Mit Gudrun nach Göteborg. Stefan Lage
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Außerdem soll hier noch ein Badezimmer mit WC, Waschbecken und Dusche verborgen sein. Aber wo? Ich schlängel mich wieder Richtung Eingangstür und taste die Wände ab. Hohl klingt es überall, das bringt mir noch nichts. Dann entdecke ich in einer Wand verborgen eine Tür und dahinter - ist irgendetwas, ich kann es nur nicht sehen, weil die Tür mir nun die Sicht versperrt. Erst muss die Tür wieder zu, dann schlängel ich mich daran vorbei, Tür wieder auf und – voila! Das Bad. Auf den ersten Blick ist es überschaubar, auf den zweiten Blick auch. Es gibt ein Miniaturwaschbecken und darunter die Toilette. Wenn man sich schräg über die Toilettenschüssel lehnt, kann man sich mit einer Hand gegen den Spiegel stützen und mit der anderen Hand die Zähne putzen. Bei heftigem Seegang vielleicht ganz nützlich, um eventuelle Schräglagen des Schiffes auszugleichen, aber hier im Hafen ist das nichts. Ich benutze lieber die Dusche, die schräg oberhalb der Toilette angebracht ist. Man kann sich einen glibberigen Vorhang mit zweifelhaften Vorbenutzern um den Leib schlingen, um die vollständige Überflutung des Bades zu verhindern, es nützt aber nichts. Ich finde es ganz lustig, mal zu duschen wie auf der russischen Raumstation und probiere es gleich mal aus. Das Wasser riecht nach etwas, was da nicht hineingehört, aber ich werde nass und sauber. Der Rest des Badezimmers wird nur nass.
Unter der Dusche untersuche ich meinen Körper auf die für Radfahrer typischen weißen Stellen an Oberarmen und Oberschenkeln. Leider ist davon auch bei gründlicher Untersuchung noch nicht viel zu sehen, was ich nach der langen Tour über das Hafengelände schon ein bisschen enttäuschend finde. Ich denke ein wenig über professionelle Radfahrer nach, zu denen ich jetzt ja gewissermaßen zähle. Auch wenn meine Tour zugebenermaßen noch in der Anfangsphase steckt, fühle ich mich dem gewöhnlichen Autotouristen doch schon recht weit entfremdet. Ich meine, Autofahrer – das ist doch eine ganz andere Welt, eine furchtbar touristische Welt, die ich schon vor Stunden verlassen habe. Echte Reisende fahren mit dem Rad und entdecken die Natur und die Landschaft und kommen in Kontakt zu den Menschen und sind deshalb keine Touristen. Es sind freundliche Besucher, interessiert an Leuten und Gebräuchen, jedoch keinesfalls aufdringlich, sondern stets angenehm zurückhaltend. Sie lernen vorab die Sprache, kaufen im örtlichen Kaufmannsladen ein und bemalen ihr Fahrrad in den Landesfarben. Fast schon Einheimische, könnte man sagen. So wie ich. Autofahrer hingegen – ach, die sind mit uns Radfahrern ja überhaupt nicht zu vergleichen. Wir sind schon ein besonderes Völkchen, wir Radfahrer, denke ich. Und doch ganz natürlich geblieben, einfach und bescheiden.
Solchermaßen innerlich gestärkt mache ich mich daran, mal ein wenig durchs Schiff zu flanieren. Großmütig denke ich daran, dass ja nicht jeder als Radfahrer geboren werden kann und manch Autofahrer vielleicht gar nichts dafür kann, dass er es halt nur bis zum Autofahrer gebracht hat. Natürlich werden mich alle sofort als Radfahrer erkennen, da sie mich ja mit bewundernden und etwas neidischen Blicken beobachtet haben, wie ich forsch und doch elegant aufs Schiff gebyket kam. Geentert, sagen wir Seeleute auch, aber ich will die Landratten hier nicht unnötig mit Fachchinesisch verwirren.
Leider scheint es den restlichen Passagieren aber komplett gleichgültig zu sein, dass sie einen waschechten Radfahrer an Bord haben. Sind alle viel zu viel mit sich selbst beschäftigt, stelle ich fest und mich selbst an die Reling, von wo aus ich einen, wie ich hoffe, kenntnisreich-weltbefahrenen und deshalb leicht gelangweilten Blick auf die Weiten des Ozeans werfe. Wobei gelangweilt es ganz gut trifft, denn viel zu gucken gibt es ja eigentlich nicht auf so einem Ozean. Wasser halt, und davon viel. Selbst in der realistisch betrachtet doch überschaubar kleinen Ostsee. Wenn man sich die Ostsee auf der Karte ansieht, sollte man doch meinen, dass bei den paar Zentimetern Wasser Schweden längst zu sehen sein müsste. Ist es aber nicht. Wegen der Erdkrümmung. Die Erdkrümmung sorgt nämlich dafür, das Dinge, die eigentlich so furchtbar weit weg gar nicht sind, trotzdem nicht gesehen werden können. Es liegt daran, dass die Schwerkraft das Wasser, weil es schwer ist, nach unten zieht, während sie dem Licht, welches viel leichter ist, nichts anhaben kann. Da die Augen nun aber stets dem Licht folgen und von Wasser schnell gelangweilt werden, verschwindet das Wasser unterhalb des Blickes der Schwerkraft folgend und der Blick verliert sich mit dem Licht in der unendlichen Weite des Ozeans. Abends, wenn wenig Licht ist, geht dass logischerweise noch schneller. Es ist Abend, meine Augen langweilen sich in der unendlichen Weite und ich geh was essen.
