Frankfurter Kreuzigung. Dieter Aurass
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Читать онлайн книгу Frankfurter Kreuzigung - Dieter Aurass страница 3
Dann besann er sich trotz seiner Verwirrung auf das Wesentliche, fummelte mit zitternden Fingern sein Handy aus der Tasche und rief den Notruf an.
Als zehn Minuten später der Notarztwagen mit Blaulicht und Sirene vor dem Hauptportal vorfuhr, hatte er die Tür aufgesperrt und stand rauchend und noch immer am ganzen Körper zitternd auf der Vortreppe des Kircheneingangs. Den zwei aus dem Wagen springenden jungen Männern rief er schon von oben herab entgegen: »Engel ... Friedrich Engel ... ich bin der Küster, ich hab sie angerufen ... bitte, der Herr Pfarrer ist da drinnen, ich wusste nicht, was ich machen soll!«
Dabei hielt er die Tür auf und ließ die beiden an sich vorbeistürmen. Inzwischen hatte er allerdings seine Nerven wieder so weit im Griff, dass die Neugier siegte und er langsam und vorsichtig hinter den beiden die Kirche wieder betrat. Er wollte nun doch wissen, was mit seinem Pfarrer geschehen sein mochte.
Er näherte sich wieder durch den Hauptgang der Kanzel und konnte sehen, dass die beiden Notärzte oder Sanitäter oder was auch immer sie waren, sich inzwischen getrennt hatte. Einer war um die Kanzel herum die leicht gewendelte Treppe hinaufgegangen und fühlte von oben, über den Rand reichend, den Puls von Pfarrer Dr. Bock. Der andere kniete unten neben der riesigen Pfütze und hatte gerade einen Finger in die Mitte getunkt, den er langsam nach oben zog. Ein zäher, roter Faden hing von dem Finger herunter.
»Nö, kein Puls«, erscholl es von der Kanzel.
»Hätt mich auch gewundert«, rief der Fingertunker nach oben, »das Blut ist fast schon geronnen und bei der Menge hier, kann nicht mehr viel in ihm drin sein.«
»Er ist auch schon ziemlich kalt«, berichtete der Erste, als er langsam wieder die Treppe herunterkam. »Also kein Grund zur Eile, das ist eindeutig ein Fall für die Kripo. Hier gibt’s nix zu retten, höchstens zu ermitteln.«
Während der Zweite sich die blutverschmierten Handschuhe auszog, hatte Nummer eins schon das Handy am Ohr und berichtete offensichtlich seiner Zentrale. Nummer zwei zog sich frische Handschuhe an und näherte sich vorsichtig der Leiche.
»Was hast du vor?«, fragte Nummer eins nach Beendigung seines Telefonats.
»Ich will doch mal sehen, was das für eine Verletzung ist, woraus der arme Herr Pfarrer«, er warf einen kurzen Seitenblick auf Friedrich Engel, »so stark geblutet hat.«
Das wiederum interessierte den Küster allerdings auch, was ihn veranlasste, noch ein wenig näher heranzutreten, während der Sanitäter den unteren Rand der blutdurchtränkten Soutane anfasste.
»Pass nur auf, oder die Heinis von der Kripo lynchen dich, weil du einen Tatort versaut hast«, rief sein Kollege.
»Ja, ja ... ich pass schon auf.« Vorsichtig und darauf bedacht, nicht in die Blutlache zu treten, zog er das blutdurchtränkte Kleidungsstück zu sich heran und hob es langsam hoch. Das Erste, was sichtbar wurde, waren die nackten Füße des Pfarrers, die vollkommen rotgefärbt vom Blut waren.
Wieso hat er denn keine Schuhe an?, fragte sich Engel und sah mit Erschrecken, als der Sanitäter die Kleidung noch höher hielt, dass Pfarrer Bock auch keine Hose anhatte. Er konnte nun die rot gefärbten Beine bis kurz übers Knie sehen. Der Sanitäter hob weiter an und beugte sich ein wenig nach vorne, um leichter unter die Soutane schauen zu können.
Im nächsten Moment ließ er mit einem erschrockenen »Ach du heilige Scheiße!« den Saum los und machte einen Satz rückwärts weg von der Leiche.
»Was ist los?«, fragte sein Kollege neugierig. »Was hast du entdeckt?«
Der neugierige Sanitäter atmete mehrfach stoßartig ein und aus und Engel war nun wirklich gespannt, was er berichten würde.
