Frankfurter Kreuzigung. Dieter Aurass

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Frankfurter Kreuzigung - Dieter Aurass Mandelbaum-Reihe

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ich mein.«

      Gregor wusste, was er meinte. Ihm war inzwischen bekannt, dass es sich bei der Kollekte um das während der Messe gesammelte Geld der Besucher handelte.

      Gmünder beugte sich näher an Gregor heran, als wolle er ihm etwas Geheimes berichten, das niemand mithören sollte. »Also wisse Se, mer soll ja nix Schlechtes über die Leut rede und über Dode schon grad garnet, aber die beide ... die habe sich bald gekloppt, so is de Herr Pfarrer ausgerast.«

      Er nickte bedeutungsschwer mit dem Kopf, als wolle er seine Aussage untermauern. »Also ich würd sowas ja niemand zutraue, aber der Engel ... na ja ... des is schon keine Gude.«

      Gregor hatte für den Moment genug gehört. »Vielen Dank Herr Gmünder, ich werde das in unseren Ermittlungen beachten. Sollten wir noch Fragen haben, werden wir auf Sie zukommen.«

      Mit diesen Worten drehte er sich um und ließ den verdutzten Mann einfach stehen. Was er gerade gehört hatte, passte so gar nicht mit dem zusammen, was er in der letzten Stunde über den katholischen Glauben gelesen hatte: Vergebung, Mitgefühl, Menschlichkeit, Verständnis. Er fragte sich, wie das mit der Funktion eines Vorsitzenden des Pfarrgemeinderates zusammenpasste.

      Selbstverständlich war der grundsätzliche Inhalt der Beschuldigung gegen den Küster etwas, was man weiter betrachten musste. Er musste auf jeden Fall mehr über die beteiligten Personen erfahren. Ihre Vorgeschichte, ihre Verhältnisse und die zwischenmenschlichen Beziehungen, die er immer so schwer verstehen konnte. Aber wie immer würde sein Team ihn dabei unterstützen.

      Kapitel 5

      Als sich die Tür zum Sektionssaal II des rechtsmedizinischen Instituts der Uni Frankfurt mit einem leisen Zischen öffnete, fuhr Sonja erschrocken auf und drehte sich hastig um.

      Seit den Ereignissen im vergangenen Winter, als sich ihr Chef, Professor Bücking, als sehr, sehr kranker Mann herausgestellt hatte, der mehrere unschuldige Frauen getötet hatte, war es ihr noch nicht gelungen, wieder zu ihrem alten, selbstsicheren Ich zurückzufinden. Sie war entführt worden und hatte einen schweren Autounfall mit einigen Verletzungen überlebt. Die Knochenbrüche waren inzwischen ohne Spuren verheilt, aber ihre Selbstsicherheit und ihr unerschütterlicher Optimismus waren noch nicht vollständig wiederhergestellt.

      Ihre Verkrampfung löste sich schnell, als sie die unverkennbare Gestalt von Gregor in der Tür sah. Erst jetzt merkte sie, dass sie unwillkürlich die Luft angehalten hatte, die sie nun mit einem erleichterten Stoß wieder ausatmete.

      Gregor näherte sich ihr mit elastischen, federnden Schritten. Trotz seiner Körpergröße von 1,90 und seiner hageren Gestalt, hatte er die Beweglichkeit eines trainierten Sportlers. Noch immer hatte er einen Hang zu dunklen Kleidungsstücken, die er aber inzwischen mit weißen Hemden und, wenn erforderlich, dezent gestreiften Krawatten kombinierte, was eine wesentliche Verbesserung zu früher darstellte, als sie ihn kennengelernt hatte. Zu dieser Zeit, vor nun mehr als anderthalb Jahren, hatte er ausschließlich schwarze Klamotten getragen, was ihm im Zusammenhang mit seiner Gestalt den Spitznamen ›der Bestatter‹ eingetragen hatte. Dass er inzwischen meist nur noch ein schwarzes Kleidungsstück trug, dies aber kombiniert mit etwas anderem, farbenfroherem, war überwiegend ihr Verdienst.

      Gregor hatte seine Arme um ihre Taille geschlungen und sie kurz an sich gedrückt. »Hallo Schatz, wie geht es dir?«

      Selbstverständlich hatte er ihr das kurzfristige Unwohlsein und die nun verblassende Unsicherheit angesehen, und natürlich auch die Erleichterung, dass er es war, der so überraschend in den Raum gekommen war. Sonja wusste, dass er in ihrer Mimik und Körpersprache lesen konnte, wie in einem offenen Buch.

