SchriftZüge 14 eBook. Thomas Frick
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Die Seele selbst, der fahle Madensack, murmelt Umsetz. Das ist doch von Ihnen, nicht von Hiob, Maz.
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Umsetz beim Morgentee. So müde war er noch nie. Statt in der Zeitung liest er im Buch Hiob. Zum Ekel ist mein Leben mir geworden, reden will ich in meiner Seele Bitterkeit.
Bitterkeit ja, sagt sich Umsetz, aber die Seele selbst, der fahle Madensack? Das nicht, das muss von Barhoff sein.
Er vertieft sich aufs Neue in die alte Klage. Hast du mich nicht ausgegossen wie Milch, wie Käse mich gerinnen lassen? Das ist gut, begeistert sich Umsetz, das könnte glatt von Maz Barhoff sein.
Dann wieder das Telefon. Er rappelt sich auf, trottet in sein Schlafzimmer zurück. Im zerwühlten Laken sein Smartphone, schnurrend wie eine somnambule Geliebte.
Hier spricht Maz Barhoff, sagt eine wohlbekannte Stimme. Ich bin in Wrápusz, kennen Sie das, Umsetz? Diesen fast vergessenen Moloch an der östlichen Gedächtnisgrenze? Sie müssen mich hier rausholen, sofort!
Schon seit Jahren nistet in Umsetz die Sorge, Barhoff könne ihm irgendwann abhandenkommen. Einfach so, von jetzt auf gleich. Und nun scheint es so weit.
Dieses blaue Licht, alles wie aus Glas, wehklagt es im Telefon. Und das Ärgste wissen Sie noch gar nicht: Die halten mich hier fest. Behaupten, ich hätte bei ihnen Schulden: dreiunddreißig Jahre Übernachtung mit Büffet.
Umsetz wankt zurück zu seinem Frühstückstee. Ihm braust der Kopf, beinah wie Hiob im Sturm. Nackt kam ich hervor aus dem Schoß meiner Mutter, nackt kehre ich dahin zurück.
Was sagen Sie?, schreit Barhoff. Was haben Sie da gesagt?
Hiob, flüstert Umsetz. Meine Mutter, meine Schwester!, rufe ich zum Wurm.
Ist das wirklich von dem?, zweifelt Barhoff. Aber egal jetzt. Gehen Sie zum Bahnhof und schwingen sich in die nächste Bahn. Ostexpress, Salonwagen Zikani. Hier in Wrápusz nehmen Sie sich eine Droschke und lassen sich ins Hotel Garnie bringen. Mit ih-eh! Room number three-oh-three, that’s me! Haben Sie das alles verstanden, Umsetz?
Zikani, Wrápusz, Garnie, murmelt Umsetz. Aber sind Sie es wirklich? Sie kommen mir so fremd vor, fast wie ...
Reden Sie keinen Unsinn, fällt ihm Barhoff ins Wort. Machen Sie sich lieber auf den Weg. Fahren Sie los – jetzt!
Warten Sie, fleht Umsetz. Ich glaube Ihnen kein Wort, Maz. Sie erzählen mir da eine Geschichte, eine wirklich großartige Geschichte – aber so etwas passiert nicht in Wirklichkeit. Vor ein paar Stunden waren Sie noch in diesem Schneefeld im Nirgendwo! Erinnern Sie sich nicht, Maz?
Natürlich erinnere ich mich, höhnt Barhoff. Ich fiel in eine Spalte, und als ich wieder zu mir kam, war ich hier! In dieser schäbigen Lobby, Hotel Garnie, Wrápusz. Schauen Sie sich nur um.
Er schwenkt seine Handycam im Kreis.
Umsetz erblickt eine Hotelhalle mit abgetretenem blauem Spannteppich, speckigen Ledersesseln, je zu dreien um Resopaltischchen gruppiert. Im Hintergrund einen Empfangstresen mit mehreren Figuren in blauen Fantasieuniformen. Goldlitzen auf Brust und Schultern, üppige Troddeln an den Mützen.
Durch diese Wand da muss ich gekommen sein – wie Zoroaster der Felsgeborene, sagt Barhoff und vollendet den Schwenk.
Umsetz bekommt einen Wandabschnitt zu sehen. Von Säulen flankiert. Die Tapete hängt schlaff herunter wie Alteleutehaut und ist exzentrisch designt: babylonische Stadtsilhouette, darüber Störche im Landeanflug, an deren Schnäbeln Babys baumeln.
