Charles Darwin: Die Vögel und die geschlechtliche Zuchtwahl. Carles Darwin
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Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern fluktuiert unbedeutend während aufeinanderfolgender Jahre. So variierte bei Rennpferden für je hundert geborener Weibchen die Zahl der Männchen von 107,1 in dem einen Jahre bis zu 92,6 in einem anderen Jahre, und bei Windspielen von 116,3 zu 95,3. Wären aber Zahlen aus einem noch ausgedehnteren Bezirk, als England ist, tabellarisch zusammengestellt worden, so würden wahrscheinlich diese Fluktuationen verschwunden sein, und so wie sie sind, dürften sie kaum genügen, um zur Wirksamkeit der geschlechtlichen Zuchtwahl im Naturzustande zu führen. Nichtsdestoweniger scheinen bei einigen wenigen wilden Tieren, wie im Anhang gezeigt werden wird, die Proportionen entweder während verschiedener Jahre oder in verschiedenen Örtlichkeiten in einem hinreichend bedeutenden Grade zu schwanken, um zu einer derartigen Wirksamkeit zu führen. Denn man muss beachten, dass irgendein Vorteil, der während gewisser Jahre oder in gewissen Örtlichkeiten von denjenigen Männchen erlangt wurde, welche imstande waren, andere Männchen zu besiegen, oder welche für die Weibchen die meiste Anziehungskraft besaßen, wahrscheinlich auf deren Nachkommen überliefert und später nicht wieder eliminiert werden würde. Wenn während der aufeinanderfolgenden Jahre infolge der gleichen Zahl der Geschlechter jedes Männchen überall imstande wäre, sich ein Weibchen zu verschaffen, so würden die kräftigeren oder anziehenderen Männchen, welche früher erzeugt wurden, doch immer noch mindestens ebensoviel Wahrscheinlichkeit haben, Nachkommen zu hinterlassen, als die weniger kräftigen und weniger anziehenden.
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Polygamie. – Die Gewohnheit der Polygamie führt zu denselben Resultaten, welche aus einer faktischen Ungleichheit in der Zahl der Geschlechter sich ergeben würden. Denn wenn jedes Männchen sich zwei oder mehrere Weibchen verschafft, so werden viele Männchen nicht imstande sein, sich zu paaren; und zuverlässig werden diese letzteren die schwächeren oder weniger anziehenden Individuen sein. Viele Säugetiere und einige wenige Vögel sind polygam; bei Tieren indessen, welche zu den niederen Klassen gehören, habe ich keine Zeugnisse hierfür gefunden. Die intellektuellen Kräfte solcher Tiere sind vielleicht nicht hinreichend groß, um sie dazu zu führen, einen Harem von Weibchen um sich zu sammeln und zu bewachen. Dass irgendeine Beziehung zwischen Polygamie und der Entwicklung sekundärer Sexualcharaktere existiert, scheint ziemlich sicher zu sein; und dies unterstützt die Ansicht, dass ein numerisches Übergewicht der Männchen der Tätigkeit geschlechtlicher Zuchtwahl ganz außerordentlich günstig sein würde. Nichtsdestoweniger bieten viele Tiere, besonders Vögel, welche ganz streng monogam leben, scharf ausgesprochene sekundäre Sexualcharaktere dar, während andererseits einige wenige Tiere, welche polygam leben, nicht in dieser Weise ausgezeichnet sind.
Wir wollen zuerst schnell die Klasse der Säugetiere durchlaufen und uns dann zu den Vögeln wenden. Der Gorilla scheint polygam zu sein, und das Männchen weicht beträchtlich vom Weibchen ab. Dasselbe gilt für einige Paviane, welche in Herden leben, die zweimal so viele erwachsene Weibchen als Männchen enthalten. In Süd-Amerika bietet der Mycetes caraya gut ausgesprochene geschlechtliche Verschiedenheiten in der Färbung, dem Bart und den Stimmorganen dar; und das Männchen lebt meist mit zwei oder drei Weibchen. Das Männchen des Cebus kapucinus weicht etwas von dem Weibchen ab und scheint auch polygam zu sein. [Über den Gorilla s. Savage und Wyman in: Boston Journ. of Natur. Hist. Vol. V. 1845-47, p. 423. Über Cynozephalus s. Brehm, Illustriertes Tierleben. 2. Aufl. Bd. I. 1876, p. 159. Über Mycetes s. Rengger, Naturgesch. d. Säugetiere von Paraguay. 