Methoden der projektorientierten Risikoanalyse. Torsten Stau
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Quantitative Informationen (quantitative information) werden gewöhnlich nach Kardinal- oder Verhältnismaßstäben bewertet, wobei im wesentlichen Eintrittswahrscheinlichkeiten zum Tragen kommen. Mit anderen Worten, es werden explizit Zahlen benutzt. Hier ist jedoch Vorsicht geboten, denn Wahrscheinlichkeiten sind keine genauen Berechnungen, sondern nur Annahmen. Zahlen können irreführend und Statistiken voller Fallen sein. Trotzdem sind quantitative Informationen wesentlich genauer und eindeutiger als qualitative Informationen.
Die Zuordnung der Informationen zu den Bewertungsmaßstäben ist normalerweise nicht einfach, da zwischen den einzelnen Risiken in der Regel sehr komplizierte Abhängigkeiten bestehen. Außerdem treten qualitative und quantitative Informationen in der Regel nie getrennt voneinander auf.
4.2.3. Bewertung der Einflüsse durch die beteiligten Personen, Techniken und Verfahren
Nicht nur die in der Phase der Risikoidentifikation erkannten und klassifizierten Risiken des Projekts müssen bewertet werden. Auch durch die an der Risikoanalyse beteiligten Experten und sonstigen Personen, durch die benutzten Mittel, Techniken und Verfahren entstehen neue Unsicherheiten und Risiken, für die dieselben Aussagen gelten, die bisher über die Projektrisiken getroffen worden sind. Unter mangelnden Informationen getroffene Entscheidungen führen zu neuen Risiken, ebenso die Verbreitung von Informationen, da diese fehlinterpretiert oder falsch verstanden werden können. Diesen Zusammenhang bezeichnet Charette [4] als information availability bias.
Menschen denken und beurteilen völlig unterschiedlich. Das gilt natürlich auch für die Experten, die an der Risikoanalyse beteiligt sind. Alternativen werden unterschiedlich wahrgenommen und eingeschätzt (selective perception) und tatsächliche Ergebnisse können durch Festhalten an früheren Überlegungen und Bewertungen verzerrt werden (anchoring).
Alle von Experten geschätzten Wahrscheinlichkeiten sind subjektive Wahrscheinlichkeiten. So werden eventuell zu schätzende Ereignisse mit höheren Wahrscheinlichkeiten belegt, je einfacher sie in die Vorstellungswelt eines Experten passen (availability). Liegen über bestimmte Ereignisklassen bereits Belege vor, so lässt sich ein Experte leicht dahingehend beeinflussen, die Wahrscheinlichkeit eines zu dieser Klasse gehörenden Ereignisses anhand der Klassenzugehörigkeit zu bewerten, wobei vorherige Informationen völlig missachtet werden (representativeness).
Die Einflussgrößen auf das subjektive Schätzen von Wahrscheinlichkeiten werden als kognitive Einflussgrößen bezeichnet. Diesen Einflüssen unterliegen nicht nur Laien, sondern auch erfahrene Experten, sobald sie intuitiv denken. Es handelt sich oftmals um unbewusste und unkontrollierbare Einflüsse, die bei der Bewertung subjektiver Wahrscheinlichkeiten zu entsprechender Voreingenommenheit führen können (siehe hierzu auch Buße [16]).
Sicherlich spielen eine ganze Reihe weiterer psychologischer Gründe eine Rolle. Leider ist mir bis jetzt keine Untersuchung bekannt, die sich explizit mit diesem Thema befasst. Man denke auch an die in vielen Lebensbereichen vorherrschende Ansicht "das wurde immer so gemacht und bleibt auch so."
Weitere neue Risiken entstehen beispielsweise bei der Benutzung von Testergebnissen und bei der Durchführung von Kontrollen. Diese neu auftretenden Risiken sind natürlich besonders im Hinblick auf konjunktive und disjunktive Ereignisse zu betrachten.