Aber da ist keine Tür!, bringt Umsetz hervor. Da können Sie nie und nimmer durchgekommen sein.
Garnie und nimmer!, echot Barhoff. Bringen Sie einen Gummihammer mit. Und kaufen Sie mir am Bahnhof ein Päckchen Zigarillos, meine Marke kennen Sie ja hoffentlich noch.
Mythos Filter, schmeichelt Umsetz. Das würde ich nie vergessen, Maz.
Andreas Gößling, 1958 in Gelnhausen geboren, hat Germanistik studiert und 1984 mit einer Dissertation über Thomas Bernhards Prosa promoviert. Seit Mitte der 1980er-Jahre hat er zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter literaturwissenschaftliche Werke sowie Sachbücher und Romane zu mythologischen, historischen und kriminalistischen Themen. Andreas Gößling ist verheiratet, hat einen Sohn und lebt artgerecht als freier Autor im Havelland.
Ruth-Maria Thomas - Abgrund
Zerdrückte Bierdosen, Zigarettenstummel, zerknüllte Taschentücher. Verbeultes Autochrom, Lagerfeuerreste, Kiefernnadeln, Sand. Überall Sand. Nebelschwaden, der Morgen ist grau.
Gestern: Musik, JBL Box, Bass, der im Wald widerhallt, Glut, Funken, Schaum aus dem Flaschenhals in den Mund, die Münder, loslassen, was soll man auch machen, mit 17, 18 in Brandenburg?
Anna rückt ihren Rock zurecht und fährt sich durch die Haare. Es ziept. Sie steigt über schlafende Körper auf Isomatten, zugedeckt mit den eigenen Armen oder fremden.
Ihr Mund schmeckt schal, sie hat ein dumpfes Gefühl im Magen, Vodka-Sprite von gestern.
Sie findet eine halbvolle Wasserflasche auf dem Boden des Beifahrersitzes. Im Sitzen trinkt sie, vorsichtige kleine Schlucke. Sand klebt an den Rillen der Öffnung. Sie schluckt ihn mit. Sie klappt die Blende mit dem Spiegel herunter.
Verschmierter Kajal und Wimperntuschebrösel unter den Augen. Sie wischt mit dem Knöchel ihres Zeigefingers die Schminke weg und dann den Knöchel am Polster des Sitzes ab. Die Sonne steigt langsam auf. Anna will nach Hause, aber sie will niemanden wecken. Sie lehnt den Kopf zurück, faltet die Hände in ihrem Schoß und wartet.
Ein paar Vögel jagen sich über der Tagebaugrube, ihr Zwitschern hallt als Echo wider.
Die Sonne steigt höher und es wird den Schlafenden nach und nach zu warm. Mike und Julia lösen sich aus ihrer Umarmung und auch Justin schüttelt sich den Sand aus den Klamotten. Er sieht sich suchend um, sieht Anna auf dem Autositz und grinst. Mit Schwung steht er auf und läuft auf sie zu. „Na, meine arische Sonne?“, flüstert er ihr ins Ohr und schiebt seine Hand zwischen ihre Oberschenkel.
Anna atmet flach, sie möchte nicht, dass Justin ihren Atem riecht, sie hat nirgendwo im Auto einen Kaugummi finden können. Justin scheint das nicht zu stören, er schiebt ihr weiter die Hand zwischen die Beine und die Zunge in den Mund.
Währenddessen wirft Mike die vergangene Nacht in den Schlund der Tagebaugrube. Leere Bierdosen, Zigarettenstummel, Taschentücher und eine zerrissene Jacke fallen, ohne ein Geräusch des Aufprallens, ins scheinbar Bodenlose. Auf dem Rückweg sagt niemand ein Wort.
„Des Deutschen Ehre ist seine Treue“ schallt es blechern aus dem Autoradio. Durch die Rockmusik und die Schlaglöcher, durch die Justin ohne abzubremsen durchbrettert, wird Anna übel. Ihr Kopf fühlt sich an, als wäre er mit tausenden glühenden Kügelchen gefüllt.
Nachdem sie die anderen abgesetzt haben, fährt Justin Anna nach Hause. „Kann ich noch mit reinkommen?“, raunt er ihr ins Ohr und drückt seine Hand gegen ihre Brüste. Sie schüttelt den Kopf. „Mein Vater möchte sonntags keinen Besuch. Weißt du doch. Er braucht seine Ruhe.“ Justin nickt, doch sie kann sehen,