Quitt. Theodor Fontane
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So redete Lehnert eine gute Weile, bis er zuletzt aufsprang und im Zimmer auf und ab schritt. Aber auch im Aufundabschreiten sprach er noch weiter, allerhand Unverständliches zwischen den Zähnen murmelnd, und mitunter war es, als ob er mitten in einem Streite stünde. Plötzlich blieb er stehen, erst vor der am Ofen hängenden Zither, über deren Saiten er – er war fast ein Virtuos auf diesem Instrument – mechanisch mit dem Zeigefinger hin und her fuhr, dann vor einem alten vergilbten Kalender, der, hart an der Tür, an demselben Riegel wie seine Flinte hing. Eben diese Flinte nahm er jetzt ab und stellte sie beiseit und riß aus dem Kalender ein paar Blätter heraus, hartes, steifes Papier, draus er seine Patronenhülsen zu machen pflegte.
»Was hast du vor, Lehnert? Du willst doch nicht in den Wald, am hellen lichten Tag?«
Es war, als ob die Worte der Alten ihn wieder zu sich brächten. Er lachte und warf die Blätter, deren eines er schon zu drehen begonnen hatte, rasch ins Feuer und hing die Flinte wieder an den Haken, von dem er sie genommen hatte.
Das Ganze war wie ein Anfall gewesen. Rasch, wie es gekommen, ging es wieder, und er kehrte zu seinem Arbeitsschuppen zurück.
Eine Woche verging, während der seine Stimmung beständig wechselte, was bei den Erlebnissen der letzten Zeit und mehr noch bei seinem von Natur beweglichen Gemüt nicht wohl wundernehmen konnte. Denn so gewiß er einen Hang nach dem Abenteuerlichen hatte, so gewiß überkam ihn auch, inmitten dieses Hanges, eine plötzliche Sehnsucht danach, die Hände in den Schoß zu legen und alles ruhig über sich ergehen zu lassen. Er war dann mit einem Male von der Vergeblichkeit alles Ankämpfens überzeugt und verlor in diesem ihn überkommenden Gefühl seiner Ohnmacht auch die Lust zum Kampf. »Ja, die Alte hat eigentlich ganz recht. Was ist all die Jahre bei meiner Auflehnung herausgekommen? Nur Ärger und böses Blut. Und so geht es dann weiter, immer Zug um Zug, bis man sich das Messer in die Brust stößt. Ach, es ist besser, ich tue, was ich versprochen hab, und grüß ihn, anstatt ihn anzustarren und ein spöttisch Gesicht zu machen. Er ist der Stärkere, weil er im Dienst ist und die Gerichte neben und hinter sich hat. Und wer mit dem Stärkeren anbindet, solang er noch eine Wahl hat, der ist ein Narr. Wahrhaftig, was hab ich davon gehabt? Nichts, als daß ich zwei Monate hinter Schloß und Riegel war und daß nun in meinen Akten steht: ›Bestraft‹. Und wer kann immer gleich erzählen, wie's kam und daß es eigentlich nichts war; bestraft ist bestraft, und wenn man gefragt wird, wie's denn eigentlich mit einem stehe, so wird man rot und steht da, als ob man ein Galgenvogel wär oder einer, der den Leuten die Uhr aus der Tasche zieht.«
In dieser Richtung gingen tagelang Lehnerts Betrachtungen, und mehr, er tat auch danach, und wenn er in der letzten Woche, bloß um einer Begegnung auszuweichen, den großen Umweg am Waldsaume hin gemacht hatte, so zwang er sich jetzt, die Begegnung geradezu zu suchen, nur um durch artigen Gruß oder auch wohl durch ein »Guten Morgen, Herr Förster« seinen Respekt zu bezeugen. Und Opitz freute sich dieser Wandlung und gefiel sich seinerseits darin, den Gnädigen zu spielen. Er trat jetzt öfter, wenn Lehnert vorüberging, mit einer Art wohlwollenden Behagens, an den Staketenzaun heran und verstieg sich nicht bloß zu Fragen und Scherzworten, sondern einmal sogar bis zur Inanspruchnahme kleiner Gefälligkeiten. »Ihr geht ja nach Arnsdorf, Lehnert. Bitte, nehmt das mit an den Grafen, und wenn Ihr bei Pohl vorbeikommt, so bringt mir eine Kruke Himbeersaft mit herauf. Oder lieber eine Flasche, wenn er's in Flaschen hat. Ich kann heut die Christine nicht schicken.«
An solchen Annäherungen war eine Zeitlang kein Mangel, und Frau Menz berechnete sich schon, was, im Herbst, beim Gänseschlachten, auf das sie sich ganz vorzüglich verstand (sie sang dann immer, wenn sie die Gans zwischen die Knie nahm und mit dem Messer zu bohren anfing, allerlei Wiegenlieder), an Federn und Fett für sie abfallen würde. »Ja, Lehnert, du siehst es nun. Ist es nicht besser so? Haben wir nicht gute Tage? Sage selbst!«
Aber diese guten Tage sollten nicht Dauer haben. Im Gegenteil, sie gingen so rasch, wie sie gekommen waren, und wie gewöhnlich war es ein bloßes Geklätsch, was den ersten Anstoß zu diesem Wiederhinschwinden gab.
