Mit Gudrun nach Göteborg. Stefan Lage
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Typisch, denke ich und schaue mir die Treppe an. Von unten. Schaue mir Gudrun an. Schaue mir nochmal die Treppe an. Wird nicht besser mit der Zeit, also lass ich das mit dem anschauen und mache mich auf die Suche nach einem Fahrstuhl. Und – wie toll ist das denn? – sowas gibt es tatsächlich. Finden die anderen Fahrradfahrer auch toll. Und stehen Schlange vor der einzigen Kabine. Die gerade mit einer mitteljungen Dame in Armani und Dior und einem Hauch von Handtäschlein nach oben entschwebt. Da wartet man doch gerne. Irgendwann schwebt aber der Fahrstuhl wieder nach unten. Und nun stellt sich heraus, dass in dieses tolle Gefährt, welches zur Erleichterung des Transportes von Fahrrädern und Rollstühlen erbaut wurde, genau folgendes hinein passt: Entweder ein halbes Fahrrad oder ein ganzer Rollstuhl, aber ohne Person, die selbigen schiebt (was zu einem lustigen Wettrennen des Fahrstuhls mit einem schwitzenden, die Treppe hinauf hastenden Zivildienstleistenden führt) oder eine Dame mit Handtäschlein. Eine nur bedingt praktische Sache, besonders, wenn man es eilig hat. Was auf einem Bahnhof ja gelegentlich vorkommen soll.
Jetzt stellt es sich als Glücksfall heraus, dass meine Gudrun leicht überladen und damit etwas Hecklastig ist (siehe Bonn-Hauptbahnhof). Ich schiebe Gudrun in die Kabine und es bedarf nur geringfügigen guten Zuredens und Gudrun setzt sich brav auf den Arsch. Nun den Lenker hoch, Vorderrad an der Kabinenwand entlang nach oben schieben, Fahrstuhltür zu und schon entschweben auch wir unter den Jubelrufen der begeistert applaudierenden Mitwartenden nach oben. Bisschen blöd nur, dass oben die andere Tür aufgeht und Gudrun und ich etwas stürmisch aussteigen. Kann man von unten aber nicht sehen, macht also nichts. Alles wieder an die richtigen Stellen sortiert und los zu Gleis 98b, Fahrstuhl, bewährte Stapeltechnik anwenden, runter und in den Zug. Soweit der Plan. Der Fahrstuhl zu Gleis 98b kennt diesen Plan nicht und stellt sich bockig. Man kann hinein gehen und Knöpfe drücken. Mehr geht leider nicht. Ist zwar auch schön, aber auf Dauer führt einen das ja nicht weiter. Geschweige denn nach unten. Dahin führt jetzt nur noch die Treppe. Ich klemme mir Gudrun unter den Arm, ermahne sie eindringlich, sie müsse mal etwas Gewicht abnehmen und mache mich todesmutig an den Abstieg. Wie sich später herausstellt, ein gutes Training, denn den letzten funktionierenden Fahrstuhl auf einem deutschen Bahnhof habe ich gerade hinter mir gelassen.
Jetzt im Moment stellt sich aber nur zweierlei heraus: Dass ich und ein maßlos überpacktes Fahrrad unterm Arm nicht die ideale Konstellation ist und dass der Zug nach Lübeck weg ist. Beides überrascht mich nicht besonders. Das Gute ist aber, dass in 20 Minuten schon der nächste Zug fahren soll – das müsste dann der 40 Minuten verspätete Zug sein, der 15 Minuten vor meinem eigentlichen Zug fahren hätte sollen, wenn dieser dann nicht 50 Minuten Verspätung gehabt hätte, weshalb der Zug, denn ich gerade verpasst habe, der war, der vor 60 Minuten hier hätte abfahren sollen. Bahnmathematik halt. Wenn nun also der aktuell verspätete Zug pünktlich verspätet eintreffen sollte und auf dem Bahnhof nicht noch weitere Verspätung ansammeln würde (was von der Bahn immer sehr gerne genommen wird – wer kann schon damit rechnen, dass tatsächlich mal ein Zug im Bahnhof ankommt. Dass muss dann wohl gründlich untersucht werden. Und sowas dauert), dann könnte ich mit viel Glück sogar noch meine Fähre in Travemünde erreichen. Also wenn ich vom Bahnhof, der so weit entfernt wie möglich vom Fähranleger gebaut wurde, so zügig (haha!) wie möglich zur Fähre radeln würde. Also alles tutti bis hier.
De Zoch kütt (da geht meine neuerdings und überraschenderweise ausgebrochene Rheinlandbegeisterung schon wieder mit mir durch.) Und was soll ich sagen? Fahrräder kann man einfach so durch die geöffnete Tür schieben (!), abstellen und sich daneben (!) auf einen Sitzplatz setzen. Das gibt aber mal ein kräftiges Lob an die Deutsche Bahn. Auch wenn man fairerweise erwähnen sollte, dass diese Strecke von einem Konkurrenzunternehmen befahren wird. Was mich verwirrt. Für Verspätungen ist ja eigentlich die Deutsche Bahn zuständig. Wenn das hier aber gar nicht die Deutsche Bahn ist, wieso denn dann die Unpünktlichkeit? Das freundliche Lautsprechermännlein klärt mich auf: „Wir bitten auch alle neu zugestiegenen Fahrgäste für die Verspätung um Entschuldigung. Grund war ein liegengebliebener ICE auf der Strecke.“ Ach so.
