Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2. Jochen Klepper

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Jochen Kleppers Roman

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Nachmittag soll für Fritzen sein“, hatte der Vater bestimmt. Den Nachmittag nahm sich Mama, um Friedrich zu einem würdigen Schwiegersohn des welfischen Hauses heranzubilden. Sie war entzückt, an ihren beiden ältesten Kindern eine wahre Leidenschaft für Musik zu entdecken. Der Kronprinz erhielt Sonderstunden in Klavier-, Violin- und Flötenspiel. Mama ließ ihren Ältesten in Latein unterrichten. Wie anders sollte er die Antike verstehen, die das Denken und Sinnen und jegliche Feinheit des Umgangs an den Höfen zu Paris und London bestimmte?! In ihr fand alle Große Welt die Vollendung des Gedankens und der Form, die Urbilder der Tugenden und Laster, den Ausdruck der Freuden und Schmerzen. Die Lebensregeln waren klassische Zitate. Der Neidische hieß Zoilos, der hässliche Thersites, der sieghafte Held Achill, der unglückliche Hektor.

      Welche Verheißungen machte die Gattin dem Sohne, dass er ihr die Nachmittage gab, die nach des Königs Plan „für Fritzen“ sein sollten? Der König rief es, von all den Entdeckungen maßlos erregt, den Erziehern Friedrichs zu, als danke er ihnen die Schonung der Gattin nur wenig. „Sagen Sie ihm lieber“, sprach er, „dass er, gemessen an den Söhnen anderer Herrscher, den Dauphins, Infanten und Prinzen von Wales, der Thronfolger eines Bettelkönigs ist! Ich will nicht, dass mein Sohn behandelt wird wie der junge Ludwig XV., dessen geringste Taten und Gebärden die Zeitungen der Welt verkünden und den man gar „Das Kind Europas“ nennt. Ich will nicht solch schwächlichen Knaben, der durchaus nicht angestrengt werden soll und mag! Wir Brandenburger sind nicht Potentaten wie die Könige von England, Frankreich oder Spanien! Und wir gehören nicht der klassischen Geschichte an und haben mit den Kaisern oder Königen von Assyrien, Ägypten oder Rom nichts zu schaffen! Herodot und Tacitus kennen nicht die Namen von Pommern, Cleve, Magdeburg und Litauen!“

      So ereiferte sich Herr Friedrich Wilhelm noch, als sein Wort vom Bettelkönig schon im Umlauf war. Die Königin aber reiste gerade heran, dem Bettellande neues Heil zu verkünden: Der Londoner Hof wollte die preußischen Königskinder zum mindesten besehen lassen! Der König von England gedachte Berlin zu besuchen!

      Die Königin traf ein – Schicksalswalterin über den Thronen des nördlichen Europa, Kronenspenderin, Urmutter künftiger Dynastien – und fragte: „Wo sind meine Kinder?“

      Der König hörte es, und zum ersten Male erlag er dem seligen gefahrenreichen Irrtum nicht. Auch wusste er wohl, dass Sophie Dorothea mit ihrer Frage nur die beiden Ältesten meinte.

      Friedrich hatte er auf die Jagd geschickt; und Wilhelmine hatte Unterricht bei einer neuen Erzieherin, welche der König bestellte.

       Die Königin wurde rücksichtslos. Der englischen Visite wegen sollte alles von unten nach oben gekehrt werden. Unausgesetzt mussten in ihren freien Stunden die beiden ältesten Kinder sich zu ihrer Verfügung halten. Völlig übersah die Königin jenes sanfte Fräulein von Sonsfeld, das der König ihr zur neuen Erzieherin der ältesten Prinzessin vorschlug. Die Léti hatte die Königin selbst in englische Dienste gebracht; denn sie fürchtete sehr, die Entlassene könne aus eigenen Stücken nach London gehen und über ihren einstigen Zögling Wilhelmine Übles aussagen. So begann es, dass die Königin sich für die verwendete, die der König zu entfernen genötigt war, und dass sie die vom König Gemaßregelten beschützte. Darüber hinaus war die Königin ganz ungemein belebt von dem Gedanken, eine eigene Beauftragte in London zu haben; ja es dünkte ihr geradezu unerlässlich, solange es verwehrt war, dass auch Königsfrauen eigene Gesandtschaften an fremden Höfen unterhielten.

