Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2. Jochen Klepper

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Jochen Kleppers Roman

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      Aber nun bebaute der Herr schon den Sumpf. Er ließ den Saum der Wälder schlagen, die er durchritten hatte; und die Kiefern, eben erst zum Schlage reif geworden, wurden Pfahl um Pfahl in das Sumpfland gerammt, kaum dass in den tiefgezogenen Gräben das träge, stinkende Gewässer versickert war. Bis zum Dunkelwerden hatte der König dabeigestanden, wie sie die letzten Pfähle noch mit Weidenseilen aneinanderkoppelten, kreuz und quer und längs und breit. Schon fand der Blick eine ebene Fläche. Schon war ein sichtbarer Anfang.

      Um die Morgendämmerung brachen in dem aufgewühlten Grunde unterirdische Strömungen hervor, hoben das Pfahlwerk brodelnd empor, zerweichten das Weidengeflecht und quollen in Blasen und kleinen Sturzbächen zur Oberfläche.

      Früh, als die ersten Arbeiter kamen, sahen sie, wie sich die untersten Spitzen der Pfähle in langsamer und unaufhaltsam starker Drehung nach oben kehrten. Schreiend liefen sie vor die Fenster des Königs. Der sprang aus dem Bett und aufs Pferd, nicht einmal vollständig angekleidet. Er hielt nicht an, als er die wogenden und treibenden Pfähle erblickte; er stieg nicht ab, als er das dumpfe Poltern und unablässige Rauschen und Glucksen hörte; bis hinunter ans überschwemmte Ufer trabte er und ließ sich nicht rufen und halten, als gelte es einer verlorenen Schlacht im äußersten Wagnis die Wendung zu geben. Sein Reitknecht folgte ihm ängstlich. Plötzlich war es, als wollte der König ihn in jäher, harter Kehrtwendung zurückstoßen, als müsse er ihn vor einem Unheil bewahren. Da versanken sie beide. „Mein Pferd ist stark“, schrie der König, „rettet den Jungen!“ Mächtig arbeiteten die Pferde. Das des Reitknechts schluckte schwer am Schlamm und hielt nur noch den hoch emporgerissenen Kopf aus dem Sumpf. Der König hörte dicht an seiner Seite das Gurgeln, als das Lehmwasser über dem Reitknechtspferd zusammenschlug. Den Jungen zogen sie mühsam an Stangen heraus; den Schimmel des Königs, der sich schon zu festerem Grunde durchgestapft hatte, zerrten sie, zu vielen in den Sattel und die Riemen greifend, vorwärts. Den König hoben sie durchnässt und schlammbedeckt herab. Sie schickten Boten nach Wagen, Tüchern und Mantel. Der König war nur mit dem jungen Reitknecht befasst; er blickte gar niemand an, wich den besorgten Fragen aus und überhörte all das laute Preisen seiner Rettung. Sichtlich war etwas von Befangenheit in seinem ganzen Verhalten, spürbar selbst dann, als er sich abtrocknen ließ, den Mantel umnahm und den Wagen bestieg.

       Zum Exerzieren erschien er wie immer. Bei Tische wurde übermäßig viel von dem Unglück und dem Unfall des Königs geredet; er selber war schweigsam. Den ganzen Tag über pilgerte man zu der Stätte des großen Begebnisses hinaus. Die Gegner des Königs oder zum mindesten seines Faulen-See-Projektes triumphierten. Creutz sah endlich wieder solchem Verschwenden ein Ende gesetzt. Beinahe fragte man den König gar nicht erst, wie er nun von der ganzen Sache denke. So sicher war man sich seines Verzichtes.

      Die Woche ging mit den Aufräumungsarbeiten hin. Am nächsten Montag waren alle Bauarbeiter zur gewohnten Stunde wieder an den Faulen See bestellt. Auch der König erschien.

      „Das Ganze von neuem beginnen“, sagte der Herr, und abermals verschwanden große Kiefernwaldungen als Pfahlroste für die neuen Häuser im Sumpf.

      Gleichzeitig gab der König den Befehl, zur Rechten und Linken des Schlosses, an der Havel und an seinem neuen Kanal, eine Kirche zu errichten, als seien die Kirchen als die Grenzpfähle gedacht, mit denen er die Stadt abstach, und als wollte er dadurch die Menschen lehren, dass das, was er am Sumpf begann und auf sich nahm, nicht Trotz war, sondern Glaube.

      * * *

      Bald wurde das trübe Ereignis vom größeren Vorgang überschattet. Auf einer neuen Reise nach Hannover, in Osnabrück, war der König von England gestorben, im gleichen Zimmer, in dem er auch geboren worden war.

      Es schien, als hätte sich nicht der Tod des englischen Herrschers ereignet, sondern als wäre der Preußenkönig selbst gestorben, derartige Veränderungen gingen um die Zeit des Todesfalls auf den Berliner Gesandtschaften vor sich. So ziemlich alle Gesandten außer dem kaiserlichen wurden abberufen; neue trafen ein und baten, baldmöglichst ihr Bestätigungsschreiben überreichen zu dürfen.

