Reisen Band 1. Gerstäcker Friedrich
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Aber nicht die Indianer allein sind dem Wanderer in der weiten Steppe gefährlich, die Gauchos selber sollen ein ziemlich wildes, blutdürstiges Volk sein, und Streitigkeiten unter sich, wie auch wohl Habgier und Rache, sind die Ursachen manches offenen Todtschlags, manchen heimlichen Mords. Einen fatalen Eindruck machen, die Folge dieses Charakters, die vielen Kreuze an der Straße: - einfache, mit Riemen von ungegerbtem Leder gewöhnlich, zu einem Kreuz verbundene Stücke Holz, welche die Stelle bezeichnen, an der ein Reisender oder Einheimischer - ermordet worden. Diese kommen in der That viel zu häufig vor, als daß sich der Fremde je einem Gefühl vollkommener Sicherheit hingeben könnte, selbst wenn er nicht auch noch, gerade wie wir jetzt, der Gefahr eines Ueberfalles wilder Horden ausgesetzt gewesen wäre. Kein Tag verging, an dem ich nicht zwei, drei oder gar mehr dieser fatalen memento mori erblickte.
Am 25. machten wir zweiundzwanzig Leguas und übernachteten wieder in einem einsamen Haus, das übrigens, wie alle anderen Estancias, ebenfalls seinen besondern Namen trug. Hier war die Unreinlichkeit wieder zu Hause. Als uns Abends das Essen in einer schmutzigen hölzernen Schüssel gebracht wurde, legte die Frau - nicht einmal ausgebreitet, sondern wie ein zusammengedrücktes Taschentuch - einen Lumpen darunter, der die Spuren verschiedener fetten Speisen und Rußflecke seit Gott weiß wie vielen Wochen trug und /91/ mich so anekelte, daß ich kaum ein paar Bissen hinunterwürgen konnte. Dabei saß der „Herr vom Hause" daneben und langte mit Fingern, die keinenfalls in diesem Monat Wasser gesehen, fortwährend in unsere Schüssel hinein, einzelne Stücke Fleisch herauszuholen, und - Doch ich will den Leser nicht mit der Wiederholung all' des Ekelerregenden, was ich dort sehen mußte, ermüden - es erreichte aber, gerade in dieser Provinz, seinen höchsten Grad, denn die Frauen suchten und verzehrten sogar das Ungeziefer, eine vom Kopf der andern, und boten mir dann wieder die Matehröhre, an der sie vorher mit denselben Lippen gesogen. Ich kann gewiß viel vertragen, aber das war mir ein klein wenig zu stark. So viel übrigens zur Rechtfertigung der Pampas, daß diese letzte scheußliche Sitte nur in der Provinz Santa-Fé vorkommen soll, und die Bewohner derselben haben sogar einen Ekelnamen danach bei den übrigen Argentinern.
Bis hierher war die Ebene, über die wir gekommen, durch keinen Hügel, durch keinen Baum unterbrochen worden. Hier aber, und zwar vom Rio-Tertio aus, an dem wir einen ganzen Tag hinritten, zeigte sich uns Morgens in der Ferne ein ausgebreiteter Wald mit stattlichem Holzwuchs, der mir der Formation der Bäume nach aus Eichen zu bestehen schien. Das ließ sich jedoch - denn er mußte noch viele Meilen entfernt liegen - auf solche Distanz nicht deutlich unterscheiden. Ich machte meinen Begleiter darauf aufmerksam, weil ich etwas Derartiges gar nicht erwartet hatte; er schien mich aber nicht zu verstehen, denn er sagte nur „arboles?" und schüttelte dann lachend mit dem Kopf. Ich schwieg, denn ich war überzeugt, wir würden bis Mittag nahe genug gekommen sein, genau unterscheiden zu können, von welcher Ausdehnung der Wald hier sei, griff aber ordentlich dem Pferd vor Erstaunen in die Zügel, als nach etwa viertelstündigem Ritt ein Hirsch vor uns aufstand, mit flüchtigen Sätzen über die Steppe und zwar gerade dem Wald zu setzte, in dem er gleich darauf verschwand, aber bei jedem hohen und flüchtigen Satz hinter den ersten Bäumen wieder mit dem halben Körper zum Vorschein kam. Nicht fünf Minuten später erreichten wir das, was ich für einen Wald stattlicher /92/ Eichen gehalten hatte, und fand nichts als - ein breites Dickicht niederer Dornbüsche, die aber in ihrer ganzen Form und Gestalt, nur in Miniatur, unseren deutschen Eichen auf ein Haar glichen und jetzt, da man die Umrisse der einzelnen deutlich und genau erkennen konnte, gar so lieb und zierlich aussahen. Die meisten glichen, wie gesagt, unseren Eichen, andere aber wieder Apfel- und Birnbäumen, und die Verhältnisse zwischen Stamm und Laub stimmten auf das Genaueste und Täuschendste.
