Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2. Jochen Klepper
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2 - Jochen Klepper страница 7
General Graf Friedrich Heinrich von Seckendorff – 1673 – 1763
Er, Grumbkow, gewinne den Eindruck, als habe der kaiserliche Geschäftsträger in Berlin bei seiner starken Inanspruchnahme unmöglich mehr freien Blick und übrige Zeit, um sich auch noch mit einigen neu aufgetauchten Problemen zu befassen, für deren Lösung gerade nun sein lieber Graf als der Rechte erscheine.
Zunächst traf Seckendorff, lärmend und aufgeräumt, als Grumbkows Privatgast in Berlin ein. Der Gastgeber hielt ihm bereits am ersten Abend seines Aufenthaltes ein politisches Kolleg, das namentlich für die Königin von Preußen überaus lehrreich und anfangs sogar angenehm zu hören gewesen wäre. Der lauschende Seckendorff wurde ganz erheblich stiller. Grumbkow sprach stehend, das Weinglas in Händen, ohne zu trinken, auf ihn ein. Der General aus Wien, schweigend und nickend, gab ihm immer nur recht.
Seit dem Tode des gewaltigen Sonnenkönigs und nach Zar Peters frühem und enttäuschtem Ende, seit Karls XII. verzweifeltem Untergang – denn solcher Könige Tod bedeutet die Tragödie ihres Landes – waren nur noch zwei große Mächte in Europa: England, das Ludwig XIV. niedergeworfen und Frankreich in vasallenhafte Abhängigkeit gebracht hatte, und Österreich. Zwei große Dynastien teilten das Erbe der Macht: die Welfen und Habsburg. Beide Länder und Geschlechter aber brauchten zu jeder Behauptung und jeder künftigen Wendung ihrer Politik das Reich. Der Habsburger stand über dem Reich als der Kaiser, im Reiche als der Erzherzog von Österreich und Kurfürst von Böhmen. Der König von England gehörte dem Reiche an als der Kurfürst von Hannover. Im Reiche mussten die Zwecke Österreichs und Englands sich überschneiden, sichtbar werden, mussten die Spannungen sich verdichten, die Machtproben ausgetragen sein.
Mitten im zerfallenden Reiche, in der Mark Brandenburg, aber erstand ein neuer Schatz und eine neue Armee.
Der Gedankensprung Grumbkows hinüber zu dem welfischen Familiensinn der Königin von Preußen war gar nicht so kühn.
Für den kaiserlichen Geheimdiplomaten bedurfte es keiner Erklärungen mehr. Dass er in Preußen blieb, war selbstverständlich. Die Kaisertreue Herrn von Grumbkows pries er laut. Er wusste auch genau, dass etwas an ihr nur zu echt war. Grumbkow, einem armen Geschlecht von hoffärtigen Höflingen entsprossen, würde immer geblendet sein vom Glanz des kaiserlichen Hofes; er würde kein anderes Ziel des eigenen Aufstiegs lohnend finden, als die Anerkennung in Wien, die Zugehörigkeit zu den Vertrauten des Kaisers.
Nur zu bald waren die Herren dabei, ihren Plan zu entwerfen. Niemals durfte Seckendorff beim König als Diplomat eingeführt werden. Der König galt in aller Welt als diplomatenfeindlich. Es wurde anders versucht. Die Aussichten waren nicht schlecht. Graf Seckendorff war ein begeisterter Soldat. Man musste es ihm glauben, dass er aus eigenem Antrieb das Wunder des neuen preußischen Exerzitiums selbst in Augenschein nehmen wollte. Und was noch wichtiger war: Die Seckendorff waren Protestanten, und jener General hieß der einzige Anwalt der evangelischen Stände des Reiches am Hofe des Kaisers. Ein Kaiserlicher, der ein Protestant war, wurde aber in Berlin noch nicht gesehen. Zudem war Seckendorff ein passionierter Jäger, heiter, derb und groß. Welcher Diplomat von angeborenem Talent erhielt von der Natur solch herrliche Maske, einem König Friedrich Wilhelm zu begegnen?! Ein Seckendorff verzichtete mit Freuden auf die offizielle Anerkennung und den öffentlichen Empfang bei Hofe. Er gedachte sich mit Leichtigkeit – lachend, lärmend, trinkend und, wenn es sein musste, über Religion diskutierend – in der Tabagie zurechtzufinden. Die war das Einfallstor. Und weil die beiden Herren glaubten, dass man in nächster Zeit des Abends nur kalten Braten und Butterbrot bei gewöhnlichem Bier würde zu sich nehmen müssen, wie es Brauch in der Tabagie war, ließ Minister Grumbkow noch bis spät in die Nacht alle Künste seiner vielgerühmten Küche spielen. Als Vorgericht gab er den Schinken, in Champagner „gewässert“, der dem König von Preußen für seine Tafel zu kostspielig war, obgleich er in der Verbindung mit Grünkohl als sein Leibgericht galt.