1830, p. 14, 20. Über Cebus s. Brehm, a. a. O. p. 201.] In Bezug auf die meisten anderen Affen ist über diesen Punkt nur wenig bekannt, aber manche Spezies sind streng monogam. Die Wiederkäuer sind ganz außerordentlich polygam und sie bieten häufiger geschlechtliche Verschiedenheiten dar als vielleicht irgendeine andere Gruppe von Säugetieren, besonders in ihren Waffen, aber gleichfalls in anderen Merkmalen. Die meisten hirschartigen, rinderartigen Tiere und Schafe sind polygam, wie es auch die meisten Antilopen sind, obgleich einige der letzteren monogam leben. Sir Anderew Smith erzählt von den Antilopen in Süd-Afrika und sagt, dass in Herden von ungefähr einem Dutzend selten mehr als ein reifes Männchen sich findet. Die asiatische Antilope Saiga scheint der ausschweifendste Polygamist in der Welt zu sein; denn Pallas [Pallas, Spicilegia zoologica Fascic. XII. 1777, p. 29. Sir Anderew Smith, Illustrations of the Zoology of South Africa. 1849, pl. 29 über den Kobus. Owen gibt in seiner Anatomy of Vertebrates, Vol. III, 1868, p. 633, eine Tabelle, welche unter Anderem auch zeigt, welche Arten von Antilopen in Herden leben.] gibt an, dass das Männchen sämtliche Nebenbuhler forttreibt und eine Herde von ungefähr hundert um sich sammelt, welche aus Weibchen und Kälbern besteht. Das Weibchen ist hornlos und hat weichere Haare, weicht aber in anderer Weise nicht viel vom Männchen ab. Das wilde Pferd der Falkland-Inseln und der westlichen Staaten von Nord-Amerika ist polygam; mit Ausnahme der bedeutenderen Größe und der Verhältnisse des Körpers weicht aber der Hengst nur wenig von der Stute ab. Der wilde Eber bietet in seinen großen Hauern und einigen anderen Charakteren scharf markierte sexuelle Merkmale dar. In Europa und in Indien führt er mit Ausnahme der Brunstzeit ein einsames Leben, aber um diese Zeit vergesellschaftet er sich in Indien mit mehreren Weibchen, wie Sir W. Elliot annimmt, welcher reiche Erfahrung in der Beobachtung dieses Tieres besitzt. Ob dies auch für den Eber in Europa gilt, ist zweifelhaft, doch wird es von einigen Angaben unterstützt. Der erwachsene männliche indische Elefant bringt, wie der Eber, einen großen Teil seiner Zeit in Einsamkeit hin; aber wenn er sich mit anderen Tieren zusammentut, so findet man, wie Dr. Campbell angibt, „selten mehr als ein Männchen mit einer großen Herde von Weibchen“. Die größeren Männchen treiben die kleineren und schwächeren fort oder töten sie. Das Männchen weicht vom Weibchen durch seine ungeheueren Stoßzähne und bedeutendere Größe, Kraft und Ausdauer ab. Die Verschiedenheit ist in dieser letzteren Beziehung so groß, dass die Männchen, wenn sie gefangen sind, um ein Fünftel höher geschätzt werden als die Weibchen. [Dr. Campbell in: Proceed. Zoolog. Soc. 1869, p. 138. s. auch einen interessanten Aufsatz von Lieutenant Johnstone in: Proceed. Asiatic. Soc. of Bengal, May, 1868.] Bei anderen pachydermen Tieren weichen die Geschlechter sehr wenig oder gar nicht voneinander ab, auch sind sie, soweit es bekannt ist, keine Polygamisten. Von keiner Spezies aus den Ordnungen der Chiroptern, Edentaten, Nagetiere und Insektenfresser habe ich gehört, dass sie polygam sei, mit Ausnahme der gemeinen Ratte unter den Nagern, von der, wie einige Rattenfänger versichern, die Männchen mit mehreren Weibchen leben. Nichtsdestoweniger weichen die beiden Geschlechter einiger Faultiere (Edentaten) in dem Charakter und der Farbe gewisser Gruppen von Haaren an den Schultern voneinander ab. [Dr. Gray in: Annals and Mag. of Nat. Hist. 1871. Vol. VII, p. 302.] Auch bieten viele Arten von Fledermäusen (Chiroptern) gut ausgesprochene geschlechtliche Verschiedenheiten dar, hauptsächlich in dem Umstand, dass die Männchen Riech-Drüsen und -Taschen besitzen und von hellerer Färbung sind. [s. Dr. Dobson's vortrefflichen Aufsatz in: Proceed. Zool. Soc. 1872, p. 214] In der großen Ordnung der Nager weichen, soweit ich es habe verfolgen können, die Geschlechter nur selten voneinander ab, und wenn sie es tun, ist es nur unbedeutend in der Färbung des Pelzes.
Wie ich von Sir Anderew Smith höre, lebt der Löwe in Süd-Afrika zuweilen mit einem einzigen Weibchen, meistens aber mit mehr als einem, und in einem Falle fand man, dass er sogar mit fünf Weibchen lebte, so dass er also polygam ist. Er ist, soweit ich ausfindig machen kann, der einzige Polygamist in der ganzen Gruppe der landbewohnenden Carnivoren und er allein bietet wohlausgesprochene Sexualcharaktere dar. Wenn wir uns indess zu den See-Carnivoren wenden,