      Die Sonsfeld erschien ihr als eine steife Person mit einer schiefen Nase und einem schielenden Auge, die nicht bis drei zählen konnte. Die Königin brachte nicht die Geduld zu der Feststellung auf, dass das Fräulein von Sonsfeld die sanftesten braunen Augen besaß, deren Reiz durch einen leichten „Silberblick“ eher erhöht als gestört wurde. Die Königin wollte ebenso wenig die Anmut und Sicherheit in dem bescheidenen Auftreten des ländlichen Edelfräuleins anerkennen. Sie tat die Sonsfeld mit wenigen Worten ab. Es lohnte ihr nicht einmal, mit dem König über sie zu debattieren. Die Königin gedachte auch über eine Sonsfeld hinweg noch Möglichkeiten zu finden, ihre Älteste für England zu erziehen. Viel schwieriger war es, ihren Einfluss auf Friedrich zu behaupten. Sie befasste sich beharrlicher denn je mit ihm. Waren die Konzertpiecen geübt? Wusste er die klassischen Zitate, die sie ihm für die Unterhaltung mit dem Großvater auswählen ließ? Hatte er die neuen Moderomane gelesen, um gewandt darüber plaudern zu können? Waren die Schneider pünktlich mit der Lieferung von Friedrichs gestickten Röcken und Westen? Wie wirkten die drei großen Schleifen in der Taille? Waren endlich die grässlichen Stiefeletten verschwunden und trug er weiße Strümpfe und Schuhe? Hatte der Perückenmacher nun besseres Material beschafft? Kam der Tanzmeister jeden Nachmittag? Friedrichs Verbeugungen waren fürchterlich! Die Gouverneure des Kronprinzen ließen Ihrer Majestät würdig, höflich und fest zurückbestellen, was in ihrer Instruktion stand, auf die der König sie mit Ernst und Strenge aufs neue verwiesen hatte, seitdem Missdeutungen über ihre Auslegungsmöglichkeiten aufgetaucht waren: „Der Nachmittag soll für Fritzen sein.“

       Die Königin durchschritt aufgeregt ihre Räume. Es rauschte um sie von knisternder Seide; die Schleppe fegte nur so. Mit all dem kleinen Silber- und Schildpattzeug und all den Chinoiserien auf ihren Spiegelkonsolen und achatenen Tischen hantierte sie derartig heftig und sinnlos, dass die Ramen ob all dieser Launenhaftigkeit ihrer Herrin diese schon wieder in anderen Umständen glaubte. Plötzlich rief es auch die Königin klagend und empört vor ihrer Kammerfrau aus: „Welch maßlose Rücksichtslosigkeit gegen meinen Zustand! Man entfremdet mir meine Kinder. Man lässt mich Kinder gebären, nur um mich den Schmerz erleben zu lassen, mich ihrer beraubt zu sehen!“

      Die Ramen heftete ihre schwarzen Augen entsetzt auf die hohe Frau. Sie bewunderte die unnachahmliche Ausdrucksweise; aber sie beschloss dennoch, den erneuten, gewaltigen Ausbruch mütterlicher Liebe diesmal nicht durch Ewersmann dem König schildern zu lassen. Es hatte der Ramen zu denken gegeben, dass die Königin vor Anna Amaliens Geburt sich vor dem König ganz verbergen konnte; es hatte ihr Kopfzerbrechen gemacht, dass seit drei Jahren kein Prinzen- oder Prinzessinnensalut mehr abgefeuert worden war; es legte ihr allerlei Vermutungen nahe, dass der König neuerdings die Erziehung der beiden ältesten Kinder so sichtbar an sich riss. Die Ehe des Herrscherpaares schien nicht mehr glücklich zu sein. Und nun doch ein neues Kind?

      Die Königin wollte auf der Stelle ihren Sohn bei sich sehen. Er erschien auch sofort; aber ihren Fragen wich er aus, und ihre Vorwürfe hörte er an, ohne sich zu verteidigen. Warum beschimpfte ihn Mama? Litt er nicht selbst am meisten darunter, dass man seinen Musikunterricht einschränkte und die geliebten französischen Romane wegschloss?

      Die Königin sprach kalt und zornig auf ihn ein. Ob er denn seine Zukunft aufs Spiel zu setzen gedenke? Ob er den Ehrgeiz habe, ein preußischer Major zu werden oder ein König mit einer Gemahlin aus großem Geschlechte?

      Der blasse Junge stand ganz erstaunt. Was sollte er denn mit einer Gemahlin? Warum wurde der Vater plötzlich so streng gegen ihn? Warum klagte die Mutter ihn an und behandelte ihn spöttisch und kühl? Er drückte sich mit vielen Verneigungen aus der Tür, rannte leise und eilig die Treppe zu den Appartements der Schwestern hinauf und klopfte vorsichtig an Wilhelmines Zimmer. Die Sonsfeld öffnete dem Prinzen sogleich.

      Der Nachmittag war für Fritz. –

      Er war bei der Schwester.

      Die Sonsfeld ließ die Königskinder allein. Sie wusste es längst: sie hatten Heimlichkeiten miteinander zu besprechen, die mit Kindergeheimnissen keine Berührung mehr besaßen.

      „Was ist mit den Eltern?“ fragten der Knabe und das Mädchen einander sofort. Und das Grübeln, das immer wieder von neuem in der Welt das Leben junger Menschenkinder so beschwert, begann auch auf ihrer Jugend zu lasten: Was ist mit den Eltern?

      * * *

       Es schien Europa anzugehen, was um den König und die Königin

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