Reisen Band 1. Gerstäcker Friedrich

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Reisen Band 1 - Gerstäcker Friedrich

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uns geschadet zu haben; kaum eine halbe Minute später saß ich wieder im Sattel, und hatt' ich bis dahin mein Thier wirklich geschont, so half jetzt wenigstens kein längeres Sträuben. Der Correo, der meinen Unfall nicht einmal bemerkte, oder wenn er ihn bemerkte, sich den Kuckuck darum kümmerte, war indeß in der mehr und mehr einbrechenden Dämmerung weit, weit vorausgeeilt, der mußte wieder eingeholt werden, und das von Schweiß triefende Thier that, von Peitsche und Sporn getrieben, sein Möglichstes.

      Der Anblick der Steppe hatte indessen eine höchst eigenthümliche, fast wunderbare Veränderung erlitten. Die feuchten, dem niedern Boden entsteigenden Schwaden hoben sich und verwandelten, vielleicht auch mit ihrer Abspiegelung in der dunstgetränkten Atmosphäre, die Ebene in ein milchweißes, von dem Wiederglanz der Wolken roth überhauchtes Meer, in dem ich selber, jetzt nicht einmal mehr eine Bahn erkennend, dahinsprengte. Ich überließ es meinem Thier, seinen Kameraden zu folgen, und nur manchmal klangen die Hufschläge derselben aus weiter Ferne herüber. In der That hatt' ich auch fast vergessen, daß ich mich hier auf keineswegs gemüthlichem Terrain, sondern auf einer Pampas befand, wo ich, wenn verirrt, meine Bahn allein auf viele hundert Meilen durch die von Feinden bedrohte Steppe suchen konnte. Der Correo hatte einmal mein Geld und kümmerte sich wenig darum, ob ich zurückblieb oder folgte. Trotzdem trübte mir ein solcher Gedanke auch nicht für einen Augenblick den jetzigen Genuß. Die Scenerie, die mich umgab, war mir zu neu, zu fesselnd, um ihr nicht auch all’meine Gedanken, meine ganze Aufmerksamkeit zuzuweden.

      Wunderbar sahen die Heerden aus, die ich, in diesem Nebel-/74/meer dahinsprengend, passirte. Nur der obere Theil ihrer Körper schaute aus den weißen Schwaden, die jetzt auch schon begannen, in weiteren Schichten anzusetzen und förmliche Hallen und Grotten zu bilden, hervor, und es sah manchmal aus, als ob sie wie in stillem Wasser geräuschlos dahinschwämmen, dann wieder, wie in tiefem Schnee watend, von Lawinen und wankenden Gletschern bedroht würden. Nicht zurückscheuchen konnte ich dabei das Gefühl, als ob ich fortwährend einen ziemlich steilen Hügel niedersprengte und nun gleich die Nebelmassen über mir zusammenschlagen müßten, und doch flog ich auf der ebenen, fast horizontalen Steppe mit schlagenden Hufen entlang. Mit einbrechender Dunkelheit stieg übrigens auch der Nebel höher, und wurde endlich so dick, daß ich kaum noch wenige Pferdelängen vor mir den Boden erkennen konnte. Aber nicht weit mehr entfernt hörte ich jetzt deutlich die drei übrigen Pferde in ihrem kurzen regelmäßigen Galopp, und ehe wir die kleine Hütte erreichten, in der wir übernachten wollten, hatte ich sie eingeholt.

      Am nächsten Morgen brachen wir sehr früh auf, denn der Nebel hatte sich in der Nacht vollkommen verzogen. Diesmal einem ziemlich berittenen Pfad folgend, auf dem sich auch deutlich ältere Wagenspuren erkennen ließen, sprengten wir durch die fruchtbaren, mit dem saftigsten Gras und Klee bedeckten Ebenen, in dem Mengen von Rindern, Pferden und Schafen weideten, oder hier und da auch gesättigt in dem sie halbverdeckenden Futter lagen und ruhig wiederkäuend die vorbeigaloppirenden Reiter betrachteten.

      Die Morgenstunde ist für die ganze Thierwelt der Steppe die Zeit der Ruhe, selbst die Raubvögel sitzen auf kleinen, niederen Büschen oder Erdhügeln in ernstem Schweigen, und kehren sich nicht an das muntere Vogelzeug, das sie umflattert. Langbeinige Störche gehen zu Paaren oder in Gruppen langsam auf den höher gelegenen, trockenen Stellen spazieren, erzählen sich vielleicht die Abenteuer der vergangenen Nacht und lachen über bestandene Fahrten, daß ihnen die Schnäbel klappern. - Mengen von Erdhöhlen, die überall den Boden durchlöchern, stehen leer; was auch in ihnen wohnt und athmet, kommt um diese Jahreszeit nicht zum Vorschein. Die Heerden, /75/ wie schon gesagt, liegen meist und käuen wieder, und selbst Pferde, die sonst wild durch die Steppe jagen, stehen schläfrig am Rand der kleinen Teiche, oder lagern ebenfalls auf dem stets für sie gedeckten Tisch der Pampas.