Skandinavisches Buffet. Das ist jetzt aber mal was für die wirklich Hungrigen. Da stapeln sich all die leckeren Dinge, die man in Skandinavien nie und nimmer serviert bekommt. Hähnchen und Würstchen und Kartoffelgratin und Nudeln und Hackbällchen und Pommes Frites und Schweinebraten und dunkle Soße und Brot und dreierlei Suppen und viererlei Salate und allerlei Gemüse und was weiß ich nicht alles. Esse ich natürlich alles nicht. Jetzt kommt nämlich der Geheimtipp (der eigentlich nun kein Geheimtipp mehr ist, weil ich ihn in einem massenhaft verbreiteten Standardwerk enthülle): Fisch. Beim Skandinavischen Buffet niemals die Sattmacher nehmen, sondern an Fisch halten. Fisch, Garnelen, Krabben, Krebse – zu Fisch zählt alles, was aus dem Wasser kommt. Deshalb nämlich, weil a) Fisch am teuersten ist und man will ja was haben für sein Geld und b) Fisch bekanntlich nicht satt macht. Kann man also viel mehr von essen, was wieder a) Geld spart. Ich häufe mir einen Teller schön voll mit gekochtem Lachs und Meerrettichsahne. Sehr lecker! Und dann bin ich satt. Komisch.
Ich geh also in meine Kabine. (oder müsste es heißen „auf meine Kabine“? Man sagt ja auch „ich geh mal auf mein Zimmer“. Warum eigentlich? Auf dem Zimmer wäre ja eigentlich über dem Zimmer, was einem nichts nützen würde, wenn man hinein will, weil die Tür ja nicht über dem Zimmer sondern an der Seite angebracht ist. Man wäre dann vielleicht beim Nachbarn von oben, der sicher nett ist, aber wäre er einverstanden, wenn man sich auf seinen Fußboden legt, um auf seinem Zimmer zu sein? Schwierig. Und wohin ginge der Nachbar, wenn er auf sein Zimmer wollte? Angenommen, er wohnt direkt unterm Dach. Müsste er vielleicht sagen „ich gehe unter mein Zimmer“? Dann wäre er bei mir und ich bei ihm. Auch eine Art Patt-Situation). In meiner Kabine lege ich mich schlafen, wach auf und bin in Schweden. Schlafen spart Zeit!
Apropos sparen – das Frühstück spare ich mir auch, nach einem Blick in das Frühstücksrestaurant. Ein infernalischer Radau wie vor den Toren von Jericho vermittelt bereits kurz nach Verlassen der Kabine einen akustischen Eindruck von der Lage am Buffet, der dann vom visuellen Eindruck noch übertroffen wird. Ungefähr 500 Kinder außer Rand und Band dürfen das erste Mal in ihrem noch kurzen Leben ein Frühstück ganz alleine für sich alleine zusammenstellen und sich dabei frei im Raum bewegen. Jedes einzelne scheint zu glauben, dass dies auch das letzte Mal in seinem Leben sein wird und rast wie angestochen laut schreiend mit seinem Tellerchen von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten. Brötchen! Nutella! Würstchen! Noch mehr Nutella! Das Paradies ist eingetroffen und die Eltern würden es niemals bemerken, wenn man sie nicht sofort und lautstark und immer wieder darauf aufmerksam machen würde. Die Eltern wirken hingegen nicht alle und nicht so vollständig begeistert. Eher müde, entnervt und untercoffeiniert. Wie gut, denke ich, dass ich nie so ein Kind war. Oder überhaupt je eines war.
Ich schleife also mein reichliches Gepäck zum Fahrstuhl, der aufgrund der kurzen, aber immer noch andauernden Frühstückzeit ausnahmsweise mal nicht überfüllt ist und rausche gen Meeresboden. Beziehungsweise Schiffsboden, aber hier, in einem kleinen engen Stahlkasten innerhalb eines sehr viel größeren Stahlkastens fühlt es sich verdammt nach Meeresboden an. Als ich das Fahrzeugdeck betrete, wird es nur unwesentlich besser. Eigentlich wird es schlechter. Hier unten gibt es genau so wenig Fenster wie im Fahrstuhl, dazu kommt aber ein Ohrenbetäubendes Spektakel, den das offenbar waidwunde Schiff dem Untergang geweiht von sich gibt. Die Motoren blubbern und spucken und röcheln auf eine zutiefst unmotorenmäßige Art, die Stahlwände ächzen und krachen und jaulen, als ob sie sich an ultimativen