Das Geheimnis von Cloomber Hall. Arthur Conan Doyle
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Читать онлайн книгу Das Geheimnis von Cloomber Hall - Arthur Conan Doyle страница 5
Aber ach, Hochmut kommt doch immer vor dem Fall!
Es stand nicht in den Sternen geschrieben, daß unsere wohlgepflegten Ponys und unser blitzblankes Geschirr den Bewohnern von Cloomber-Hall heute imponieren sollten.
Wir hatten das Tor erreicht, und ich war eben im Begriff vom Wagen herabzuspringen, um es zu öffnen, als unsere Augen auf ein großes, hölzernes Schild fielen, welches an einen Baum so angenagelt war, daß es jedem Vorbeigehenden in die Augen fallen mußte. Auf dem Brett stand in großen, schwarzen Buchstaben folgende gastfreundliche Inschrift: »General und Frau Heatherstone wünschen den Kreis ihrer Bekanntschaften nicht zu erweitern.«
Stumm vor Überraschung starrten wir eine Zeitlang die unerwartete Absage an; dann brachen Esther und ich, als uns die ganze Komik der Situation aufdämmerte, in ein unwiderstehliches Gelächter aus.
Nicht so mein Vater, der die beiden Ponys herumriß und mit zusammengekniffenen Lippen, eine Donnerwolke drohender Entrüstung auf seiner Stirn, nach Hause zurückjagte.
Ich habe den guten Mann nie so außer sich gesehen, bin aber überzeugt, daß sein Ärger nicht durch verletzte Eitelkeit verursacht war, sondern durch den Gedanken, daß in ihm, als dem Repräsentanten des Gutsherrn von Branksome, auch der letztere beleidigt sei.
Viertes Kapitel.
Wenn ich mich überhaupt durch die uns zuteil gewordene wenig formelle Absage beleidigt gefühlt hatte, so hielt diese Stimmung bei mir nicht lange vor. Schon am nächsten Tage hatte ich Gelegenheit, wieder am Schlosse vorbeizugehen, und blieb stehen, um mir das ominöse Schild noch einmal anzusehen.
Als ich noch so dastand und mir über die mutmaßlichen Beweggründe unseres Nachbarn den Kopf zerbrach, bemerkte ich plötzlich, daß zwei hübsche, jugendfrische Mädchenaugen durch das Staket lugten und eine kleine weiße Hand mir eifrig zuwinkte, doch näher zu treten. Als ich mich näherte, sah ich, daß es dieselbe junge Dame war, welche ich zum erstenmal vor einigen Tagen in dem Wagen des Generals gesehen hatte.
»Herr West,« flüsterte sie, sich ängstlich nach allen Seiten hin umblickend, »ich muß bei Ihnen Abbitte für die Ihnen und Ihrer Schwester zugefügte Beleidigung leisten. Mein Bruder war in der Allee und sah alles, fühlte sich aber außerstande, etwas zu tun. Ich kann Ihnen versichern, Herr West, daß, wenn Ihnen das greuliche Brett da ein Dorn im Auge ist, das bei meinem Bruder und mir in noch weit größerem Maße der Fall ist.«
»Aber, Fräulein Heatherstone,« entgegnete ich lachend, um sie zu beruhigen, »England ist ein freies Land, und wenn es einem Manne einfällt, sich von der Außenwelt abzuschließen, so kann ihn niemand daran hindern!«
»Es war einfach brutal!« rief sie jetzt aus, mit ihrem kleinen Fuße aufstampfend. »Und der Gedanke, daß auch Ihre Schwester in so unerhörter Weise mit beleidigt wurde! Ich möchte in den Erdboden sinken vor lauter Scham, wenn ich nur daran denke!«
»Aber ich bitte Sie, die Sache hat ja doch gar nichts weiter zu bedeuten!« sagte ich eindringlich. »Ihr Vater hat sicher seine guten Gründe für diesen Schritt gehabt!«
»Ja, die hat er, das weiß Gott im Himmel!« rief sie niedergeschlagen. »Und doch wäre es mannhafter, denke ich, der Gefahr entgegenzutreten, als davor zu fliehen. Aber das weiß er jedenfalls am besten, und wir können nicht darüber urteilen. – »Wer kommt da?« rief sie ganz plötzlich aus, angstvoll die dunkle Allee hinabblickend. »O, es ist nur mein Bruder Mordaunt,« fügte sie hinzu, als der junge Mann herankam. »Ich habe eben bei Herrn West Abbitte getan, in deinem sowohl wie in meinem Namen, für das, was sich hier gestern zutrug!«
»Es freut mich außerordentlich, daß ich es auch noch persönlich tun kann,« sagte er höflich. »Ich wünsche nur, Ihre Schwester und Ihren Vater ebenfalls sehen zu können, um ihnen zu versichern, wie leid mir die Geschichte tut. Bitte, gehen Sie noch nicht, Herr West, ich habe noch ein Wort mit Ihnen zu reden.«
Fräulein Heatherstone winkte mir freundlich lächelnd zu und eilte davon, während ihr Bruder das Tor öffnete, zu mir herauskam und das Eisengitter sorgfältig wieder von außen verschloß.
