Rudolf Cronau: Drei Jahrhunderte deutsches Leben in Amerika - Teil 2. Rudolf Cronau
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Manche der Überlebenden, obdachlos und ohne Existenzmittel, scharten sich zu Räuberbanden zusammen, zogen sengend und plündernd von Hof zu Hof, nahmen den Bewohnern das letzte und boten den ohnmächtigen Regierungen Trotz.
Noch waren diese furchtbaren Leiden, welche der große Krieg den deutschen Landen geschlagen hatte, nicht verwunden, so kamen die Kriege gegen die Polen, Schweden, Türken und Franzosen. Nebenher gab es endlose Streitigkeiten der Reichsstände untereinander. Um das Elend voll zu machen, begingen die an verschwenderische Hofhaltung, glänzende Gelage und große Jagden gewöhnten großen und kleinen Landesherren an dem gewöhnlichen Volke die ärgsten Bedrückungen. Auf ihr Gottesgnadentum pochend und ihre Länder als persönliches Eigentum betrachtend, zwangen sie ihre Untertanen in ein entwürdigendes, von völliger Leibeigenschaft kaum noch zu unterscheidendes Knechtschaftsverhältnis.
In dieser langen Zeit des Leidens und des materiellen Elends schwand einem großen Teil des deutschen Volkes eine seiner edelsten Eigenschaften: der unternehmende kühne Mannesmut, der es seit den Tagen, wo es zum ersten Male in den Bereich der Geschichte trat, in so hoher Weise ausgezeichnet hatte. Aus dem freien deutschen Manne wurde ein ängstlicher, in sein Schicksal ergebener Spießbürger, der kaum noch Verständnis für das Entwürdigende seiner Lage besaß, sondern Trost für seine Leiden tatenlos in der Religion suchte. Aber auch das war ihm häufig erschwert. Nach dem Dreißigjährigen Kriege waren in Deutschland drei Bekenntnisse, das katholische, lutherische und reformierte, anerkannt worden. Aber ihre Anhänger und Priester befehdeten auch nach dem Kriege einander fort und fort. Besonders die an den zahlreichen Fürstenhöfen angestellten Hofgeistlichen und Beichtväter suchten auf die Landesherren Einfluss zu gewinnen und sie zu veranlassen, das von ihnen vertretene Bekenntnis zur Staatsreligion zu machen. Dies gelang in manchen Ländern, und so kam es, dass in Gegenden, deren Herrscher katholisch geblieben waren, die Lutheraner und Reformierten in der Ausübung ihrer Andachten behindert wurden; in Ländern hingegen, wo die Lutheraner oder Reformierten Oberwasser besaßen, waren die Katholiken und Reformierten oder die Katholiken und Lutheraner allerlei Bedrängnissen ausgesetzt.
In verschiedenen Teilen Deutschlands hatten sich aber auch Sekten gebildet, die sich sowohl von den Katholiken wie von den Reformierten und Lutheranern absonderten und darum sowohl von den Geistlichen wie von der Regierung verfolgt wurden, da man der immer größer werdenden religiösen Zersplitterung vorbeugen wollte.
Diese Sekten waren die Mennoniten, Labadisten, Pietisten, Herrnhuter, Schwenkfeldianer, Tunker und andere mehr. Sie strebten meist eine Wiederherstellung des schlichten, innigen Gemeindelebens an, wie es die ersten Christen geführt hatten. Da sie von berufsmäßigen Predigern nicht viel hielten und auch die Beständigkeit der Kirche als Organisation nicht anerkannten, so zogen sie sich natürlich den Zorn der Geistlichkeit zu. Den Regierungen erschienen sie verdächtig, weil sie Neigungen bekundeten, die man als gefährlich für die bestehenden Staatsformen betrachtete. Namentlich war es der von einigen Sekten vertretene kommunistische Gedanke der gemeinsam füreinander arbeitenden Brüder und Schwestern, den man nicht dulden zu dürfen glaubte. Da die Sektierer sich obendrein weigerten, Kriegsdienste und Kriegssteuern zu leisten, weil Christus das Führen des Schwertes und das Töten von Menschen verboten habe, so wandte sich der Groll der ausschließlich auf militärischer Gewalt beruhenden Regierungen gegen sie.
Die Verfolgungen, denen die Sektierer sich infolgedessen ausgesetzt sahen, nahmen in manchen Ländern so grausame Formen an, dass viele, um der Einkerkerung oder den drohenden Leibes- und Lebensstrafen zu entgehen, sich zur Auswanderung entschlossen.