* * *
Kurz vor dem Aufbruch des Königs von England nach Berlin hatte sich noch die entlassene Léti in die Korrespondenz der britischen Majestät mit der Königin von Preußen gemischt. Sie hatte die Höfe von London und Hannover sehr freundlich gewarnt, Wilhelmine habe einen Buckel und leide an Krämpfen. Die gegenwärtig im Vorrang stehende englische Königsmätresse, die Herzogin von Kendal, geborene Gräfin Schulenburg, beschäftigte das sehr. Aber es mochte auch sein, dass sie eine schöne Gelegenheit nicht ungenützt lassen wollte, um manche Unbill zu rächen, die ihren Freunden und Verwandten von König Friedrieh Wilhelm in Entrechtung oder steuerlicher Belastung widerfahren war. Jedenfalls konnte sie sich des Eingreifens in den Fall Wilhelmines von Preußen nicht enthalten. Königin Sophie Dorothea war verzweifelt. Sie hatte mehr geheime Leiden, als einer nur ahnen konnte, hinter sich; und diesmal, ganz im Gegensatz zu ihrer sonstigen raschen Art, hatte sie wirklich geschwiegen. Es ging ja um England.
Ihre Reisen waren so vergeblich wie nur möglich gewesen. Der königliche Vater verwies sie an seine Minister, unter den Ministern aber erklärten sich die Hannoveraner unzuständig ohne die Zustimmung der Londoner und umgekehrt, obwohl sie doch völlig uneins waren. Und entgegen allem Fürstenbrauch war das Gefolge der Königin von Preußen auf Schloss Herrenhausen unbeschenkt geblieben; auch Frau Sophie Dorothea selbst hatte nichts als müßige, billige Tändeleien vom Herrn Vater erhalten, wertlose Dinge, die das Ansehen der Königin von Preußen herabsetzen mussten; doch ihr bedeuteten sie Kleinodien und Reliquien. Jedenfalls gab sie sich so vor dem Gatten. Ihm hatte sie bisher auch immer nur die freundschaftlichen Briefe gezeigt, die sie mit der Frau Prinzessin von Wales über ihrer beider Kinder Zukunft wechselte. So vermutete der König nicht, welche Niederlagen die Gattin schon erlitt.
Leider hatte sie aber dem Gatten schon zu viel verheißen und die Eheprojekte als einen sehnlichen Wunsch der englischen Verwandten hingestellt; alles aber schien aus purer Liebe zu ihr selbst zu geschehen, wenn auch einige wunderschöne Gedanken vorn Zusammenhalt der protestantischen Mächte mit eingeflochten wurden.
König Friedrich Wilhelm war bewegt, wie rasch das Leben voranschritt.
Das Leben schien leicht und glücklich zu werden. Die Liebe der Welfen- und Hohenzollernkinder sollte in dem einen Jawort der zwiefachen Hochzeit mehr erreichen, als die Plagen eines ganzen Manneslebens je erstreben durften! Eine herrliche Verheißung war inmitten aller Mühsal aufgetaucht! Ein kampfloser Aufstieg tat sich auf. Die Liebe trug die Macht; der Glaube schien das Werk zu segnen.
* * *
Georg I. kam an einem Oktoberabend in Charlottenburg an. Der König, die Königin und alle Prinzen und Prinzessinnen empfingen ihn am Wagen. Der König von England reichte der Königintochter den Arm und führte sie in ihre Empfangszimmer. Darauf begaben sie sich in ein Kabinett, wo sie sich eine Zeitlang im geheimen unterhielten. Beim Hinausgehen stellte König Friedrich Wilhelm die Prinzen, die Königin die Prinzessinnen vor. Der Königin klopfte im Gedanken an Wilhelmine das Herz. Die Kleinen wurden vom Großvater übersehen. Friedrich musterte er schweigend; dann nahm er eine Kerze vom Kamin und hielt sie Wilhelmine unter die Nase. Groß, etwas gebeugt, etwas müde im Ausdruck und durchaus nicht sonderlich aufmerksam, stand er vor der ältesten preußischen Prinzessin, die allein etwas wie Anteilnahme von ihm erwarten durfte.
„Sie ist sehr groß. Wie alt ist sie?“ Das war alles, was er sagte; und noch dies: