Durchhalten...!. Stefanie Münsterer
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Es war nun an der Zeit, sich zu befreien. Wir hatten noch viele Kinderklamotten und Spielsachen im Keller – einen ganzen Schrank voll. Mein Bruder und seine Frau Anita erwarteten einen Sohn, daher gab ich ihnen all unsere Sachen. Es tat weh! Ich weinte beim Ausräumen des Schranks. Der Gedanke, alles wegzugeben, war furchtbar. Denn das bedeutete, dass ich aufgab. Meinen Wunsch tatsächlich aufgab. Dass ich scheiterte. Doch ich wollte alle Sachen weggeben. Mein Bruder war erstaunt, dass ich für all die Kisten kein Geld wollte. Ich bat ihn stattdessen, dass sie vielleicht gelegentlich, wenn ihr Kleiner etwas von Fabians früheren Klamotten trägt, sie ab und zu sagen oder denken: „Süß, schau mal, wie der Fabian.“ Er versprach es mir, und mit diesem Gedanken ging es mir besser. Ich freute mich sehr auf meinen Neffen und gab trotz Trennungsschmerz die Sachen gerne für ihn her. Ich bin froh, dass Christian mir bei diesem Schritt des Ausräumens stets zur Seite stand. Er spürte immer genau, wenn ich seine Nähe brauchte. Aber er zog sich auch zurück, wenn ich manche Dinge von früher allein durchsehen und betrauern wollte.
Erneut zogen Wochen und Monate vorbei, und ich veränderte mich innerlich. Gegen Ende des Sommers wusste ich nicht mehr, ob ich überhaupt noch den Mut für eine neue Schwangerschaft aufbringen würde. Vielleicht überwog nun die Angst vor Komplikationen den Wunsch nach einer Schwangerschaft, und ich begann, mich besser zu fühlen. Nicht mehr so unter Druck, nicht mehr so als Versagerin und nicht mehr so traurig. Über dieses Thema dachte ich natürlich nach wie vor nach, doch mir kamen dabei nur noch selten die Tränen. Die Traurigkeit schwand ein wenig, und ich begann irgendwie, zu akzeptieren. Als wir am Ende der Sommerferien zwei Wochen im Urlaub mit unseren kleinen Nichten zusammen waren, fühlte ich mich nicht traurig wie sonst manchmal. Unsere kleinere Nichte Laura wurde im Juli getauft, und Christian und ich sind ihre Pateneltern. Das erfüllt mich mit großem Stolz und ich möchte dieses „Amt“ mit Hingabe und Begeisterung erfüllen. Als wir im Jahr zuvor von Marcus und Zsóka gefragt wurden, ob wir Lauras Pateneltern werden möchten, war ich den Tränen nahe. Sie schenkten uns damit viel Vertrauen. Es war sehr schön, dass ich mich im Urlaub intensiv mit unserem Patenkind beschäftigen und in dieser Zeit eine kleine Bindung zu ihr aufbauen konnte. Sie ist ein wundervolles Kind – wie ihre Schwester.
Ich beantragte mithilfe von Frau Dr. Ri. eine Reha. Was ich mir davon versprach, war in erster Linie Ruhe, ein Tapetenwechsel und einfach eine Zeit, in der ich meinem Körper etwas Gutes tun konnte. Leider erhielt ich eine Absage, da meine Erkrankung nicht als rehabilitierbar gelistet ist. Es wurde mir zur ambulanten medizinischen Betreuung geraten. Na, vielen Dank! Der Einspruch gegen die Ablehnung dauerte so lange, dass ich mittlerweile wieder gut zurechtkam und auch mein Arbeitsbeginn immer näher rückte. Daher zog ich meinen Antrag zurück.
Zehneinhalb Monate nach meinem Rezidiv ging es mir körperlich meistens gut. Ich begann mit Pilates, um endlich wieder ein bisschen Kondition aufzubauen. Doch das ging unendlich langsam. Viele Übungen konnte ich kaum aus- oder durchhalten. Allmählich jedoch wurde ich fitter. Ganz nebenbei verschwand auch mein ständiger Begleiter Kopfschmerz. Ich konnte die lange U-Bahn-Rolltreppe, die ich vor einem Jahr noch hochgerannt und die letzten Monate nur gefahren bin, nun schon komplett hochgehen – zwar langsam, aber immerhin. Darauf war ich stolz. Meine Medikamente nehme ich brav jeden Tag, aber nicht mehr mit Abscheu und Verzweiflung. Den einen Tag pro Woche, den es mir nach den Chemotabletten meist nicht gut geht, trage ich zum großen Teil mit Fassung und schlafe oder lese dann viel. Meine Stimmungsschwankungen sind vorbei, wobei ich seit einigen Monaten Medikamente gegen die Depression bekomme. Doch auch das trage ich mit Fassung. Früher hätte ich solche Medikamente strikt abgelehnt, doch heute bin ich froh, dass ich dadurch Hilfe erhalte und aus dem Loch, in dem ich lange steckte, herauskomme. In den vergangenen Monaten hatte ich immer irgendwie unter Strom gestanden. Selbst in Ruhe war vor allem mein Unterkiefer extrem angespannt. Immer biss ich die Zähne aufeinander, und wenn es mir auffiel, musste ich mich bewusst zwingen, locker zu lassen. Das ist nun fast vorbei. Auch dies zähle ich als gutes Zeichen. Mittlerweile passe ich wieder in fast alle meine Hosen, und mein Gesicht ist auch wieder schmaler. Das Kortison konnte ich Stück für Stück auf ein Zehntel der Anfangsdosis reduzieren. Das ist jedes Mal sehr anstrengend für meinen Körper, aber ganz ehrlich, ich habe schon Schlimmeres durchgemacht.