Die Anregung dazu kam durch englische und holländische Puritaner und Quäker, von denen viele gleicher Bedrängnisse wegen nach der Neuen Welt gezogen waren. Von ihnen, mit denen man Fühlung hielt, erfuhr man, dass Amerika, insbesondere Pennsylvanien, ein duldsames Land sei, wo jedermann seinen religiösen Anschauungen ungehindert leben könne und auch der Bauer darauf rechnen dürfe, des Lohnes für seine Arbeit teilhaftig zu werden.
Die Mennoniten und die Gründung Germantowns
Die ersten deutschen Sektierer, welche sich von der Scholle lösten, um in der Fremde ungehindert ihren religiösen Anschauungen leben zu können, waren Mennoniten, Anhänger des um das Jahr 1492 in dem friesländischen Dorfe Witmarsum geborenen Menno Simon. Derselbe war ursprünglich Priester der katholischen Kirche, hatte sich aber von derselben losgesagt und predigte in reformatorischem Sinne. Seinen Anhängern empfahl er Sittlichkeit, Herzensmilde und Reinheit; sich der Verfolgung Andersgläubiger, des Tragens und Gebrauchens von Waffen, ja, jeder Gegenwehr zu enthalten; auch das Klagen vor weltlichen Gerichten, das Schwören von Eiden, die Teilnahme an weltlicher Regierung und unnötigen Aufwand in Kleidung und Lebensweise zu unterlassen. Hinsichtlich der Auffassung der Gottheit Christi stimmte er mit den Wiedertäufern überein, beobachtete die Fußwaschung als religiöse Zeremonie und erteilte die Taufe nur als bloßes Symbol innerer Sinnesänderung.
Seine Anhänger, die Mennoniten, bildeten diese Grundsätze noch weiter aus. Das irdische Leben lediglich als eine Vorbereitung für das Jenseits betrachtend, sonderten sie sich, um den Versuchungen dieser Welt zu entgehen, soviel als möglich von den Gemeinwesen ab. In ihren Ehebündnissen beschränkten sie sich ausschließlich auf Mitglieder der eignen Kreise.
Da von allen Sektierern die Mennoniten den unchristlichen Charakter der Kirchen, wie des nur auf militärischer Gewalt beruhenden Staatswesens am schärfsten kritisierten und obendrein sich weigerten, Kriegsdienste und Kriegssteuern zu leisten, so wurden sie auch mit der größten Erbitterung verfolgt.
Schon der Gründer der Sekte, Menno Simon, wurde für vogelfrei erklärt. Wer seinen Kopf einliefre, sollte als Belohnung einen Karlsgulden und außerdem, welche Verbrechen er immer begangen habe, völlige Straflosigkeit erhalten. Unter diesem Bann floh Menno Simon von Ort zu Ort, vom Rhein bis zu den Ostseeländern, bis endlich im Jahre 1561 der Tod ihn seinen Verfolgern entrückte. Seine Anhänger aber mussten den furchtbaren Hass derselben vollauf verspüren. In den Niederlanden marterten die fanatischen Spanier ihrer 6.000 zu Tode; in Süddeutschland und in der Schweiz hauchten über 3.000 unter den Richtschwertern oder auf den Scheiterhaufen ihre letzten Seufzer aus. Die entsetzlichen Leiden dieser Märtyrer wurden von Tieleman Jans van Braght in einem dickleibigen Folianten „Het Bloedig Toneel of Martelaars Spiegel“, „Der blutige Schauplatz oder Märtyrer-Spiegel“ beschrieben.
Erst nach 1579 ließen die wütenden Verfolgungen in Holland und Norddeutschland nach; in anderen Ländern hingegen wurde den Mennoniten bis ins 18. Jahrhundert hinein zugesetzt. Die Anzeige eines Mennoniten wurde mit fünf Gulden belohnt; die Sektierer selber bedrohte man mit Einziehung ihres Vermögens, körperlicher Züchtigung und Gefängnisstrafe. Trotzdem bildeten sich in Lübeck, Emden, Frankfurt a. M., Krefeld und Krisheim bei Worms Mennonitengemeinden, die mit den nach ähnlichen Glaubenssatzungen lebenden Quäkern in Holland und England nicht nur geheimen Verkehr unterhielten, sondern bisweilen auch den Besuch von Predigern derselben empfingen. Einer jener englischen Quäkermissionare, welche Deutschland bereisten, war William Penn.
William Penn
Namenszug von William Penn
Auf seinen in den Jahren 1671 und 1677 unternommenen Missionsreisen kam er auch nach Krefeld, Frankfurt a. M. und Krisheim, wo er vor den dortigen Mennonitengemeinden predigte und bei all seinen Hörern einen tiefen, nachhaltigen Eindruck hinterließ.