Unter der Sonne geboren, 1. Teil. Walter Brendel
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Ludwig XIII. wollte bereits in jungen Jahren als Ludwig der Gerechte (Louis le Juste) in die Geschichte eingehen. Gerechtigkeit allerdings nicht im modernen Sinne von verständnisvoller Milde, sondern im Sinne von patriarchaler Wiederherstellung von Gesetz und Ordnung. Ein verständlicher Wunsch nach jahrzehntelangen Bür-gerkriegen und seinen Erfahrungen mit der nachgiebigen „Scheckbuchdiplomatie“ seiner Mutter und zerstörerischen Partikularinteressen von Hochadel, Hugenotten und den „ultramontanen“ Anhängern von Papst und spanischem König. Ludwig XIII. und sein Minister leisteten wesentliche Schritte auf dem Weg Frankreichs zur kontinentalen Vorherrschaft und zum Absolutismus.
Das Bild der Person und des Herrschers Ludwig XIII. ist bis heute – trotz guter Quellenlage – stärker durch literarische Fiktion als durch die Geschichtswissenschaft beeinflusst. Das Bild vom schwächlichen, uninteressierten und naiven Trottel, der das Objekt der Manipulation des ebenso genialen wie intriganten Ministers Richelieu war, wurde durch „Die drei Musketiere“ von Alexandre Dumas geprägt und durch zahlreiche Verfilmungen gefestigt.
Tatsächlich war Ludwig XIII. eine schüchterne Persönlichkeit, die sich in Gesellschaft nicht wohl fühlte und zum Stottern neigte. Gleichwohl besaß er einen starken Willen und die Fähigkeit, entschlossen und (auch gegen die eigenen Gefühle) rücksichtslos zu handeln.
Er befand sich im ständigen Spannungsfeld zwischen dem eigenen Anspruch an seine Rolle als absoluten Monarch und seinen privaten Neigungen. Von ihm stammt das Zitat: „Ich wäre kein König, leistete ich mir die Empfindungen eines Privatmannes.“
Dass er homosexuell war, gilt als ziemlich sicher.
Unter der ehrpusseligen Eifersucht des Monarchen hatte nicht zuletzt auch sein Minister zu leiden, der stets in dem Bewusstsein regierte, dass er seine Position allein dem Wohlwollen des Königs zu verdanken habe. Ludwig behielt sich die Entscheidung in allen wichtigen Angelegenheiten stets vor. Von Richelieu stammt der berühmte Satz: „Ganz Europa bereitet mir nicht so viel Kopfzerbrechen wie die vier Quadratmeter des königlichen Kabinetts.“
***
Auch an jenem Regentag, als Ludwig zu seinem Vater befohlen wurde, trug er ein Kleidchen aus hellgrüner Spitze mit breiten Seidenmanschetten und einer seidenen Schürze. Dazu ein Spitzenhäubchen, dessen Bänder seine Gouvernante Madame de Lansac unter seinem Kinn quälend fest verknotet hatte, damit die Ohren des Kindes brav bedeckt blieben und die gestrenge Majestät keinen Grund zur Klage fand.
Fast jeden Tag verlangte sein Vater, ihn zu sehen. Nicht zu einer bestimmten Stunde, sondern immer dann, wenn es ihm gerade passte. Dann schickte er seinen Kammerdiener in die Gemächer der Königin. Ein Klopfen an der Tür genügte, und Ludwig wurde weggerissen von dem, was er gerade tat. Man weckte ihn oder schlug ihm den Löffel aus der Hand. Man zerrte ihn von seinen Spielen fort oder hob ihn aus der Wanne und streifte ihm gewaltsam eines der Besuchskleidchen über, gegen die er sich wehrte, weil er längst aus ihnen herausgewachsen war. Niemand kümmerte sich darum, dass er schrie und weinte. Was zählte, war allein der Wille seines Vaters, des Königs.
Einmal würde Ludwig selbst König sein, hatte ihm seine Mutter erklärt, und er hatte längst begriffen, was das bedeutete: Niemand würde mehr das Recht haben, ihn zu stören oder ihm auch nur zu widersprechen. Was er verlangte, würde geschehen. Doch dafür musste sein Vater erst sterben. Wenn Madame de Lansac ihn über die Korridore schleifte und in die Bibliothek seines Vaters schob, presste Ludwig das Kinn gegen die Brust, starrte trotzig auf die Füße des Vaters und wünschte seinen Tod herbei.