»Dem haben sie ... der hat keinen ... äh«, sein Blick fiel auf Engel, der aufmerksam lauschend direkt neben seinem Kollegen stand. »Ach was ... das möchtest du wirklich nicht wissen ... und Sie schon gar nicht!«, fuhr er den Küster an. »Sehen Sie zu, dass sie hier rauskommen, und warten Sie draußen auf die Polizei. Die werden sich noch mehr mit Ihnen beschäftigen als Ihnen lieb ist. Und bis dahin seien Sie froh, wenn Sie nichts wissen.«
Das regte den Widerspruchsgeist in Engel an. Er war zeit seines nun einundsechzig Jahre währenden Lebens nicht der Typ gewesen, der sich von irgendjemandem Vorschriften hatte machen lassen. Erst recht nicht, wenn er der Meinung war, Anspruch auf etwas zu haben. Inzwischen hatte er sich auch von seinem ersten Schreck soweit erholt, dass er wieder zu seinem streitbaren Selbst gefunden hatte.
»Na hören Sie mal«, protestierte er, »ich hab ihn schließlich gefunden, da kann ich ja wohl verlangen ...«
Noch während er sprach, hatte er sich langsam der Pfütze genähert und nun ebenfalls an den Rocksaum der Soutane gefasst. Er zog ihn schnell nach oben und warf einen Blick darunter.
Als er drei Minuten später auch den letzten Rest seines ausgiebigen Frühstücks hinter die erste Bankreihe erbrochen hatte, klopfte ihm einer der Sanitäter leicht auf den Rücken. »Sehen Sie, das haben Sie davon. Die Kripo wird hellauf begeistert sein, dass sie hierhin gekotzt und damit den Tatort verunreinigt haben. Herzlichen Glückwunsch.«
Das war allerdings Friedrich Engels kleinstes Problem. Er machte sich keine Gedanken, was die Polizei dazu sagen würde, dass er so neugierig gewesen war. Sein ganzes Denken kreiste nur um die Frage, ob er den schrecklichen Anblick dieses Lochs, an dem sich sicherlich einmal die Genitalien seine Chefs befunden hatten, jemals wieder würde vergessen können oder er nun sein restliches Leben lang von Albträumen geplagt werden würde.
Tag 1 (Montag) - Kapitel 1
So hatte Klaus Braake seinen Chef bisher noch nie gesehen. Gregor Mandelbaum, der Leiter der Mordkommission II des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main, wirkte so unsicher und verstört, dass er sich nicht erklären konnte, was dafür die Ursache sein könnte.
Der einundvierzigjährige Computerspezialist der Mordkommission, war sich unschlüssig, wie er sich diesbezüglich verhalten sollte. Er blickte sich in dem weiten Rund der Kirche um, die inzwischen von hektischer Betriebsamkeit erfüllt war. Uniformierte Beamte, die kreuz und quer Absperrband aufzogen, die Kollegen von der Spurensicherung, die in ihren weißen Einwegoveralls immer wie Maler und Lackierer aussahen und eifrig dabei waren, irgendwelche kleinste Teile vom Boden aufzuklauben, der Fotograf, der alles von allen Seiten in Bildern festhielt, und natürlich seine Kolleginnen und der Chef der MK. Jeder wusste normalerweise, was er zu tun hatte, lediglich Gregor stand diesmal ziemlich hilflos und ohne etwas zu tun, in der Mitte des Raumes.
Als die Haupteingangstür sich öffnete, fiel ein Sonnenstrahl durch die Öffnung und Gregors Gesichtszüge entspannten sich sichtlich erleichtert nach einem kurzen Blick dorthin. Braake ahnte, wer da gerade gekommen war, noch bevor ein Blick zur Tür seine Vermutung bestätigte. Es handelte sich um die Rechtsmedizinerin Dr. Sonja Savoyen, die Lebensgefährtin seines Chefs.
Schmuddel, wie fast alle den auf Reinlichkeit und saubere Kleidung keinen Wert legenden Computerfreak nannten, winkte der attraktiven jungen Frau kurz zu. Sie winkte zurück und eilte dann auf direktem Weg zu Gregor Mandelbaum. Dem war die Erleichterung anzusehen und Schmuddel hatte den Verdacht, dass seine Verstörung mit seiner Erbkrankheit zu tun hatte.
Er arbeitete nun seit fast zwei Jahren mit dem erst 30 Jahre alten Leiter der MK II zusammen und kannte inzwischen seine Lebensgeschichte im Detail. Gregor litt unter einer leichten Form des Asperger-Syndroms, einer erblich bedingten Entwicklungsstörung. Diese