsprozessen und schließlich einer Doppel-Veröffentlichung, die sich bald in Form von unverkäuflichen Remittenden-Exemplaren in den Modernen Antiquariaten stapeln sollte, dann war schnelles Handeln geboten. Heidemann reiste nach Börnersdorf (allerdings nicht, wie im Film, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf eigene Faust und unter Bestechung der DDR-Grenzer, sondern ganz offiziell, auf Vermittlung und in Begleitung seines Ressort-Leiters Thomas Walde, der die notwendigen [Stasi-]Kontakte in die DDR hatte – er wurde übrigens im Gegensatz zu Heidemann später nicht gerichtlich belangt, sondern zur Belohnung, dass er im Prozess gegen letzteren aussagte, zum Geschäftsführer des Staatssenders "Radio Hamburg" befördert), vergewisserte sich, dass der Flugzeugabsturz 1945 tatsächlich stattgefunden hatte, und hielt es danach für möglich, dass die Tagebücher echt waren - wollte es vielleicht auch schon glauben. In diesem Sinne berichtete er seinem Arbeitgeber.
Wirklich seinem Arbeitgeber? Nicht ganz, denn das wäre ja eigentlich der Stern gewesen. Aber Heidemann und Walde (der wieder die richtigen "Kontakte" hatte) setzten eine Stufe höher an, nämlich beim Chef des Verlags Gruner & Jahr, dem der Stern gehörte. Im Film ist das durchgehend der dämliche "Dr. Wieland", der das Ganze mit den beiden "hinter dem Rücken der Chef-Redaktion" durchzieht.
Tatsächlich gab es aber zwei Personen: 1980, als Heidemann und Walde die Tagebuch-Story anleierten, saß auf dem Chef-Sessel noch Dr. Manfred Fischer – bis ihn Mitte 1981 Gerd Schulte Hillen ablöste, der sich später damit heraus redete, er habe sich darauf verlassen, dass sein Vorgänger alles sorgfältig geprüft habe. Und das hatte der auch, denn er hatte ja allen Grund, bei derartigen Geschichten misstrauisch zu sein: Hatte nicht schon der notorische Lügenbold und Verleumder Luis Trenker (der noch heute als "der nette Bergsteiger-Opa von nebenan" durch manch unwissendes Gehirn geistert) in den fünfziger Jahren die so genannten Eva-Braun-Tagebücher gefälscht? Und die Schwestern Panvini aus Vercelli in den sechziger Jahren die so genannten Mussolini-Tagebücher? Und waren aus der Zeit des "Dritten Reiches" nicht noch eine Reihe anderer dreister Fälschungen im Umlauf, vom so genannten