Das Geheimnis von Cloomber Hall. Arthur Conan Doyle
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Читать онлайн книгу Das Geheimnis von Cloomber Hall - Arthur Conan Doyle страница 6
»Sie müssen viel durchgemacht haben,« sagte ich überrascht, »vielleicht eine schwere Krankheit in Ihrer Jugend? Oder sollten vielleicht chronische Ursachen zugrunde liegen? Fortwährend peinigende Sorge und Angst? Ich habe schon junge Männer in Ihrem Alter gekannt, deren Haar ebenso grau war.
Wenn es Ihnen möglich sein sollte, von Zeit zu Zeit nach Branksome zu kommen, so könnten Sie am Ende auch Fräulein Heatherstone mitbringen,« versetzte ich. »Meine Schwester und mein Vater würden sich unbedingt sehr freuen, sie zu sehen, und eine wenn auch noch so kurze Abwechslung würde ihr wohltun.«
»Es wird für uns beide ziemlich schwer halten fortzukommen,« antwortete er. »Wenn es jedoch irgendwie möglich ist, werde ich sie mitbringen. Vielleicht läßt es sich einmal am Nachmittag machen, da der Alte dann häufig eine Siesta hält.«
Als wir den schlängelnden Pfad erreichten, der von der Chaussee abzweigend, unserem Hause zuführte, machte mein Begleiter halt.
»Ich muß jetzt zurück,« sagte er, »man wird mich sonst vermissen. Es ist sehr freundlich von Ihnen, West, solches Interesse an uns zu nehmen. Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, und Gabriele wird es ebenfalls sein, wenn sie von Ihrer freundlichen Einladung hören wird. Nach dem abscheulichen Schilde meines Vaters sind es wirklich feurige Kohlen, die Sie auf meinem Haupte sammeln.«
Er reichte mir die Hand und wandte sich zum Gehen, kam aber plötzlich zurück.
»Es fiel mir gerade ein,« sagte er, »daß wir in Cloomber Ihnen höchst rätselhaft vorkommen müssen. Sie halten es am Ende gar für eine Privat-Irrenanstalt, und ich kann es Ihnen nicht übelnehmen. Da Sie sich wahrscheinlich dafür interessieren, ist es eigentlich unfreundlich von mir, Sie nicht darüber aufzuklären; aber ich habe meinem Vater das strengste Schweigen darüber geloben müssen. Und wirklich, wenn ich Ihnen auch alles erzählen würde, was ich selbst darüber weiß, so würden Sie doch nicht viel klüger sein als jetzt. Nur eins kann ich Ihnen versichern: mein Vater ist gerade so vernünftig wie Sie oder ich, und hat sehr gute Gründe für alles, was er tut und wenn es auch noch so widersinnig erscheinen mag. Sein einziger Beweggrund für diese eingemauerte Einsamkeit ist der Selbsterhaltungstrieb, nicht etwa unlautere oder unehrenhafte Motive.«
»Er befindet sich also in Gefahr?« rief ich aus.
»Ja, in fortwährender Gefahr!«
»Aber weshalb wendet er sich dann nicht an die Obrigkeit um Schutz?« fragte ich. »Wenn er von irgend jemand bedroht wird, braucht er das ja nur zu sagen, und man wird sofort die nötigen Schritt für seine Sicherheit tun.«
»Mein lieber West,« sagte da der junge Heatherstone, »die Gefahr, von der mein Vater sich bedroht sieht, kann durch keine menschliche Dazwischenkunft abgewandt werden. Sie ist aber nichtsdestoweniger vorhanden, und wir stehen vielleicht jetzt gerade nah vor einer Krisis!« –
»Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß sie eine übernatürliche ist?« fragte ich ungläubig.
»Kaum,« entgegnete er zögernd. »Aber,« fuhr er fort, »ich habe jetzt schon mehr gesagt, als ich eigentlich darf. Ich weiß jedoch, daß Sie mein Vertrauen nicht mißbrauchen werden. Gott befohlen!«
Er machte sich auf und davon und war meinen Augen bald hinter einer Krümmung der Landstraße verschwunden.
Eine drohende und vielleicht nahe bevorstehende Gefahr, durch keine menschliche Dazwischenkunft abzuhalten und doch wieder kaum übernatürlich zu nennen! Wer löste das Rätsel? –
Ich hatte mich daran gewöhnt, die Heatherstones einfach für exzentrisch zu halten; aber nach dem, was der junge Mordaunt mir erzählt hatte, konnte ich nicht länger zweifeln, daß etwas Dunkles und Unheilvolles alle ihre Handlungen bestimmte. Je mehr ich aber über sie nachdachte, desto unheimlicher wurden sie mir nur, und doch konnte ich mir die Geschichte nicht aus dem Kopfe schlagen.
