Frankfurter Kreuzigung. Dieter Aurass

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Frankfurter Kreuzigung - Dieter Aurass Mandelbaum-Reihe

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Er handelte und dachte weitestgehend logisch und nüchtern. Dazu kam die erschreckende und oft schonungslose Offenheit und Wahrheitsliebe eines Logikers, der nichts beschönigte oder verniedlichte. Auf seine Umwelt wirkte er deshalb meist arrogant, besserwisserisch und oft verletzend.

      Schmuddel hatte schon oft am eigenen Leib erfahren müssen, wie seine manchmal gedankenlos geäußerten Bemerkungen von Gregor verbessert, richtiggestellt und im Detail erläutert worden waren.

      Er hatte sich inzwischen den beiden genähert und war nun in der Lage, ihre leise geführte Unterhaltung mitzuhören.

      »Ich weiß einfach zu wenig über den katholischen Glauben, die Regeln in dieser Kirche und die Abhängigkeiten in der Hierarchie der Kirche und deren Auswirkungen«, hörte er Gregor gerade sagen.

      »Mach dir darüber keine Gedanken«, erwiderte Sonja, die ihm die Hand wie beruhigend auf den Arm gelegt hatte. »Das ist auch nur ein Verein wie jeder andere, mit ganz speziellen Regeln, Sitten und Gebräuchen. Du bist nicht der Einzige, der sich diesbezüglich nicht wirklich gut auskennt.«

      »Aber ich habe überhaupt keine Grundlage für die Auswahl des richtigen Verhaltens in dieser Umgebung. Ein solches Wissensdefizit kann ich durch nichts ausgleichen. Ich muss mir unbedingt die entsprechenden Informationen anlesen, bevor ich hier auch nur eine einzige fundierte Entscheidung treffen kann.«

      In diesem Moment fiel es Schmuddel wie Schuppen aus seinen fettigen Haaren. Natürlich! Gregor war ja Jude, da lag es nahe, dass er keine detaillierten Informationen über die katholische Kirche hatte.

      Ihm wurde gleich darauf bewusst, dass er ebenfalls nicht über große Kenntnisse verfügte, was die unterschiedlichen Glaubensrichtungen der christlichen Kirchen anging. Allerdings war es ihm sowieso grundsätzlich egal, wie man sich in welcher Umgebung richtig verhielt. Es hatte ihn auch noch nie gekümmert, was andere von seinem Äußeren oder seinem Verhalten hielten. Ich bin, wer ich bin - das war schon immer seine Devise gewesen. Seine Fähigkeiten und Wissen über die Informationstechnologie und die Gewinnung von Erkenntnissen aus Computersystemen machten ihn aus. Dafür wurde er geachtet, und wenn nicht, dann von den Meisten zumindest geduldet. Man brauchte ihn und deshalb konnte er sich manches herausnehmen, wobei andere Menschen in der Arbeitswelt erhebliche Schwierigkeiten bekommen hätten.

      Da hat er sich aber ganz schön was vorgenommen, wenn er auf die Schnelle den Katholizismus begreifen lernen will, dachte er amüsiert. Dann fiel ihm aber ein, dass Gregor in mehr als nur einer Beziehung ein Wunderkind war. Er hatte mit fünfzehn Abitur gemacht und mit achtzehn ein Studium der Psychologie abgeschlossen. Danach war er zur Polizei gegangen, hatte während seiner Grundausbildung nebenher Jura studiert und war seit fast zwei Jahren der jüngste Leiter einer Frankfurter Mordkommission, den es je gegeben hatte. Ihm kam auch zugute, dass er über ein fotografisches Gedächtnis verfügte, was inzwischen jedem Mitglied des Teams bekannt war.

      Na ja, vielleicht braucht er dann doch nicht so lang und ist uns wieder mal meilenweit voraus.

      »Hallo Sonja«, begrüßte er die hochgewachsene schlanke Blondine, die ihn immer wieder an die junge Brigitte Nielsen erinnerte.

      »Hi Schmuddel. Kann ich mir denn die Leiche schon mal genauer ansehen, bevor sie bei mir in der Rechtsmedizin landet?«

      »Na klar«, entgegnete Schmuddel gönnerhaft, »der liegt inzwischen schon da hinten am Rand. Den eigentlich interessantesten Akt hast du allerdings schon verpasst.« Er sah ihren verständnislosen und fragenden Blick und reagierte sofort. »Ich meine das Abhängen von unserem Ersatz-Jesus. Das kannst du dir gar nicht vorstellen, wie kompliziert das war. Der war doch tatsächlich richtig fest an die Kanzel genagelt worden. Da hat es sechs Mann auf drei Leitern gebraucht, um die Nägel rauszuziehen und ihn gleichzeitig nicht einfach runterfallen zu lassen.« Er lachte kurz auf, bis er den nun leicht verärgert wirkenden Blick von Sonja bemerkte.

