Kriminalhauptkommissar Ronny Mittler. Axel Schade
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Читать онлайн книгу Kriminalhauptkommissar Ronny Mittler - Axel Schade страница 3
Schwester Friederike steuert den Rollstuhl auf den Flur und schlägt den Weg zum Treppenhaus ein. Vor der Glastür zum Hausflur stehen drei Verkaufsautomaten. Süßwaren. Limonade. Heißgetränke. Es ist dermaßen still im Haus, das man ihre Aggregate summen hört. Im Moment, wo sie daran vorbei kommen, erfasst sie ein Bewegungsmelder. Automatisch schwingt die Glastür auf. Friederike schiebt den Rollstuhl im Treppenhaus an die Brüstung.
„Sehen sie?“ Die Krankenschwester zeigt auf ein Seil. Es ist am Handlauf des Treppengeländers verknotet. Ein Kletterseil, schießt es Mittler durch den Kopf, wo er das blau-schwarz gefärbte Kunststoffseil erblickt. Der Strick ist mehrmals um das Geländer gewickelt und mit Knoten befestigt. Das übrig gebliebene Seilende bildet auf dem Boden einen kleinen Haufen.
Mittler erhebt sich mit Friederikes Hilfe aus dem Rollstuhl, um ins Treppenhaus hinabzuschauen. 5 bis 6 Meter entfernt hängt ein Mann am Ende des Seils. „Das ist Thilo van der Leuwen.“, wispert Schwester Friederike dem Ermittler ins Ohr. „Sie kennen ihn?“ „Ja. Er ist Privatpatient von Doktor Harr. Zimmer 609.“
Der Körper des Erhängten schwingt sanft. Dreht sich in mäßigem Tempo um die eigene Achse. Verantwortlich ist ein Luftzug, der durch das sechs Stockwerke tiefe Treppenhaus zieht. Der Kopf des Toten ist auf die Brust gesackt. Nach Mittlers Erfahrung spricht dies für einen Genickbruch. Der Verstorbene hat schwarze Haare. Bekleidet ist er mit einem blauweiß gestreiften Schlafanzug. Der rechte Arm ist in Höhe des Handgelenks eingegipst. Am linken Fuß trägt er einen Hausschuh mit Schachbrettmuster. Der andere Fuß ist nackt. Den fehlenden Pantoffel sieht Mittler nirgends. Mehr gewahrt der Hauptkommissar nicht. Das Alter des Toten ist aus dieser Warte nicht einzuschätzen, weshalb er Friederike fragt. „Ich glaube, er ist 20.“, antwortet sie flüsternd.
Dem Kriminalhauptkommissar werden die Knie weich. Ihm schwindelt. Er zittert vor Anstrengung. Vor seinen Pupillen tanzen silberne Sternchen. Die aufrechte Position ist strapaziös, obwohl er sich auf dem Geländer abstützt. Friederike hilft ihm in den Rollstuhl. Mittler ist froh, wo er wieder sitzt.
„Was machen wir nun?“, fragt die Krankenschwester. „Die Polizei holen. Was sonst? Schildern sie den Vorfall. Melden sie ihren Vorgesetzten, was passiert ist. Und sorgen sie bitte dafür, dass keiner auf die Idee kommt, den Toten abzuhängen. Das bewerkstelligen meine Kollegen.“ „Und was machen sie?“ „Ich? Ich lege mich wieder ins Bett. Wo ich hingehöre.“
Suizid?
„Herein!“, ruft Mittler. Doktor Albert Meyer tritt ein. Er stellt seinen Tatortkoffer, den er beständig bei sich trägt neben den Nachtischschrank und reicht dem Patienten die Hand. „Na, du alte Runkelrübe, was machen Sachen?“, grüßt der Gerichtsmediziner seinen besten Freund. „Ich hole Kinderkrankheiten nach! Das machen Sachen!“ „Aha. So lautet deine Ausrede! Du drückst dich doch vor der Arbeit. Gib´s zu.“, lacht der Pathologe. Er zieht einen Stuhl ans Bett, lässt sich darauf fallen. „War in der Gegend. Dachte, schau mal bei Ronny rein. Wie geht´s, alter Kumpel?“ „Ist gerade noch zu ertragen. Danke der Nachfrage!“
Meyer und Mittler sind seit der Kindheit Freunde. Sie begegneten sich erstmals in der 5. Klasse des Gymnasiums von Waldgrund, ihrer Heimatstadt. Nachdem es Ronny beruflich an die Nordseeküste verschlug, besuchte Albert ihn dort. In diesem Urlaub lernte er eine Frau aus Mittlers Bekanntenkreis kennen und lieben. Es dauerte sechs Monate, da verlagerte Meyer seinen Lebensmittelpunkt ebenfalls nach Ostfriesland.