Das einsame stille Schloß und die furchtbare Katastrophe, die wie ein Damoklesschwert über den Häuptern seiner Bewohner hing, hatten meine Einbildungskraft fieberhaft erregt. Den ganzen Abend und bis tief in die Nacht hinein saß ich am Kamin, in Nachdenken versunken über alles, was ich gehört hatte, aber außerstande, eine Lösung zu finden für das rätseldunkle Geheimnis.
Fünftes Kapitel.
Es ist wohl kein Wunder, daß ich mich mehr und mehr mit General Heatherstone und dem Geheimnis, das ihn umgab, beschäftigte, als Wochen vergingen, ohne daß ich von den Bewohnern von Cloomber-Hall etwas sah oder hörte. Vergebens strebte ich durch Arbeiten aller Art und strenge Hingabe an meine Pflichten als Gutsverwalter meinen Gedanken wieder eine andere Richtung zu geben. Was ich auch tun mochte, zu Wasser oder zu Land, immer und immer wieder grübelte ich über das Rätsel nach, bis es mir endlich klar wurde, daß es vergebens sei, mich mit irgend etwas anderem zu beschäftigen, solange ich das Problem nicht gelöst haben würde. Nie konnte ich an der langen, düstern, fünf Fuß hohen Umzäunung und dem großen eisernen Tore mit seinem massiven Schlosse vorbeigehen, ohne stehen zu bleiben und mir über das Geheimnis, das hinter diesem unübersteigbaren Hindernis verborgen sein mußte, den Kopf zu zerbrechen.
Aber mit allen meinen Mutmaßungen konnte ich zu keiner Schlußfolgerung gelangen, die auch nur einen Augenblick als eine Erklärung der Tatsachen hätte gelten können. –
Meine Schwester war eines Abends ausgegangen, um einen kranken Bauern zu besuchen, oder sonst irgendeinen der vielen Liebesdienste zu verrichten, durch welche sie sich weit und breit im Lande bald beliebt gemacht hatte.
»John,« sagte sie, als sie heim kam, »hast du Cloomber-Hall heute abend beobachtet?«
»Nein,« erwiderte ich, das Buch, in welchem ich gerade las, niederlegend, »abends überhaupt nicht seit dem Abend, an welchem der General und Mc. Neil herüberkamen, um sich das Haus anzusehen.«
»Willst du dann, bitte, deinen Hut holen und einen kleinen Spaziergang mit mir machen?« entgegnete Esther.
Ich konnte ihr ansehen, daß sie irgend etwas aufgeregt und nervös gemacht haben mußte.
»Aber, gütiger Himmel,« rief ich, »was ist denn mit dir los? Das alte Schloß brennt doch wohl nicht? Du siehst ja aus, als ob ganz Wigtown in Flammen stände!«
»Ganz so schlimm ist es wohl nicht,« erwiderte sie lächelnd. »Aber, bitte komm, John. Du mußt es dir ansehen.«
Ich hatte, aus Furcht, sie zu beunruhigen, meiner Schwester nie etwas von dem fast krankhaften Interesse, das ich für unsere Nachbarn hatte, gesagt. Auf ihre Bitte nahm ich meinen Hut und folgte ihr in die Dunkelheit hinaus. Sie ging auf einem schmalen Fußpfade durch das Moor voran, bis wir auf eine kleine Anhöhe kamen, von welcher wir über die das Schloß umsäumenden Fichten hinweg auf dieses hinunterblicken konnten.
»Sieh doch nur!« sagte meine Schwester, während sie auf der Spitze des kleinen Hügels stehenblieb.
Cloomber lag wie in einem Lichtmeer gebadet vor uns. In der unteren Etage verdunkelten die Fensterläden den Schein, aber von den breiten Fenstern des zweiten Stockwerkes bis zu den engen Gucklöchern des Turmes war nicht ein Schlitz, nicht eine Spalte, die nicht einen Strom von Licht ausstrahlte.
So blendend war die Wirkung, daß ich zuerst überzeugt war, das Haus brenne; aber die ruhige und klare Helle enthob mich bald dieser Sorge. Es war augenscheinlich das Resultat einer systematischen Aufstellung