Der kleine Ludwig
Es war immer das Gleiche: Sein Vater versuchte, ihn für sich zu gewinnen. Er zeigte ihm Bücher und Landkarten und schenkte ihm Zinnsoldaten, Bälle oder ein Holzschwert. Doch der Knabe in seinem Mädchengewand hob nicht einmal den Blick, sondern wartete nur darauf, dass die Enttäuschung des Vaters in einen seiner Hustenanfälle mündete, an denen er fast erstickte und die endlich dafür sorgten, dass er von seinem Sohn abließ.
Seit zwanzig Jahren schon zerfraß die Tuberkulose Lunge und Darm des Königs. Die Schmerzen ließen ihn die Welt hassen und den Tod herbeisehnen. Erst ein heftiger Regensturm, der ihn eines Nachts im Louvre bei der damals von ihm getrennt residierenden Königin festhielt, hatte das Wunder vollbracht, dass er sich trotz seiner Abneigung neben ihr zur Ruhe legte. Alle im Schloss beteten, dass endlich ein Thronfolger gezeugt würde, und so geschah es auch. Ludwig kam zur Welt, ein Kind der Kälte und der Zwietracht, und doch gesund und kräftig wie kaum ein anderes. Zwei Jahre später wiederholte sich das Wunder. Die Glocken läuteten, als der Sonnenschein Philippe den ersten Schrei tat.
„Nun sind wir doppelt abgesichert“, sagte der König ungewohnt versöhnlich zu seiner Gemahlin, die abgekämpft in ihrem Bett lag. Sie antwortete nicht. Noch immer dröhnten in ihren Ohren die Worte, die er zum Arzt gesprochen hatte, als ihre Bedrängnis am größten war: „Retten Sie das Kind! Die Mutter werden wir ver-schmerzen können.“
Sie hasste ihn, und er hasste sie, und ihr älterer Sohn stand auf Seiten der Mutter. Erst wenn der Vater nach Luft rang und sich vor Schmerzen krümmte, entspannte sich das Kind, und erst wenn der König um sein Leben kämpfte, lächelte der Kleine.
Ein einziges Mal entdeckte der König dieses Lächeln. Mitten in einem der quälendsten Erstickungsanfälle, die er je erlebt hatte, fiel sein schmerzverschleierter Blick auf das Kind, das vor ihm stand und ihn voller Genugtuung beobachtete wie ein Insekt, dem man die Beine ausgerissen hat. Wäre er jetzt gestorben, das Begriff der König in seiner Not, das Kind hätte gelacht.
Von einem Augenblick zum anderen hörte der Anfall auf. Mit einem endlos langen Atemzug füllte der König seine verkrampfte Lunge. Ein paar Mal keuchte er noch, den Mund weit geöffnet. Dabei beobachtete er seinen Sohn, der sofort seinem Blick auswich und wieder zu Boden starrte.
„Du kleiner Teufel!“, flüsterte der König heiser und vergaß, dass er sich einst über die Geburt dieses Kindes gefreut hatte! Gefreut bis zur Glückseligkeit. „Dieudonne“ hatte er als zweiten Namen für den Knaben bestimmt. Der Gottgeschenkte - obwohl seine Gemahlin vorsichtig Einspruch dagegen erhoben hatte, weil es im Volk Brauch war, unehelich Geborene so zu nennen. „Ich werde dich lehren, mich so anzusehen!“ Die Stimme des Königs gewann an Kraft. „Ich werde dich wegholen von deiner Mutter und ihren albernen Weibern, die dich aufhetzen. Du wirst noch lernen, wem du zu gehorchen hast.“
Das Kind sah ihn nicht an. Da packte der König sein Kinn und riss es hoch, dass die Wirbel im Nacken leise knackten. „Schau mich an!“, schrie er. „Schau mich an, deinen König, dem du alles verdankst!“
Doch Ludwig presste die Lider zusammen. Tränen traten aus seinen Augenwinkeln, aber kein Ton kam über seine Lippen. Da ließ ihn der König los, holte aus und schlug ihn auf die Wange, dass das Kind zu Boden stürzte. Gleich jedoch raffte es sich wieder auf, rannte zur Tür, riss sie auf und floh hinaus auf den Korridor.
Die Wache eilte herein und wartete auf einen Befehl. Doch der König saß zusammengesunken auf seinem großen Sessel und starrte zu Boden. „Kümmert euch nicht um ihn!“, sagte er dumpf. „Ich will ihn nicht mehr sehen.“
Unterdessen stolperte Ludwig schluchzend den Korridor entlang. Weg, nur weg von seinem Vater, dessen Zorn