Skizzen aus dem Londoner Alltag. Charles Dickens

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Skizzen aus dem Londoner Alltag - Charles Dickens

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       Siebentes Kapitel

       Achtes Kapitel

       Neuntes Kapitel

       Zehntes Kapitel

       Eilftes Kapitel

       Zwölftes Kapitel

       Impressum neobooks

      Erstes Kapitel

      Der Kirchspieldiener. – Die Kirchspielfeuerspritze. – Der Schulmeister.

      Wie viel ist nicht in dem einzigen kleinen Wörtchen »Kirchspiel« enthalten? Wie viele Geschichten von Kummer und Elend, von vernichtetem Glück und zu Grabe getragenen Hoffnungen, nicht selten aber auch von eisenstirniger Schuftigkeit und triumphirender Büberei knüpfen sich an dasselbe. Da ist ein armer Mann mit großer Familie, der nur geringen Verdienst hat, welcher gerade hinreicht, um von der Hand in den Mund, das heißt, von einem Tage zum andern zu leben; er kann nur so viel erwerben, um die Bedürfnisse des Augenblicks zu befriedigen, ohne im Stande zu sein, etwas für die Zukunft zurückzulegen; seine Steuern kommen in Rückstand; das erste Quartal geht vorüber; ein anderes kommt heran, er hat selbst nichts mehr zu leben – nun wird er vor das Kirchspiel berufen.

      Seine Habseligkelten werden verkauft, seine Kinder jammern vor Kälte und Hunger, und das einzige Bett, auf dem sein krankes Weib darnieder liegt, wird unter ihr weggenommen. – Was kann er thun? An wen kann er sich um Hilfe wenden? Darf er die Unterstützung der Privaten angehen? sich an einzelne wohlthätige Personen wenden? Gewiß nicht, dafür ist sein Kirchspiel da.

      Da ist die Kirchspiels-Verwaltung, das Kirchspiels-Spital, der Arzt, die Beamten und der Diener des Kirchspiels. Vortreffliche Einrichtungen und edle, liebreiche Menschen. Das Weib stirbt – sie wird auf Kosten des Kirchspiels beerdigt. Die Kinder haben keinen Beschützer – das Kirchspiel übernimmt die Sorge für sie. Der Mann vernachlässigt im Anfange seine Arbeit, am Ende kann er keine mehr bekommen – er erhält Unterstützung vom Kirchspiel; und wenn Elend und Trunkenheit ihr Werk an ihm völlig gethan haben, so ist endlich das Kirchspiels-Irrenhaus sein Ziel, das ihn als einen harmlos plappernden Blödsinnigen erhält.

      Der Kirchspielsdiener oder Büttel ist eines der wichtigsten, vielleicht das wichtigste Mitglied der Gemeindeverwaltung. Er ist freilich weder so hoch gestellt, als die Kirchenvorsteher, noch so gelehrt, als der Kirchspielschreiber, auch steht es ihm nicht so vollständig zu, den Gang der Gemeinde-Angelegenheiten anzuordnen, wie einer von diesen; aber seine Macht ist nichts destoweniger sehr ansehnlich, und nie vergibt er seiner Seits der Würde seines Dienstes etwas, was dazu beitragen könnte, diese zu behaupten. Der Diener unseres Kirchspiels ist ein vortrefflicher Kerl. Es ist höchst ergötzlich ihm zuzuhören, wenn er an Sitzungsabenden den alten, tauben Weibern im Vorzimmer des Sitzungssaales die Armengesetze erklärt; wie er ihnen mittheilt, was er zu dem Kirchenältesten sagte, und was der Kirchenälteste zu ihm gesagt hat, und wie »wir« (nämlich der Büttel und die anderen Herren) endlich einen Beschluß gefaßt haben.

      Ein elend aussehendes Weib, deren Aeußeres von der fürchterlichsten Noth zeugt, wird in das Sitzungszimmer berufen. Sie gibt an, daß sie eine Wittwe mit sechs kleinen Kindern sei. »Wo ist Eure Wohnung?« fragt einer der Kirchspielsaufseher. »Schon seit sechzehn Jahren wohne ich bei Herrn Brown, Nummer 3, König Wilhelmsgäßchen, zwei Treppen hoch nach hinten, meine Herrn: dieser kennt mich als sehr fleißig und unverdrossen, und wie mein Mann noch am Leben war, meine Herrn, der im Hospitale starb . . .« »Schon gut, schon gut,« unterbricht sie der Aufseher, indem er sich die Angabe notirt; »ich werde morgen früh Simmons, den Kirchspielsdiener, hinschicken, um sich zu erkundigen, ob Eure Angaben wahr sind; ist dem so, so werden wir Euch in das Armenhaus aufnehmen. – Simmons, gehen Sie morgen früh vor allem Andern in die Wohnung dieser Frau. Vergessen Sie's nicht.« Simmons nickt bejahend und führt das Weib ab. Die Ehrfurcht, welche ihr die Mitglieder der Kirchspielsversammlung eingeflößt, die alle hinter großen Büchern mit den Hüten auf dem Kopfe dasitzen, löst sich dem Respekte vor ihrem mit Borten geschmückten Begleiter gegenüber in Nichts auf; und ihre Erzählung von dem, was im Sitzungssaale vorgekommen, erhöht – wenn es je noch möglich ist – die hohe Achtung, welche diesem ausgezeichneten Bediensteten von den anwesenden Armen erwiesen wird.

