Anwendung von Prüfverfahren zur Ermittlung von transgenerationaler Kriegstraumatisierung. Dr. phil. Ilona Hündgen
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Bei transgenerationaler Kriegstraumatisierung wird das vom primären, direkt betroffenen Traumaopfer ursprünglich erlebte Trauma nicht vom transgenerational traumatisierten Nachfahren durch eigenes Erleben über die Sinnesorgane wahrgenommen und nicht über die übliche Informationsverarbeitung im Gedächtnis, auch nicht im Traumagedächtnis (s. Schubbe, S. 47 ff.), niedergelegt: „Anders als bei den primären Traumaopfern gibt es ja keinen direkten Input von den Sinnesorganen, der vom Gehirn im Gedächtnis abgelegt werden könnte“, es gibt „nur die Vorstellungen davon“ (Daniels 2006 und 2015). Innere Repräsentationen von traumatischen Kriegserlebnissen der Vorfahren entstehen in den Köpfen der Nachfahren auf der neurologischen Ebene durch kreatives Bilden aller Arten von sinnlichen, bildlichen und abstrakten Vorstellungen z.B. zu Sachverhalten, die gesagt und/oder durch Medien vermittelt werden, oder wenn die Eltern in Bezug auf kriegsbezogene Familiengeheimnisse schweigen. Nur auf diese Weise können Traumata „ansteckend“ sein (Wolf 2018, Krans 2010). Auch über vererbungsbiologisch-epigenetische Mechanismen (s. Kap. 2.2) werden keine konkreten Erinnerungen von Kriegserlebnissen der Vorfahren an die Nachfahren vererbt (Lauff 2017). Offenbar können Traumaerzählungen ebenso wie Vorstellungen von traumatischen Inhalten, die ohne jeden visuellen und/oder verbalen äußeren Input kreativ selbst produziert werden, auf ähnliche Weise wie reales Traumaerleben im Gedächtnis, auch im Traumagedächtnis, abgespeichert werden, weil sich die Hirnregionen für reale und für nur vorgestellte visuelle Eindrücke stark überlappen (Daniels). Für das Gehirn ist es deshalb auf bestimmten Verarbeitungsebenen gleichgültig, ob die Bilder über das Auge und über visuelle Nerven oder aber nur durch die Vorstellungskraft entstanden sind. Beide Arten von Vorstellungen können „als visuelle Intrusionen zu Belastungen führen“ (ebenda). Wenn kriegstraumatisierte Eltern über ihre Vergangenheit schweigen, können Kinder zu dem nicht Greifbaren eigene Vorstellungen produzieren, die dann im Gehirn wie reale Ereignisse abgespeichert werden und als Eltern-Introjekte ihr Eigenleben führen. Ein „Eltern-Introjekt“ ist eine - oft als traumatisch erlebte - psychische Repräsentanz eines realen Elternteils im psychischen System des Kindes. Diese virtuelle Eltern-Instanz in der kindlichen Psyche spiegelt das Erleben der Eltern durch das Kind wider und stellt nicht die realen Eltern dar (vgl. Langlotz 2018). Kinder in traumatisierenden Eltern-Beziehungen können eine pathologische Bindung an Täter und Opfer und entsprechend ganz unterschiedliche pathologisch-traumatische Eltern-Introjekte entwickeln (vgl. Huber 2017, S. 12). Um Identifizierungen mit Traumatisierungen aufzudecken, ist oft professionelle Hilfe erforderlich, da in Familien mit kriegstraumatisierten Eltern und Vorfahren vielfach mehrere oder alle Personen belastet und Teil des Problems sind. Beratung und Therapie können häufig wirkungsvoll zur Bewusstmachung der zumeist unterbewussten Prozesse beitragen (Quindeau 2013). Bei transgenerationaler Traumatisierung könnte u.a. über syste-misch-bindungsorientierte Traumatherapie (z.B. Hanswille 2014, Schlippe 2016, Boon 2013, Schwing 2018, Reddemann 2015, 2005, 2007-2; Drexler 2017, Butollo, Massing 2006, Alexander 2017) in Kombination mit tiefenpsychologischen – auch hypnotherapeutischen (z.B. Kossak 2004, Yager 2018) - Ansätzen, Arbeit mit inneren Selbstanteilen und inneren Kindern (Sautter 2016, 141 ff.) und Körperarbeit (Levine, Grüber 2018, Moore 2009, Rosenberg 2018) nachgedacht werden.
4. Fallbeschreibung
Die Probandin meiner Studie Hündgen 2020 ist volljährig und stammt aus einem Kriegsland. In ihrem Heimatland war Frau A. täglich direkt lebensgefährlichen potentiellen Bedrohungen (fast täglichen Geräuschen von Alarmsirenen und fernen Bombendetonationen, nächtlichen Aufenthalten im schützenden Keller, Flucht) ausgesetzt. In der Kindheit floh meine Probandin mit ihrer Mutter und mehreren Geschwistern nach Deutschland. Die Familie lebt seit langer Zeit in Deutschland. Beide Eltern meiner Probandin sind schwer kriegstraumatisiert und leiden unter Traumafolgestörungen (PTBS, Depression). Dies ließ mich vermuten, dass die psychosomatischen Reaktionen bei meiner Probandin auch durch indirekt-transgenerationale Kriegstraumatisierung verursacht oder zumindest mitverursacht gewesen sein könnten. Frau A. leidet nach ihrer eigenen Aussage insbesondere an Selbstbewusstseinsproblemen, an Prüfungs- und allgemein an Versagensangst, an einer diagnostizierten Arbeitsstörung und bei Belastung an zahlreichen psychosomatischen Symptomen (s. Hündgen 2020). Da meine Probandin entgegen meinen Vermutungen angab, aus ihrer Sicht weder direkt noch indirekt-transgenerational kriegstraumatisiert zu sein, hatte ich die Idee zu dem vorliegenden Leitfaden. Mit diesem Leitfaden kann meine Probandin nun eine mögliche transgenerationale Kriegstraumatisierung mit erweiterten Mitteln selbst überprüfen oder aber von Spezialisten für die jeweiligen Verfahren überprüfen lassen. Der vorliegende Leitfaden soll nicht nur meiner Probandin, sondern allen Menschen, die sich in ähnlichen Situationen befinden oder sich für transgenerationale Kriegstraumatisierung interessieren, die Möglichkeit geben, sich in das Thema „transgenerationale Kriegstraumatisierung“ einzuarbeiten.
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