Christine, wohl wissend, welche Pläne Frau Menz mit ihr hatte, war jetzt oft drüben bei der Alten, öfter vielleicht, als gut war, und jedenfalls öfter, als sie sollte. Zu verdenken war es ihr freilich nicht, denn die Försterei, wenn Opitz im Wald war, war ein schweigsames, ja beinah ein melancholisches Haus, in dem wenig gesprochen wurde. Plaudern aber und sich aussprechen war Christinens größte Lust, und dazu gab es für sie keine bessere Gelegenheit als bei den Menzes drüben. Alles nahm ihr die Alte wie vom Munde weg, und wenn drüben bei Opitzens eine Maus gefangen oder ein Fliegenstock umgefallen war, so war es ein mitteilenswertes Ereignis, an das sich sofort allerlei Hoffnungen und Befürchtungen knüpften.
Und zu solcher Plauderstunde war man eben wieder beisammen und genoß sie doppelt, weil Christine nicht mit leeren Händen, sondern mit einem Teller voll prächtiger Glaskirschen herübergekommen war, deren Heranreifen die alte Menz schon seit anderthalb Wochen mit Aufmerksamkeit verfolgt hatte.
»Die schickt Euch die Frau Försterin«, sagte Christine.
»Gott, Gott, die Frau Försterin! Eine seelensgute Frau, das muß wahr sein, und alle wie frisch vom Baum und keine angestoßen. Aber er auch, er is auch gut; ein bißchen bullrig und kollert gleich, aber wer es bloß versteht, der hat es gut mit ihm. Und wie soll er's denn auch anders machen? Er muß doch auch welche anzeigen. Lehnert sagt es auch. Und sie sind ja jetzt ein Herz und eine Seele.«
»Ja«, sagte Christine. »Das sind sie. Das heißt, solang es dauert.«
»Wird schon dauern, Kind, wird schon. Warum soll es nicht dauern? Sie haben sich nun beide die Hörner abgestoßen und sehen, daß Frieden besser ist als Krieg. Lehnert grüßt ihn und gafft ihm nicht mehr ins Gesicht. ›Guten Morgen, Herr Förster‹, sagt er. Und dann stehen sie beid' an dem Staketenzaun und haben ihren Schnack. Und neulich hat ihm Opitz einen Zettel an den Grafen mitgegeben und eine Bestellung für unten bei Pohl, und Lehnert hat ihm alles besorgt und ihm den Himbeersaft auch richtig mit raufgebracht. Eine ganze Flasche voll. Es war justament der Tag, als der neue Oberförster kam und ihr drüben den Semmelpudding hattet. Aber was sag ich nur, du mußt es ja besser wissen als ich...«
»Freilich weiß ich es. Aber ich weiß auch, was Opitz sagte.«
»Was war es, was er sagte?«
»›Nu‹, sagte er, als er vom Flur in die Küche kam und den Saft vor uns hinstellte, ›da habt ihr den Saft, das süße Zeug, das der Lehnert mit raufgebracht hat. Und diesmal mag es drum sein. Aber das nächste Mal, Bärbel, das nächste Mal paß besser auf. Der große Herr drüben ist auf eine Weile zahm geworden und frißt vorläufig aus der Hand. Aber wer weiß, ob es vorhält...‹ Ja, Frau Menz, das war es, was Opitz sagte. Und als meine gute Frau darauf antwortete und ihm zureden wollte, weil Lehnert ja jetzt grüße, da ließ er sie gar nicht zu Worte kommen und bullerte gleich los: ›Das verstehst du nicht, Bärbel. Was heißt Gruß? Er grüßt; aber es ist auch danach. Er hat noch dieselben Mucken wie sonst; ich seh's ihm jedesmal an,