Am 26. zeigten sich die ersten Berge: zur Rechten breitete sich noch in blauer Ferne die Cordobahügelkette aus, und unsere Richtung lag jetzt der äußersten Spitze derselben zu. Die Nacht blieben wir in einem kleinen Städtchen am Rio-Quarto, und ich freute mich auf den Ort, weil mir gesagt war, ich würde dort einen Engländer finden. Leider befand sich der aber gerade zufällig in Cordoba; dafür jedoch erhielt ich die, wie sich der Leser gewiß denken kann, freudige Nachricht, daß ein Deutscher, ein Landsmann von mir, im Orte schon seit langen Jahren wohne. - Es sei ein Hutmacher, hieß es, und es gehe ihm ganz wohl. Aus dem Haus schickten sie gleich Jemand ab, der ihn bitten mußte doch einmal auf die Post zu kommen, weil ein Landsmann von ihm gerade von Deutschland eingetroffen sei. Vergebens wartete ich aber den ganzen Abend, und zwar so lange, bis es zu spät geworden war ihn selber aufzusuchen; er kam nicht, und da ich selber, vom langen Ritt ermüdet, keine große Lust mehr verspürte weit herumzulaufen, der Correo mir auch sagte, daß wir am nächsten Morgen nicht so gar früh aufbrechen würden, so verschob ich den Besuch auf den andern Tag.
Mit uns zugleich war ein anderer, gerade von Mendoza kommender, Correo eingetroffen, der nach Cordoba bestimmt war. Er hatte außer seinem sonstigen Gepäck noch vier kleine Körbe mit eben so vielen Kampfhähnen bei sich, die er in Cordoba zu einem sehr bedeutenden Preis zu verkaufen hoffte. Die Gauchos sind nämlich ganz versessen auf Hahnengefechte - sie scheinen eine Vorliebe für dies Vergnügen zu haben, weil Blut dabei fließt - und die beiden Correos ver-/93/gaßen im ersten Augenblick wirklich die Indianer, um nun erst die verschiedenen Tugenden und Eigenschaften der Hähne zu besprechen und zu bewundern. Dann aber ging es natürlich auch auf los Indios über, und der junge Correo erzählte meinem Alten, daß die Pampas-Indianer kürzlich Desaguadero überrumpelt, von den Männern aber Niemanden erwischt und nur eine alte Frau zu Hause gefunden hätten. Sie schienen sich jedoch dort ziemlich gut benommen, oder wenigstens nichts mehr gestohlen zu haben, als was sie gerade für ihren eigenen Bedarf brauchten.
Für uns war das allerdings keine tröstliche Nachricht, denn Desaguadero lag gerade in unserem Weg; doch hatten wir ja auch den Beweis, daß der erst getroffene Omnibus von den Wilden ebenfalls nicht gesehen worden und glücklich durchgekommen war. - Glück muß der Mensch haben, und wir rechneten etwas darauf.
Ich schrieb den Abend etwas an meinen Notizen, und stand am nächsten Morgen mit Tagesanbruch auf, um meinen mir versprochenen Landsmann zu besuchen. - Der Correo gab mir zu diesem Zweck einen der jungen Burschen aus dem Gasthaus zum Führer mit, und durch ein paar enge Gassen und über die Plaza hingehend, erreichte ich bald darauf das Haus. Hätte ich aber fünf Meilen deshalb marschiren müssen, der Mann wäre mir nicht zu theuer erkauft gewesen.
Es war ein kleines, ausgetrocknetes Männchen mit einem dünnen melancholischen Gesicht und hellblauen müden Augen. - Er trug einen schwarzen alten Seidenhut - Schraube, wie ihn die Matrosen nennen - und einen sehr schmutzigen rothen Poncho - die Cheripa wie die Argentiner statt der Hosen, und nicht einmal Unterkleider darunter, denn die nackten dünnen Waden schauten aus dem Faltenwurf der letzten wie mit leisem Vorwurf heraus, und die ebenfalls nackten Füße staken in einem Paar gerade so abgetragenen rindledernen Schuhen. Der Mann hieß Hüter und war aus der Gegend von Mainz gebürtig. Früher Steinhauer gewesen, hatte er das Geschäft aber in den Pampas, wo es nur höchstens an einigen Flüssen Kieselsteine gab, nicht fortsetzen können, die Hutmacherei angefangen, und natürlich /94/ eine Frau genommen. Mit der Frau bekam er eine unbestimmte Anzahl von Kindern und ein kleines Materialgeschäft, eine Art Kramladen, mit dem er aber auch noch als Zweiggeschäft eine Art Speisehaus zu verbinden schien. Selbst während ich dort war, kamen mehrere Soldaten herein, und verzehrten gleich am Ladentisch ein Stück Wurst und Brod.
In einer Reihe von siebzehn Jahren, die er jetzt im Lande lebte, hatte er sich aber ein sehr schlechtes Mainzer-Spanisch und nebenbei noch all' die Unreinlichkeit der Eingeborenen angeeignet. Es sah wahrhaft greulich bei ihm aus, und wenn ich auch für die frühe Morgenstunde etwas Entschuldigung gelten lassen will, so könnte das doch nicht all' den entsetzlichen Schmutz subtrahiren. Das Eigenthümliche dabei war, daß der Mann fast gar kein Deutsch mehr sprechen konnte. Deutschland war ihm ebenfalls ganz fremd geworden, und Nachrichten von dort schienen ihn wenig zu interessiren. Wunderbarer Weise hatte auch er schon davon gehört, daß in Deutschland eine Revolution gewesen