4.2.4. Reduzierung der Ungewißheiten
Zur Reduzierung der identifizierten Unsicherheiten und Risiken gibt es eine ganze Reihe verschiedener Techniken. Die Genauigkeit einer Risikobewertung wird dabei unter anderem von der Art des Vorgangs bestimmt, in dem ein Risiko auftritt. Nach Charette [4] gehören alle Risiken zu einer der drei folgenden Arten von Prozessen:
Vorgänge können das "rationale" Verhalten eines intelligenten Gegners einschließen (behavioral processes), wobei das "rational" in Anführungszeichen gesetzt wurde, da Personen nicht immer rational handeln. Risiken können durch eigene Handlungen oder die anderer Personen entstehen. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie mit einer großen Menge von Unsicherheiten verbunden sind.
Natürliche Vorgänge (natural processes) sind solche, die auf Naturgesetze, wie etwa die der Physik, zurückgeführt werden können. Sie sind wiederholbar oder deterministisch und können deshalb mit einiger Sicherheit vorausgesagt werden. Die zugrundeliegenden Ursachen und entstehenden Effekte können erkannt und verstanden werden, so dass ihre Unsicherheiten zumindest theoretisch auf null reduziert werden können.
Zufällige Vorgänge (random processes) sind eine andere Art von natürlichen Vorgängen, wobei eine Menge von Risiken gegeben ist, die alle die gleiche Eintrittswahrscheinlichkeit haben. Die betreffenden Unsicherheiten hängen von statistischen Mittelwerten ab.
Neben der Eintrittswahrscheinlichkeit soll zu jedem identifizierten Risiko auch der zu erwartende Schaden, d.h. die Konsequenzen beim Eintreten des Ereignisses bestimmt werden. Bei der Bestimmung der Gesamtgröße eines Verlusts spielen drei Komponenten eine Rolle:
der Charakter
der Umfang
der Zeitverlauf
Mit dem Charakter (character) eines Schadens ist seine qualitative Natur gemeint, d.h. ob er politischer, physikalischer, wirtschaftlicher Art ist bzw. eine Kombination mehrerer Arten.
Der Umfang (extent) eines Schadens hat zwei Parameter: sein Gewicht und seine Verteilung. Das Gewicht (severity) ist die Höhe des Verlusts, z.B. an Geld, politischem Ansehen, Schmerz usw. Hier zeigt sich, ob ein Schaden schwer, erträglich oder vernachlässigbar ist. Die Verteilung (distribution) bezieht sich auf den Einflussbereich des Schadens, d.h. die Menge der betroffenen Personen, Gruppen, Unternehmen, Staaten oder gar die ganze Welt.
Die Zeitkomponente (timing) meint den Zeitpunkt, an dem der Schaden wirksam wird, d.h. entweder sofort oder zu einem späteren Zeitpunkt oder über einen längeren Zeitraum verteilt.
Von Interesse sind natürlich auch die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Komponenten, die aber nicht unbedingt vergleichbar sein müssen. Zwei Ereignisse können oberflächlich gesehen dieselben Konsequenzen haben, müssen aber eventuell trotzdem verschieden bewertet werden. Wenn bei einem Autounfall ein Ehepaar ums Leben kommt und drei Kinder hinterlässt, ist das Ereignis sicher anders zu bewerten, als wenn die Ehe kinderlos gewesen wäre.
Statistische Daten über die genannten Risikokomponenten kann man auf verschiedene Weise erhalten: durch Simulation, durch Informationen über Prototypen oder analoge Fälle usw. Diese Fälle bilden jedoch die krasse Ausnahme. Im Regelfall erhält man die Schätzwerte für die gesuchten Wahrscheinlichkeiten und den zu erwartenden Schaden durch Befragung von Experten. Die Form der Expertenbefragung wird bereits durch die Wahl der Bewertungsmaßstäbe festgelegt.
Da die Methoden der Risikoanalyse prinzipiell im Bereich Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung angesiedelt sind, müssen bei einer Expertenbefragung die Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung beachtet werden, um spätere Inkonsistenzen in der ermittelten Expertenmeinung ausschließen zu können. Es ist für den Experten sehr schwierig, explizite Wahrscheinlichkeiten oder gar Verteilungsfunktionen anzugeben, die die vorhandenen Ungewissheiten genau wiedergeben. Denn die zumeist in der Praxis erworbene Erfahrung lässt intuitiv nur ein unscharfes Einteilen und Urteilen über die mit spezifischen Ereignissen verbundenen Ungewissheiten zu. Deshalb gibt es zahlreiche Methoden zur Quantifizierung von Expertenmeinungen, die diese Schwachstelle zu umgehen suchen.