      Wie anders wird das Alles, wenn sich die Sonne ihrem Untergang nähert und, etwa noch eine Stunde hoch am Himmel stehend, die Wolken, die einzeln über das durchsichtige Blau des Himmels treiben, mit ihren brechenden Strahlen vergoldet. - Die Heerden sind dann alle in Bewegung; weidend, das junge Vieh spielend, ziehen sie durch die grünen, saftigen Matten - nicht der Nahrung nachgehend, denn dicht unter ihnen wuchert diese, wo sie auch stehen - nein, das Süßeste und Wohlschmeckendste heraussuchend aus dieser überreichen Speisekammer des Herrn. Die Trupps der Pferde springen und wiehern einander zu, hinein in den schmetternden Klang der herausfordernden Töne schallt das weiche, melodische Blöken der Kühe, und der schrille Ruf des Falken, der hoch über der freien Steppe kreist, scheint mit zu dem regen, geschäftigen Leben und Treiben zu gehören.

      Hei, wie die Rosse da noch einmal so munter mit den Reitern über den Rasen streichen! Weit hinten aus fliegt Grund und Gras von den flüchtigen, tief eingreifenden Hufen, und sie antworten den bekannten Lauten der Kameraden, die heut dem Lasso entgingen, um morgen vielleicht dafür desto schärfer den gewichtigen Sporn ihres Herrn zu fühlen - vorbei.

      Siehst Du, wie sich dort die Höhlen beleben, die noch vor kaum einer halben Stunde so finster und dunkel dalagen? Sieh, wie altklug das wunderliche Mittelding zwischen Hamster und Dachs vor seiner Thür sitzt und zu Dir herüberschaut, was Du zu eilen hast an dem freundlichen Abend! - Da drüben sitzt noch einer - da noch einer - dort ein dritter, vierter, fünfter! - Rechts von Dir, gerade unter dem wehenden Büschlein, das vielleicht schon Vater und Großvater Schutz und Schatten gewährt und das Mondlicht hindurchgelassen hat auf heranwachsende Geschlechter, kauert eine ganze kleine Familie, und freut sich über das Jüngste, das zum ersten Mal heut aus der Höhle kommt und ganz erstaunt und überrascht die nie geahnte Herrlichkeit der Welt anstaunt. /76/

      Dort die kleine Eule war zum Besuch über Tag bei den Nachbarn und fliegt jetzt, mit leisem, geräuschlosem Flügelschlag, zu dem Weibchen zurück, das ungeduldig schon vor der engen, steilen Höhle auf- und niedergeht und seinen Aerger so lange mit einem Spaziergang beschwichtigt hat. - Liederliches Eulenmännchen das, den ganzen Tag über, wo eine ordentliche, anständige Eule in's Nest gehört, wahrscheinlich in schlechter Gesellschaft zu sitzen oder gar, was noch schlimmer wäre, draußen im Freien herumzustreifen und seine Gesundheit den schädlichen trockenen Sonnenstrahlen auszusetzen. Wenn es jetzt Nachts seinen ordentlichen Geschäften nachgehen soll, ist es faul und schläfrig, und läßt Steppenmaus und Käfer unbeachtet an sich vorbeilaufen und surren. - Oh, was die Eulenweibchen selbst in der Steppe ihre liebe Noth haben!

      Vorbei - dort drüben weidet eine große Heerde der kleinen Pampasschafe; aber weit zurückgeblieben ist eine Mutter mit ihrem, erst vor wenigen Stunden geworfenen Lamm. Aengstlich zurückblickend und das arme kleine, schwache Ding, das sich kaum schon auf den Füßen erhalten kann, durch leises Blöken ermunternd, sucht sie nun die Heerde wieder zu gewinnen. Wenn die Nacht anbricht, fänden ja herumstreifende Raubthiere die Hülflosen ohne Schutz und Schirm.

      Sieh - der große Geier, der dort hoch oben in der Luft stand und den Platz schon eine Weile in weiten Kreisen umzog, hat sie entdeckt und stößt rasch herab, sicher geglaubte Beute zu finden - aber die sonst so scheue, ängstliche Mutter läßt das Kind nicht dem gierigen Sohn der Lüfte. - Den Kopf gebeugt, tritt sie gegen ihn an, und der Raubvogel, so stark und scharf auch Klauen und Schnabel sind, hält sich zurück vor dem Mutterzorn, sitzt nieder auf dem ihm nur wenig zusagenden Boden, und folgt unbehülflich und schwerfällig in sechs bis acht Schritt Entfernung etwa dem kleinen Lamm, das die Mutter nur vergebens zu größerer Eile antreibt. Der gierige Falke hofft auf den Tod des armen schwachen, kleinen Wesens, oder - auf die Nacht, und bleibt bei der schon sicher gehaltenen Beute, und die arme Mutter weiß, was dem Kinde droht, wenn es nicht die letzten Kräfte /77/ zusammenrafft, die nahe und doch noch so entsetzlich ferne Heerde zu erreichen.

      Vorbei - hui - dort gleitet ein Schuppenthier blitzschnell über den Pfad in das hohe Gras hinein, und der alte Gaucho richtet sich hoch auf im Sattel, ob das zur Seite geschobene Gras nicht noch einmal die Richtung anzeigt, in der das Thier verschwunden. - Die Schuppenthiere schmecken den wilden Burschen gar delicat, und vielleicht um so besser, da sie ein seltener Braten sind.

      Und was liegt dort an dem feuchten Fleck in der Steppe, wo sich in einer kleinen Senkung des Bodens Wasser vom letzten Regen gehalten? -

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