Rudolf Cronau: Drei Jahrhunderte deutschen Lebens in Amerika Teil 4. Rudolf Cronau
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An Geschichtswerken, welche die Vergangenheit Amerikas, den Ursprung und die Entwicklung der Vereinigten Staaten behandeln, ist zwar kein Mangel. Aber gegen diese Werke ist von vielen klarblickenden, nach historischer Wahrheit strebenden Forschern mit vollem Recht der Einwand erhoben worden, dass sie die Geschichte nur eines Teiles des amerikanischen Volkes, und zwar des aus England eingewanderten berücksichtigen, während auf die Vergangenheit und Leistungen der anderen Völkerelemente, die zum Aufbau der amerikanischen Nation beitrugen, entweder gar nicht oder nur sehr oberflächlich eingegangen sei. –
Beim Prüfen dieser Angelegenheit kann der mit der Entwicklungsgeschichte Amerikas Vertraute sich der Erkenntnis nicht entziehen, dass jener Einwand durchaus zutrifft. Fast alle in den vorhandenen Geschichtswerken geschilderten Ereignisse sind vom Gesichtswinkel des Anglo-Amerikaners, speziell des Neu-Engländers aus gesehen und beschrieben. Was andere Völkerelemente zur amerikanischen Kultur, zum Aufbau der Nation beitrugen, welche hervorragenden Männer sie lieferten, welche Taten dieselben verrichteten, was sie an Großem, Bleibendem schufen, blieb entweder unberücksichtigt oder wurde nur mit flüchtigen Strichen angedeutet, oft sogar absichtlich entstellt. Infolgedessen bildet sich bei den Lesern solcher Werke die irrige Anschauung, als ob die Anwesenheit der zahlreichen, nicht angelsächsischen Stämme auf amerikanischem Boden für die dort entstandene Kultur gar nichts bedeutet habe, und den Angelsachsen allein das Verdienst gebühre, das Material zum Aufbau der amerikanischen Nation geliefert und die Kultur derselben geschaffen zu haben.
So wenig aber eine Schilderung des Mississippi Anspruch auf Vollständigkeit erheben dürfte, die es unterließe, auch seine Hauptarme, den Missouri und Ohio zu beschreiben und ihre Bedeutung für die Größe und den Charakter des ganzen Stromsystems darzulegen, ebenso wenig können so einseitig aufgefasste Geschichtswerke wie die bezeichneten Anspruch auf den Titel einer „Geschichte des amerikanischen Volkes“ erheben.
Diese muss noch geschrieben werden. Und zwar unter gerechter Berücksichtigung aller verschiedenen Rassen- und Völkerelemente, aus denen sich das Volk der Vereinigten Staaten zusammensetzt und die in irgendeiner besonderen Weise zur amerikanischen Kultur beitrugen.
Das kann erst geschehen, wenn das erforderliche historische Material in Spezialwerken niedergelegt ist, die den Anteil der Deutschen, Iren, Schotten, Holländer und Skandinavier, der romanischen und slawischen Völker, der Israeliten, der indianischen, afrikanischen und mongolischen Rassen feststellen. Durch ausgedehnten Gebrauch solcher Spezialwerke kann die zu schreibende Geschichte der amerikanischen Nation an Interesse, Mannigfaltigkeit und Farbenreiz nur ungemein gewinnen. –
Wie zu dem in der Bundeshauptstadt Washington gen Himmel ragenden Monument zu Ehren des Begründers der Union, George Washington, fast alle Nationen des Erdballs Bausteine beitrugen, so mögen die in den Vereinigten Staaten ansässig gewordenen Vertreter solcher Nationen dies auch tun zu dem erhabenen Ruhmestempel der amerikanischen Geschichte. –
Der Verfasser dieses Buches bietet einen solchen Baustein, in der Überzeugung, dass die nach Millionen zählenden Abkömmlinge des deutschen Volkes, welche seit frühen Tagen in das Gebiet der heutigen Vereinigten Staaten von Amerika einströmten, in jeder Beziehung ein gewaltiger Faktor waren, der nicht übersehen werden sollte.
Berlin, im Sommer 1909.
Rudolf Cronau.