      Es wäre aber auch rein unmöglich, einen Auftrag im Namen des Kirchspiels gleich Simmons zu besorgen. Er weiß alle Titel des Lordmajors auswendig, richtet seine Aufträge aus, ohne nur einmal zu stottern, ja man will sogar wissen, daß er sich einst einen Scherz mit ihm erlaubt habe, der, wie des Lordmajors erster Kammerdiener (welcher zufällig zugegen gewesen) nachher einem genauen Freund im Vertrauen mittheilte, fast einem Scherze des Herrn Hobler gleichkam.

      Man muß ihn aber vollends Sonntags in seinem Staatskleide, mit seinem dreieckigen Hute auf dem Kopfe, den Staatsstock mit einem großen Knopfe in seiner Linken und ein kleines spanisches Rohr zum Gebrauche in seiner Rechten sehen.

      Wie feierlich er die Kinder an ihre Plätze weist; mit welch' scheuer Ehrfurcht die kleinen Knirpse nach ihm blicken, wenn er sie, nachdem Alle sitzen, mit einer Amtsmiene überschaut, die nur Kirchspielsdienern eigen ist. Haben die Kirchenvorsteher und Aufseher nach der Ordnung in ihren verhängten Kirchenstühlen Platz genommen, so nimmt auch er seinen eigenen für ihn bestimmten Mahagonisitz, ganz oben im Kirchgange, ein, und theilt seine Aufmerksamkeit zwischen seinem Gebetbuche und den Knaben.

      Plötzlich, gerade beim Anfange des Gottesdienstes, während die ganze Versammlung in tiefes Schweigen versunken ist, das blos durch die Stimme des Geistlichen unterbrochen wird, hört man an dem Platze der Kinder mit weit sich verbreitendem Klange einen Penny auf das steinerne Pflaster des Kirchganges fallen. Alles sieht auf den Büttel. Unfreiwillig drückt er einigen Schrecken aus, zeigt aber im Augenblick eine so vollkommene Gleichgültigkeit, als wenn er die einzige Person wäre, die den Klang nicht gehört hätte. Die List gelingt. Der Schuldige, der die Münze hat fallen lassen, fühlt bald mit dem rechten bald mit dem linken Fuß darnach, und wagt es dann sogar, sich ein paar Mal nach ihr zu bücken; der Kirchspielsdiener aber hat sich inzwischen leise näher geschlichen, und so wie der kleine runde Kopf wieder über den Sitzen emporkommt, begrüßt er ihn etwas unsanft mit dem vorbesagten spanischen Rohre, zum ausnehmenden Vergnügen dreier jungen Leute, die in einem Kirchenstuhle in der Nähe sitzen und bis zum Ende der Predigt hie und da von einem heftigen Husten befallen werden.

      Dieß sind einige wenige Züge von der Wichtigkeit und dem Ernste eines Kirchspielsdieners – ein Ernst, von dem er sich, so viel wir haben beobachten können, nie und unter keinen Umständen trennt, den einzigen Fall ausgenommen, wenn die Dienste jener besonders nützlichen Maschine, der Kirchspielsfeuerspritze, in Anspruch genommen werden. Dann hört man freilich nichts, als einen rührigen tollen Lärm. Ein paar kleine Knaben laufen, so schnell als sie ihre Füße tragen können, zum Kirchspielsdiener und hinterbringen ihm, daß sie selbst einen benachbarten Schornstein hätten brennen sehen. Die Feuerspritze wird nun schleunig hervorgezogen, eine hinreichende Menge von Knaben herbeigeholt, mit Stricken vor die Spritze gespannt, und fort rasselt diese über das Pflaster. Der Kirchspielsdiener rennt – wir übertreiben nicht – rennt athemlos neben her, bis man vor einem stark nach Ruß riechenden Hause anlangt, an dessen Thüre der Würdenträger mit unabweichlichem Ernste eine halbe Stunde lang klopft. Wenn die Hausbewohner diesen Manipulationen keine

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