      »Ich wäre an deiner Stelle ein bisschen vorsichtiger mit meinen flapsigen Bemerkungen, mein Lieber. Ob das hier in dieser Umgebung bei jedem so wirklich gut ankommt, wage ich zu bezweifeln«, äußerte sie in einem eisigen Tonfall. »Du solltest ein wenig Rücksicht darauf nehmen, wo wir hier sind. Das ist immer noch eine Kirche und ein toter Pfarrer bedeutet meiner Einschätzung nach eine große Aufmerksamkeit durch die Medien.« Sie schaute sich in der Halle um. »Du willst doch sicher nicht, dass morgen deine respektlosen Äußerungen in der Klatschpresse stehen, weil ein Sanitäter oder ein herumstehender Mitarbeiter eines Bestattungsunternehmers deine Bemerkungen hört und sie brühwarm an einen Pressevertreter weitergibt, oder?«

      Schmuddel sah ein, dass er vielleicht ein wenig zu locker über den Vorfall geredet hatte. Er nahm sich vor, bis zur Rückkehr ins Präsidium ein wenig mehr auf seine Wortwahl zu achten. »Du hast ja recht«, räumte er zerknirscht ein. »Ich reiß mich zusammen, versprochen.«

      »Hast du denn niemanden zu befragen?«, mischte sich Gregor ein, der inzwischen hinzugetreten war.

      »Ich weiß nicht«, meinte Schmuddel etwas unsicher und schaute sich um. »Jenny befragt grade den Typen, der unser Opfer gefunden hat, und Mutti und Irina stehen da drüben bei den beiden Sanitätern, die ja wohl noch vor der Polizei am Fundort waren. Ich frag mal, ob sich da schon was ergeben hat, und wen wir noch befragen könnten.«

      Er wartete nicht ab, ob Gregor noch eine andere Aufgabe für ihn hätte, sondern schlenderte gemächlich in Richtung der Kolleginnen.

      Seit dem Tod von Kriminalhauptkommissar Dieter Alsmann, vor etwas über einem halben Jahr, bestand das Team nun aus drei Frauen sowie dem Chef und ihm als einzige Männer. Als er näher an seine Kollegin Jenny Jung herantrat, die sich eifrig Notizen in ein kleines Büchlein machte, hörte er noch den Küster sagen: »Da kann ich nicht weiterhelfen, da müssen Sie schon die Pfarrgemeindesekretärin fragen. Das Fräulein Knecht hat seine Termine verwaltet. Die kann Ihnen das sicherlich alles sagen.«

      Schmuddel musste sich eingestehen, dass er keine wirkliche Ahnung hatte, was ein Küster eigentlich genau für eine Aufgabe hatte, aber er würde den Teufel tun und das zugeben.

      Als Jenny ihn bemerkte und von ihren Notizen aufblickte, musste er zum tausendsten Mal daran denken, wie überrascht er gewesen war, als die inzwischen Dreiundzwanzigjährige dem Team offenbart hatte, dass sie und die Kollegin Irina Petrowska ein Paar waren. Es war ihm heute noch peinlich, wie belämmert er gewirkt haben musste, als er in seiner Verwirrung herumgestammelt hatte: »Wie? ... Paar? ... Was meinst du ...?«

      Alle anderen hatten laut gelacht und ihm war überdeutlich klar geworden, dass er bis zu diesem Moment wohl als Einziger noch nichts von der lesbischen Beziehung der beiden mitbekommen hatte.

      Was für eine Verschwendung, dachte er wie so oft, wenn er eine von beiden sah. Jenny war mittelgroß, blond mit einer Meg-Ryan-Frisur, sehr sportlich und durchtrainiert, Irina dagegen eine rassige Schwarzhaarige, der man ihre slawische Herkunft ansah. Mit ihrer langen, gelockten Mähne, der sehr weiblichen Figur und ihrem Hang zur Fröhlichkeit, war sie der fleischgewordene Männertraum.

      Obwohl er sich niemals hätte Hoffnungen machen können, eine der beiden für sich zu gewinnen, empfand er es dennoch als extrem schade, dass beide nicht auf Männer standen.

      »Kommst du mit?«, riss Jenny ihn aus seinen Tagträumen.

      »Bitte?«

      »Ich hatte gesagt, dass wir mit der Pfarrsekretärin sprechen sollten. Herr Engel war so nett, mir den Weg zu beschreiben. Kommst du nun mit oder nicht?«

      »Selbstverständlich. Hier gibt es momentan ja eh nichts anderes zu tun.«

      Jenny bedankte

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