Wenn man nach Travemünde will, steigt man logischerweise in Kücknitz aus. Das ist so, weil man mir das so gesagt hat. Dann mach ich das auch so. Der Bahnhof von Kücknitz ist exakt so, wie der Name schon nahe legt. Ich möchte deshalb und weil ich es etwas eilig habe nicht weiter auf die Trostlosigkeit dieser Örtlichkeit eingehen, die sich eigentlich nur durch ein leicht verwahrlostes Schild mit der Aufschrift „Kück itz“ vom Rest der trostlosen Landschaft unterscheidet. Naja, nun bin ich doch darauf eingegangen. Es macht also Sinn, den letzten Satz einfach zu überlesen. Es dunkelt bereits merklich, die Zeit rinnt unerbittlich dahin, die Abfahrtszeit der Fähre rückt mit lautem Ticken näher. Ich bereite mich auf einen strammen Ritt zum Fähranleger vor.
Doch dann die Überraschung: Vor dem Bahnhof (auch wenn das Wort Bahnhof hier ein bisschen schwer über die Lippen kommt) steht einsam und alleine ein alter VW-Bus und wartet auf wen? Auf mich! 2 liebe alte Freunde aus Lübeck haben von meiner Not erfahren (durch mich bzw. mein mobiles Telefon) und wollen mich erretten. Nicht, dass in dem Bulli jetzt tatsächlich noch Platz für ein Fahrrad gewesen wäre, aber der gute Wille zählt. Denke ich. Womit ich nicht gerechnet habe, ist der Erfindungsreichtum und die Stauerfahrung eines alten VW-Bus Kämpen. Wir fahren los und ich schaue mich alle paar Meter um, um mich zu vergewissern, dass Gudrun wirklich an Bord ist. Nützt aber eigentlich nichts – von Gudrun ist nichts zu sehen. Ich weiß aber, dass sie da ist, weil ich die Einlagerung selbst gesehen habe. Auch wenn ich es nicht recht glauben konnte, aber irgendwo da unter den ganzen Kisten und Werkzeugen und Angelsachen und Kochgeschirr und Baumaterial und Matratzen und Supermarkteinkäufen muss sie stecken. Auf jeden Fall schaffen wir die Fähre nun doch noch.
Kurz vor dem Fahrkartenhäuschen bitte ich meine lieben Freunde, ein klitzekleines Stück zurück zu fahren, so bis hinter die Hecke da, ja, danke sehr! Hoch zu Ross radel ich sodann zum Fahrkartenschalter und zeige stolz mein Ticket. Nicht ohne zu erwähnen, dass ich aus Bonn komme. Heute. Die Dame im Fahrkartenhäuschen ist sichtlich beeindruckt und kommentiert meine sensationelle Leistung mit: „per Anhalter oder was?“ Ich drehe mich um und sehe meine lustigen Freunde in 20 Meter Entfernung fröhlich aus dem Bulli winken. „Aber nur das letzte Stück!“ sage ich, aber ich weiß nicht, ob die Skeptikerin in ihrer Bude mir noch zuhört.
Ich wechsel das Thema. „…hätte es fast nicht geschafft“ sage ich „Aber dann wär ich einfach morgen gefahren. Null Problemo!“ „Doch Problemo“ korrigiert mich die Dame. „Ohne Reservierung geht morgen gar nix!“ „Aber ist doch total leer hier“ konter ich „Warum soll morgen denn mehr los sein?“ Die Dame schaut mich mitleidig an, offenbar über meinen Geisteszustand nachdenkend „Sommer!“ sagt sie vieldeutig. „Viele Urlauber. Alle Kabinen reserviert. Und ohne Kabine keine Überfahrt!“ Mir wird ein bisschen unwohl. Vorausschauende Seekrankheit wahrscheinlich. „Übrigens wird es hier gleich noch leerer sein, dann bin ich nämlich auch weg. Und das Schiff auch.“ Meint die Dame durchaus freundlich. „Wieso?“ frage ich ziemlich blödsinnig. „Weil Sie der letzte sind. Und wenn ich Sie wäre, würd ich mich jetzt mal langsam auf den Weg machen. In 2 Minuten schließen die die Luke und dann dürfen Sie höchstens noch winken“. Oha. Warum hält die mich auch so lange auf mit ihrem Geschnatter.
Ich trete in die Pedale wie ein Wilder und rausche ungebremst und heftig scheppernd über die Ladeluke aufs Autodeck. Und nu? Hinter mir wird allerhand mit Seilen und Ketten und Blechen und viel Lärm und Getöse gewerkelt – das scheint irgendwie dazu notwendig zu sein, um die riesige Klappe zu schließen, durch die Hunderte von Autos und LKW und Bussen und ein Radfahrer aufs Schiff gestapelt wurden. Ich fühle mich noch nicht hinreichend gestapelt und wedel – vielsagend fragend, wie ich meine – mit meinen Armen in Richtung eines Arbeitsmannes, der gerade nicht mit Seilen und Ketten beschäftigt zu sein scheint. „Wohin!?“ brülle ich zur