„Du kannst von Glück reden, das Merle und Lena bei dir waren! Wenn der Blinddarmdurchbruch zuhause passiert wäre, ... ich will lieber nicht darüber nachdenken.“ „Ja, ich verdanke den Mädels viel. Zeige mich erkenntlich, sobald ich aus dem Krankenhaus komme. Ich lade sie zu einem todschicken Essen ein.“ „Das klingt nett. Darüber freuen sie sich. Ein paar Tage bleibst du aber noch unter Beobachtung. Schone dich. Werde gesund.“
„Du bist beruflich in der Klinik, richtig? Wegen des Erhängten im Treppenhaus.“ Der Gerichtsmediziner ist sichtlich überrascht. „Du weißt davon? Wie das?“ „Ich sah den Toten vergangene Nacht. Die Stationsschwester weckte mich deswegen. Sie fand ihn.“ „Alter Schwede! Langsam wirst du mir unheimlich! Am Ende stimmt der Flurfunk noch ...? Hast du doch einen Magneten in der Tasche, der Todesfälle anzieht?“ „Sicher hab ich einen! Was denkst du denn? Der Schlingel zeigt sogar die Richtung an. Genau an dieser Stelle sitzt er!“ Mittler tippt mit dem Zeigefinger auf die Bettdecke in Höhe seines Geschlechtsteils. Sie lachen.
„Jetzt im Ernst, Albi. Was ist los? Haben wir einen Fall?“ „Ich weiß es nicht. Muss die Leiche auf dem Tisch haben, bevor ....“ „Ja, ist klar, ich kenne den Spruch.“, unterbricht Mittler. „Was kannst du inoffiziell sagen? Dein erster Eindruck?“ „Na hör mal! Du gehst ja ran. Stehst schon wieder auf dem Gaspedal. Du bist krank, Mann. Sollst dich nicht damit beschäftigen, sondern gesund werden! Ich verweigere die Aussage!“
Es klopft. Lena und Merle betreten das Zimmer. „Moin Ronny!“, zwitschern sie aus einem Mund. „Wie geht es dir heute?“, erkundigt sich Lena. „Danke der Nachfrage, ganz gut.“ „So blass wie gestern bist du nicht mehr.“, bemerkt Merle. Sie reicht Mittler eine Papiertüte. „Hier. Deine Bestellung.“
„Ich wette 500 Euro, es ist ein Walt Disney Lustiges Taschenbuch! Stimmts? Hab ich recht?“, meldet sich Meyer. „Bitteschön. Sieh selber nach.“ Mittler reicht ihm die Tüte. „Aber die Kohle bekomme ich, wenn du falsch liegst!“ „Klar. Wettschulden sind Ehrenschulden!“, versichert sein Freund und zieht den Inhalt heraus. „Wusst ich´s doch!“, triumphiert er, das Comicbuch in der Luft schwenkend. „Wann wirst du eigentlich erwachsen, Ronny?“ „Bevor ich so eine Spaßbremse, wie du werde? Dann nie!“, lacht der Hauptkommissar. „Spaßbremse! Das ist mein Stichwort! Ich muss los. Sachen machen!“ Meyer steht auf. Reicht Mittler die Hand. „Mach´s besser, alter Freund. Ich halte dich auf dem Laufenden. Smartphone hast du? Ich erreiche dich, wie gewohnt?“ „Ja. Alles an Bord. Danke für den Besuch. Lass dich bloß nicht nochmal bei mir blicken und frohes Sachen machen!“ „Tschüss die Damen und tschö mit Ö alter Sack.“, verabschiedet sich Meyer und rauscht aus dem Krankenzimmer.
„Wer euch zuhört, denkt, er hätte zwei Minderbemittelte vor sich.“, grinst Lena und führt die Scheibenwischergeste aus. „Man merkt, das ihr alte Freunde seid. Kein normaler Mensch versteht euer Sachenmachen Gelaber.“
Merle gähnt. „Spät ins Bett gekommen?“, erkundigt sich Mittler. „Nein. Zu früh raus.“ „Warum?“ „Wegen des Toten im Treppenhaus! Von dem du selbstredend längst weißt, wie wir von Schwester Friederike erfuhren. Du hast den Leichnam als erster besichtigt.“ „Erwischt! Zwar aus einiger Distanz, aber ja. Was wisst ihr über den Verblichenen? Irgendwelche Erkenntnisse?“
Lena kramt ihr Notizbuch aus der Tasche. Ein für sie wichtiges Arbeitsutensil. Merle macht darüber Witze. Nennt es uncool oder Oldschool. „Warum benutzt du nicht dein Smartphone?“, fragte sie kopfschüttelnd und erklärte: „Das hat eine Memofunktion und einen Rekorder. Du kannst schreiben oder diktieren. Keine Ahnung, aus welchem Grund du dir die Mühe mit der Kladde machst.“ Lena antwortete: „Ich traue Handys nicht. Dauernd hört man von Datenklau. Das Notizbuch habe ich lieber.“
Lena schaut Mittler an. „Eigentlich wollten wir dir nichts sagen. Weil du krank bist und Ruhe benötigst. Andererseits konnten wir uns an fünf Fingern abzählen, dass du fragst. Erst