      Die Königin in ihrer tiefen Trauer um den Vater hatte aufmerksam auf alles acht und fand es nun – gleichsam als einzigen Trost, den es zur Zeit für sie geben könne – ihrerseits für angebracht, wenn auch der König von Preußen zum mindesten sofort einen besonderen Beauftragten an ihren Bruder nach London entsendete.

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      König Georg II – Hannover – Großbritannien

      Der König gedachte in diesen Tagen der Trauer seiner Gattin keinen Wunsch zu versagen und schrieb sehr höflich und sehr herzlich an den Vetter und Schwager, vergaß vor der Gemeinsamkeit des königlichen Amtes all ihres jugendlichen Zwistes und Knabenhasses von einst, bat um die Freundschaft des neuen Königs von England und erklärte sich an alle zwischen dem Verstorbenen und ihm getroffenen Abmachungen gebunden. Die Antwort traf sehr rasch ein, fiel hochfahrend und kühl aus und enthielt, wenn man sie in dürre Worte übersetzte, die Versicherung, dass der neue König von Britannien die alten Verträge gar nicht so ohne weiteres zu übernehmen gedenke. Dann in den obligaten, unverbindlichen Schlussformeln eines Fürstenbriefes lenkte er natürlich wieder ein.

       Denn Brandenburg-Preußen begann ja nun ohne Frage eine Rolle zu spielen. Es war nicht mehr so, dass Preußen unter den alten Nationen noch das bunte Gemisch verstreuter Gebiete gewesen wäre, die sich vom Rhein bis zur Weichsel, von der Ostsee bis zu den böhmischen Bergen wirr und verzettelt hingezogen hatten. Es war nicht mehr so, dass man die kleine Truppe Brandenburgs für Sold zu eigenen Zwecken nach Bedarf pachten, hinhalten und entlassen konnte. Von eigenem, gutem Gelde hatte der König von Preußen sein Dreißigtausend-Mann-Heer schon verdoppelt. Und mit den Maßnahmen und Handlungen jedes seiner Tage strebte er aus dem furchtbaren Zwiespalt, Reichsstand und König eines freien Landes zu sein, suchte er mit aller Inbrunst und Gewalt sein Land im Reich und sein Land da draußen im Osten zur Einheit zu machen, ohne fremdes Recht auch nur von ferne anzutasten. Er war daran, ein Land der Stärke, des Wohlstands, der Ordnung mitten im Reich und im Herzen Europas zu begründen, indes das Reich zerfiel und das von Kriegen und Schwindelgeschäften erschöpfte Europa sich selber zu zerreißen drohte.

      Man sah Preußens Tätigkeit, Beharrlichkeit und Mut an jedem Tage von neuem bewiesen und überschätzte darum dauernd seine Mittel. Wen nahm der große Diplomatenwechsel da wunder?

      Von all den neuen Ragomontaden, Turlipinaden und Windbeuteleien, wie der König es nannte, erholte er sich hernach in rechter Männerunterhaltung mit dem neuen Freunde Seckendorff. Der kaiserliche General hielt sich vom Odium der Diplomatie unverändert frei. Kein Aufenthalt in Potsdam, der dem Wiener Grafen nicht rasch eine Einladung am Hofe brachte. Keine Übersiedlung Seiner Majestät nach Berlin, die nicht Seckendorff beinahe als dem ersten mitgeteilt wurde. So große Hochschätzung, so lebhafte Sympathien hegte der König für ihn. Es schien ihm noch unfasslich, dass abseits von aller Politik einer aus Wien kam, um von seinem Regiment zu lernen. Der kaiserliche General weilte geradezu als der Gast des königlichen Leibregimentes am preußischen Hofe und trug sogar schon dessen Uniform. Tapfer wie ein Degen sprach der gewiegteste aller kaiserlichen Geheimdiplomaten, der mit Bibel und Gesangbuch seinen Einzug in den Königsstädten Preußens gehalten hatte: ein General mit bürgerlicher Biedermannsmiene und dem Stiernacken und der Redeweise eines braven Pächters. Aber der Biedere war gerieben wie ein Pferdehändler und wusste, wie es anzufangen sei, die Weisung auszuführen, die vom Prinzen Eugen, Habsburgs großem Wächter, an ihn ergangen war, „den Unwillen des Königs gegen den englischen Hof auf eine geschickte Weise immer zu vergrößern“.

       Die Königin, soweit der Schmerz über den Verlust des vergötterten Vaters es gestattete, war empört, dass der Gatte den bäurischen General all den neu erschienenen Gesandten so offensichtlich vorzog. Ihr Ältester sah sie in den Gewändern ihrer tiefen Trauer nur lächelnd, nur

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