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Teil eins dieses Bandes beginnt: – Die Deutschen während der Kolonialzeit
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Die ersten deutschen Flugblätter über Amerika und die Vorläufer der deutschen Auswanderung dorthin
Die glückliche Heimkehr des Genuesen Christoph Columbus von seiner ersten großen Entdeckungsreise war ein Ereignis, dessen Bedeutung von allen Kulturvölkern der damaligen Zeit sofort empfunden wurde. Man erkannte instinktiv, dass die gelungene Fahrt für die ganze Menschheit von höchster Wichtigkeit sei und gewaltige Umwälzungen zur Folge haben müsse. Welch tiefen Eindruck die Kunde in der Gelehrtenwelt erregte, kann man am besten aus folgendem Brief des spanischen Geschichtsschreibers Peter Martyr an seinen Freund Pomponius Laetus ermessen: „Du schreibst, mein lieber Pomponius, dass du beim Eintreffen meiner die Entdeckung der entgegengesetzten Welt betreffenden Nachricht vor Entzücken aufgesprungen seiest und dich der Freudentränen nicht hättest erwehren können. Das zeigt, dass du als Gelehrter die Größe und Tragweite der neuen Entdeckung wohl zu würdigen weißt. In der Tat, auch ich kenne keine Speise, die erhabenen und genialen Geistern willkommener sein könnte, als diese. Ich fühle eine wunderbare geistige Erregung in mir, wenn ich mit den aus jenen Gegenden zurückgekehrten Männern rede. Es ist, als ob ein Armer plötzlich zu Reichtum gelange. Unsere durch die kleinen täglichen Sorgen und gesellschaftlichen Pflichten herabgezogenen Gedanken werden erhoben und geläutert durch das Nachsinnen über so herrliche Ereignisse.“
Selbst in dem nüchternen England wurde die Tat des Columbus als etwas Unerhörtes, Göttliches gepriesen. Schrieb doch Giovanni Caboto (Johann Cabot), der von England aus im Jahre 1497 eine Fahrt nach dem Westen unternahm und dabei das Festland von Nordamerika entdeckte: „Als die Nachricht eintraf, dass Christoph Columbus, der Genuese, die Küsten Indiens entdeckt habe – wovon im ganzen Reich des damals regierenden Königs Heinrich VII. gesprochen wurde, indem alle voll größter Bewunderung erklärten, es sei mehr ein göttliches als menschliches Wagnis, auf nie zuvor befahrenen Wegen vom Westen aus nach den im Osten gelegenen Gewürzländern zu segeln, – da entbrannte in meinem Herzen ein heißes Verlangen, gleichfalls eine große Tat zu verrichten.“
Auch in Frankreich und Deutschland erkannte man die Bedeutung des Ereignisses. Deutschland war schon damals das Land der Denker und Gelehrten. Martin Behaim, Schöner, Reisch, Münster, Pirckheimer u. a. verfolgten mit scharfen Blicken die in Afrika und Asien gemachten geographischen Entdeckungen und trugen dieselben auf ihre Weltkarten und Erdkugeln ein.
Der Brief, den Columbus am 3. März 1493 nach seiner Ankunft in Lissabon an Raphael Sanchez, den Schatzmeister des spanischen Königspaares, gesandt hatte, fand in lateinischen und italienischen Ausgaben Verbreitung und wurde auch in deutscher Übersetzung in Straßburg, wahrscheinlich auch an andern Orten gedruckt. Man kennt bis jetzt siebzehn verschiedene Ausgaben dieses Columbusbriefes in spanischer, lateinischer, italienischer und deutscher Sprache. Es ist nicht ausgeschlossen, dass außerdem manche andere gedruckt wurden, von denen wir keine Kunde mehr besitzen.
Noch größeres Aufsehen erregten die Reisebeschreibungen des Amerigo Vespucci. Sie versetzten ganz Europa in Erregung, da sie im Gegensatz zu dem Brief des Columbus, der nur die Entdeckung einiger Inseln gemeldet hatte, die Entdeckung einer „neu gefunden Region“ verkündigten, „die wohl eine Welt genannt mag werden“. Dazu war in Vespuccis Schilderungen das Interessante hervorgehoben und in pikanter Weise ausgemalt; die Beschreibungen des Völker-, Tier- und Pflanzenlebens waren neu und fesselten umso mehr, als man außer dem mageren Brief des Columbus noch nichts über die Neue Welt erfahren hatte. Columbus, um das Geheimnis des neuen Seeweges nach Indien zu bewahren, vermied absichtlich jede weitere Mitteilung über seine Entdeckungen. Dadurch, wie auch durch den Umstand, dass Vespuccius fälschlich angab, die erste seiner angeblich vier Reisen im Jahre 1497 vollführt zu haben, wobei er konsequent die Namen der Befehlshaber verschwieg, an deren Forschungsreisen er sich beteiligte, gelangten die den Unternehmungen fernstehenden italienischen, deutschen und französischen Geschichtsschreiber jener Zeit zu der irrtümlichen Anschauung, Vespuccius sei der Leiter jener Expeditionen gewesen und habe das Festland der neuen Welt entdeckt. Unter diesem Eindruck stand auch der um das Jahr 1481 in Freiburg in Baden geborene Gelehrte Martin Waldseemüller, der in der lothringischen Stadt St. Dié lebte und an dem