      Sie brauchte vor ihm keine Geheimnisse zu haben, er las ihr sowieso jede Emotion direkt vom Gesicht ab. »Ich erschrecke immer noch, wenn sich überraschend die Tür zum Sektionsraum öffnet. Aber ich meine, es wird langsam ein wenig besser.«

      Gregor kommentierte dies nicht, denn Allgemeinplätze wie »das wird schon wieder« oder »die Zeit heilt alle Wunden«, waren von ihm nicht zu erwarten. Stattdessen lenkte er das Thema auf den Grund seines Besuchs. »Hast du schon mit der Obduktion unseres Opfers begonnen?«

      »Ja, aber ich habe erst die äußere Leichenschau vorgenommen und die erforderlichen Fotografien erstellt. Ich wollte jetzt mit der genaueren Untersuchung der Wunden beginnen.«

      Gut. Dann bin ich ja zur richtigen Zeit gekommen.«

      Sonja sah ihn fragend an. »Bist du sicher, dass du dir das antun willst? Die Verletzungen sind wirklich grauenhaft.«

      Sie bemerkte noch im gleichen Augenblick, was für eine dumme Frage das war. Gregor war aufgrund seiner Prädisposition niemand, den eine grauenerregende Verletzung in irgendeiner Weise abschrecken konnte. Er empfand weder Ekel noch Abscheu. Jeder normale Mann hätte angesichts der Verletzung die Vorstellung durchlebt, wie das wohl wäre, wenn ihm selbst so etwas passierte.

      Gregor hingegen würde sich die rein logischen Konsequenzen überlegen, wie: Kann man eine solche Verletzung überleben? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Was müsste man unmittelbar tun, wenn man noch dazu in der Lage wäre?

      Noch bevor Gregor sein Befremden über die unlogische Frage zum Ausdruck bringen konnte, setzte sie sofort nach: »Entschuldige, blöde Frage, ich müsste ja wissen, dass dir sowas nichts ausmacht.«

      Dennoch ereilte sie die Quittung für ihr eigentlich normales Verhalten sofort.

      »Wieso entschuldigst du dich für die Frage? Ich hätte sie dir auch einfach mit JA beantwortet. Natürlich bin ich mir sicher, dass ich das sehen will. Ich muss so viel wie möglich über Zeitpunkt der Verletzung, Entstehungsweise, mögliche Werkzeuge und die unmittelbaren Folgen erfahren, wie ich kann, damit ich daraus ableitbare Rückschlüsse auf einen möglichen Täter ziehen kann.«

      Selbst nach über einem Jahr Dauer ihrer Partnerschaft konnte Sonja sich einfach nicht daran gewöhnen, mit Gregor anders zu reden, als mit jedem anderen Menschen, den sie kannte. Die üblichen Floskeln, Redewendungen, rhetorischen Fragen und unnötige – weil unlogische – Erläuterungen waren einfach so tief verwurzelt, dass sie immer wieder vergaß, sie bei Unterhaltungen mit Gregor einfach wegzulassen.

      »Okay«, wechselte sie das Thema, »kümmern wir uns um die Leiche und was ich dir bisher dazu sagen kann.« Sie zog das über dem Körper liegende Tuch mit einem Ruck beiseite und gewährte dadurch Gregor den vollständigen Blick auf den Toten. Der Körper war nun entkleidet, und Sonja hatte ihn bereits gewaschen. Dadurch waren die Verletzungen überdeutlich zu sehen und nicht mehr durch Blutreste überdeckt. Es war kein schöner Anblick und Sonja bemerkte, dass sogar Gregor ein wenig überrascht war, aber vermutlich mehr von der Grausamkeit der Verstümmelung, als von der speziellen Region, in der sie stattgefunden hatte. Der Blick wurde automatisch auf den inzwischen gesäuberten Genitalbereich gelenkt, den man allerdings nicht mehr als solchen bezeichnen konnte. Als sie sah, dass Gregor die Region nun aufmerksam und mit zusammengezogenen Brauen betrachtet, begann sie automatisch mit ihren Erläuterungen.

      »Ich kann jetzt schon sagen, dass die Verletzung durch ein sehr scharfes Schneidwerkzeug herbeigeführt wurde, allerdings absolut unfachmännisch. Wie man an den Schnittkanten erkennen kann, wurde mit einem längeren Messer oberhalb des Schambeins eingestochen und dann ...«, sie überlegte einen Moment, »... ich würde es mal umgangssprachlich als ›rumgesäbelt‹ bezeichnen wollen. Der Täter oder die Täterin hat danach im Uhrzeigersinn um den Penis und den Hodensack herumgeschnitten.« Sie suchte nach einem passenden Vergleich. »Man könnte es mit dem trichterförmigen Herausschneiden eines Geschwürs vergleichen.

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