»Ich werde ein wenig mit Ihnen spazierengehen, wenn Sie nichts dagegen haben. Rauchen Sie?« Er entnahm seinem Etui zwei Zigarren und reichte mir eine davon. »Sie sind nicht übel,« meinte er, »ich wurde während meines Aufenthalts in Ostindien Tabakkenner. Haben Sie Feuer? Hoffentlich halte ich Sie nicht von Geschäften ab?«
»Durchaus nicht,« antwortete ich, »Ihre Gesellschaft ist mir im Gegenteil sehr willkommen!«
»Ich will Ihnen etwas sagen!« erwiderte mein Begleiter. »Dies ist das erstemal, daß ich über den Schloßpark hinausgekommen bin, solange wir hier sind.«
»Und Ihre Schwester?«
»Die ist auch noch nie draußen gewesen. Ich bin dem Alten heute entschlüpft, obwohl ich weiß, daß es ihm durchaus nicht recht sein würde, wenn er es wüßte. Es ist eine seiner Launen, daß wir hier ganz unter uns bleiben sollen. Wenigstens würden es die meisten Leute eine bloße Laune nennen. Ich selbst habe Ursache zu glauben, daß er für alles, was er tut, seine guten Gründe hat, obgleich er in diesem Fall vielleicht etwas zu streng ist.«
»Sie müssen es hier sehr einsam finden,« sagte ich. »Könnten Sie nicht dann und wann einmal zu uns herüberkommen? Das Haus dort drüben ist Branksome.«
»Sie sind wirklich sehr freundlich,« antwortete er mit leuchtenden Augen. »Ich wünsche nichts sehnlicher. Unseren alten Kutscher und den Gärtner Israel Stakes ausgenommen, gibt es hier keine Seele, mit der man sich unterhalten könnte.«
»Und Ihre Schwester? Für die muß es noch schlimmer sein!« sagte ich. Mir schien es nachgerade, als ob mein neuer Bekannter sich etwas zu viel über seinen eigenen Kummer und zu wenig über den seiner Schwester grämte.
»Freilich,« antwortete er gleichgültig, »die arme Gabriele leidet ja auch darunter, aber es ist doch für einen jungen Mann bei weitem unnatürlicher in dieser Weise eingemauert zu sein, als für ein Mädchen. Bedenken Sie doch! Ich werde im nächsten März dreiundzwanzig Jahre alt und habe nie eine Universität, ja nicht einmal eine Schule besucht. Ich bin gerade so unwissend, wie irgendeiner von diesen Klutentramplern hier herum. Es mag Ihnen sonderbar vorkommen, ist aber trotzdem der Fall. Glauben Sie nicht selbst, daß ich ein besseres Schicksal verdient hätte?«
Er stand still, während er sprach, und sah mir voll ins Gesicht, seine Hände wie flehend erhoben.
Als ich ihn ansah, während er von der Morgensonne beschienen dastand, konnte ich nicht umhin, die Billigkeit seiner Worte anzuerkennen. Muskulös und hochgewachsen, sah er mit seinem strengen, dunklen Gesicht und den fein gemeißelten Zügen fast aus, als sei er aus dem Rahmen eines alten Charaktergemäldes von Murillo oder Velasquez herausgetreten. Sein massives Kinn und die buschigen Augenbrauen, sowie seine ganze elastische, zähe Figur zeugten von schlummernder Energie und Tatkraft.
»Es gibt zweierlei Arten von Weisheit,« bemerkte ich. »Die eine kommt aus Büchern, die andere aus der Erfahrung. Wenn Sie vielleicht um Ihren rechtmäßigen Anteil an der ersteren betrogen sind, so werden Sie durch einen Löwenanteil an der letzteren entschädigt sein. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie Ihr ganzes Leben in Vergnügungen und Nichtstun vergeudet haben sollten.«
»Vergnügungen!«