Als mich eine Bekannte fragte, ob ich sie in ein aryuvedisches Wellnesshotel begleiten wolle, drängte Christian mich, zu fahren. Ich zögerte, wegen des Geldes – billig war es nicht. Doch ich sah es dann als Ersatz für die abgelehnte Reha und freute mich sehr darauf. Ich buchte dort eine Ganzkörpermassage, ging schwimmen und seit vielen Jahren mal wieder in die Sauna. Wir redeten viel, schliefen wenig, und ich genoss es durch und durch. Im Anschluss entwickelte sich zudem aus der Bekanntschaft eine wunderbare Freundschaft, die ich nicht missen möchte. Es war Oktober, und wir konnten nach der Sauna trotzdem im windstillen Garten liegen und die Sonne genießen. Das Essen war fantastisch, und es tat wahrlich gut, sich um nichts und niemanden kümmern zu müssen. Meine Familie vermisste ich allerdings sehr, und als ich nach Hause kam, fand ich leider eine leere Wohnung vor – Christian und Fabian waren auf einem Radlausflug. Doch es erwartete mich auch eine Überraschung. Mein Schatz hatte mir einen ellenlangen Brief mit all seinen Gedanken und Gefühlen geschrieben – als ich den las, weinte ich ununterbrochen und war unglaublich gerührt. Selten offenbart mein stiller Mann sein Innerstes, und nun hatte ich einen Brief in der Hand, in dem er sich mir vollends erklärte. Es bestätigte mir, was ich schon wusste: dass wir füreinander bestimmt sind.
Als meine Beiden nach Hause kamen, warf sich mir Fabian an den Hals und erzählte und erzählte und erzählte. Sie hatten ein turbulentes Wochenende hinter sich mit Klettern, Shoppen, Radfahren. Er war so gut gelaunt und freute sich sichtlich, mich zu sehen. Als ich endlich dazu kam, meinen Mann zu begrüßen, lagen wir uns minutenlang in den Armen, und den restlichen Abend suchten wir immer den Körperkontakt zueinander. Ach, das war so schön.
Eine weitere Erkenntnis nahm in diesem Herbst meine Gedanken ein: Mehr und mehr erkannte ich, dass mein „Problemarm“, also der linke Arm, den ich wegen der Stenosen nicht gut belasten kann, mein Handicap bleiben würde. Früher hatte ich zwar nicht geglaubt, dass es plötzlich verschwinden und alles gut werden würde. Doch ich hatte mich mit meiner Zukunft nicht recht auseinandergesetzt. Durch die Takayasu-Arteriitis sind bleibende Schäden entstanden, mein linker Arm wird vermutlich nie wieder voll belastbar sein. Vielleicht muss ich einfach akzeptieren, dass ich eine Behinderung habe. Vielleicht könnte ich dies sogar bescheinigen lassen und dadurch steuerliche Vorteile oder Ähnliches erzielen. Doch das will ich nicht. Ich will mein Leben so normal wie möglich gestalten, ohne dass mein Arbeitgeber von meinem Handicap weiß oder ich mich bei der Steuererklärung „outen“ muss.
Das Jahr 2010 neigt sich dem Ende zu, und es entwickelt sich zum Glück zum Positiven. Meine Eltern sehen Fabian regelmäßig, meine Mama ruft häufig an, und mein PaPa schneit manchmal spontan für einen Kaffee herein. Wir sind im Umgang miteinander noch ein wenig vorsichtig, doch wir befinden uns auf dem richtigen Weg. Mein Bruder und seine Frau Anita haben im November einen wundervollen Sohn, Tobias, bekommen, und das Verhältnis zu ihnen scheint sich auch zu entspannen. Anita habe ich nie schwanger gesehen, doch mir wurde berichtet, dass sie einen ebenso unglaublich großen Bauch hatte wie ich damals mit meinem Baby. Ich darf den kleinen Schatz oft besuchen, und ich genieße die Zeit mit ihm ungemein. Ich will versuchen, dem Kleinen eine gute Tante zu sein.
Auch zwei gute Freundinnen haben Babys bekommen. Früher traf mich das schlimm in meinem Herzen, doch heute versetzt es mir keine kleinen Stiche, wenn ich das Baby einer anderen Mutter im Arm halte.
Der Rückfall war eines der schlimmsten Erlebnisse in meinem Leben. Meinem ärgsten Feind wünsche ich keinen einzigen Tag mit den Ängsten, Sorgen, Gedanken und Schmerzen, die ich hatte. Dieses letzte Jahr hat mich all meine Kraft gekostet, und ich bin im Nachhinein stolz, dass ich es geschafft habe, den Weg aus den Depressionen zu schaffen und wieder am normalen Leben teilzunehmen. Ich bin zwar erst dreiunddreißig Jahre