Kreativer leben!. Nina Schaffrin
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mit Aquarellfarben auf dickem, cremeweißem Papier, andere bevorzugen Kohle und Rötel auf braunem Karton, andere malen mit Filzstiften auf Transparentpapier, Fingerfarben auf Fenster, Kugelschreibern auf Gesichtern, wie auch immer. Was ich sagen will ist: Finde heraus, was dir am besten gefällt und lass dir von niemandem erzählen, dass deine Wahl weniger künstlerisch, klug oder seriös sei als irgendeine andere. Du brauchst kein teures Notizbuch mit Gummibandverschluss. Aber wenn du eins haben willst, dann geh um Gottes Willen los und kauf dir eins. Du bist der Kapitän auf deinem Dampfer! Achte nur darauf, dass du immer ein Auge auf deinen inneren Kritiker hast, und tu im Zweifelsfall genau das Gegenteil von dem, was er dir sagt. Was sagt er in diesem Moment? Dass du nicht gut genug zeichnen oder schreiben kannst, um ein teures Notizbuch mit Gummibandverschluss kaufen zu dürfen? Los, kauf das Buch. Dass deine Handschrift schrecklich aussieht? Bitte schreibe weiter mit der Hand. Dass du schon in der Schule immer schlechte Noten für deine Wasserfarbbilder bekommen hast? Dann kaufe dir unbedingt einen nagelneuen Farbkasten ganz für dich allein. Dein innerer Kritiker haut nicht ohne Grund auf den Putz, er versucht etwas zu verstecken, an das wir heranwollen. Zarte, furchtbar verletzliche Gedanken, die ganz leise und mit klopfendem Herzen flüstern: Ich bin es wert, ein teures Notizbuch zu haben.
Meine Handschrift ist schön, weil sie mir gehört. Ich will Pferdchen malen! Kannst du das Stimmchen hören? Es ist von klein auf überschrien und runtergemacht worden. Geld wächst nicht auf Bäumen, so sieht schöne Schrift aus, so malt man richtig – diese endlose Litanei, die unser innerer Kritiker einfach übernommen hat und sie dir wie ein Tonband immer wieder vorspielt. Und trotzdem ist das Stimmchen noch da. Weil es weiß, dass du ihm eines Tages zuhören wirst. Dieser Tag ist heute. Heute sagst du zu ihm: Ja, du bist es wert, hier ist dein Buch, hier ist dein Stift, hier ist dein Farbkasten. Leg los.
Suche dir also deine Materialen zusammen, aber mach keinen Staatsakt draus. Ich weiß gut, wie viel Zeit man damit verbringen kann, im Internet und in Geschäften nach dem perfekten Papier, dem perfekten Füllfederhalter und dem perfekten was auch immer zu suchen – SEHR viel Zeit. Und man kann auf diese Weise auch ganz elegant die ursprüngliche Aufgabe des Schreibens oder Malens aufschieben und das ist wieder genau das, was unser innerer Kritiker will. Verzettel dich also nicht. Du legst dich nicht für den Rest deines Lebens auf ein Notizbuch fest und du kannst dich jederzeit entscheiden, andere Materialien zu benutzen.
Eigentlich spielen die Materialien auch gar keine große Rolle, am Ende ist es nur Papier, Farbe, etwas Plastik, etwas Metall. Wichtig bist nur du.
Meine Empfehlung, von der du gerne nach Belieben abweichen darfst, ist folgende: Kauf dir
ein Blankobuch in einer Größe, die sich gut für dich anfühlt. Geh einfach nach Bauchgefühl, du wirst eh erst mit dem Befüllen merken, ob du mehr oder weniger Platz brauchst und vermutlich wirst du auch gar nicht immer nur das gleiche Format benutzen wollen. Ob du ein gebundenes Buch wählst oder einen Spiralblock ist ganz egal, die Seiten sollten sich nur gut aufschlagen lassen und nicht von selbst zufallen. Ob liniertes Papier, kariertes oder ganz unbedrucktes überlasse ich auch dir. Wähle im Zweifelsfall die Variante, auf der dir das Schreiben am leichtesten fällt. Es spielt aber keine große Rolle. An Stiften kannst du nehmen, was immer du zur Hand hast und dir Freude macht. Natürlich kannst du auch groß shoppen gehen und dich mit Künstlermaterial in bester Qualität eindecken, aber meiner Erfahrung nach wird das schnell wieder zum Stolperstein und gibt dem inneren Kritiker Futter für neue Vorhaltungen. Aber was weiß ich schon, mach was du willst. Du musst dich auch jetzt noch nicht festlegen, geh einfach so locker wie möglich an die ganze Sache.
Worum ich dich nur bitten möchte: Erzähle noch niemandem davon. Du wirst dich auf eine große Reise begeben, die sich gerade zu Anfang sehr gefährlich für dich anfühlen wird. Du wirst dich viel mit deinem inneren Kritiker auseinander setzen müssen, mit Gefühlen der Angst, des Selbstzweifels, der Unsicherheit. Und das letzte, was du da gebrauchen kannst, sind Freunde, Familienmitglieder oder Partner, die lesen wollen was du schreibst oder dir beim Zeichnen zusehen wollen. Egal wie gern sie dich haben und du sie – das ist ein Druckfaktor, den du dir zu diesem Zeitpunkt unbedingt ersparen solltest. Selbst den liebevollsten und wohlmeinendsten Menschen rutscht schnell mal ein "Was soll das denn darstellen?" oder ein "Ja, ganz nett – aber XY kann das richtig gut!" raus, einfach weil es schon beinahe Teil unserer Kultur ist, kreative Äußerungen gering zu schätzen, die nicht von Kindern oder anerkannten Profis kommen. Deine ersten Schritte sollten deshalb im sicheren Raum deines Notizbuches stattfinden und alle Diskussionen nur zwischen dir und deinem inneren Kritiker ausgetragen werden. Solltest du mit anderen Menschen zusammen leben, erkläre ihnen, dass dein Buch privat ist und bitte sie, das zu respektieren. Verstecke es, wenn es sein muss. Lüge. Sag allen, ich hätte dir verboten, dein Buch irgendwem zu zeigen. Das ist keine Lüge, ich verbiete es dir tatsächlich! Wenn du willst, kannst du später deine Sachen zeigen, wem du willst. Ich werde dir im Verlauf des Buches auch noch Tipps für den Umgang mit Kritikern geben. Aber jetzt arbeitest du erst mal im Geheimen.
Schreiben
Die erste Tätigkeit, die ich dir ans Herz legen möchte, ist das Schreiben. Zum einen, weil du dafür nicht viel mehr brauchst als einen billigen Kuli und etwas Papier oder meinetwegen auch dein Smartphone oder den Computer, an dem du ohnehin jeden Tag sitzt. Zum anderen, weil meiner Erfahrung nach nichts so wirkungsvoll und vielseitig ist wie das Schreiben.
Mit dem Schreiben ist es eine ganz eigenartige Sache. Wir alle lernen die Grundlagen in der Schule – das Alphabet, Grammatik, Rechtschreibung, Satzbau, Aufsätze schreiben. Gibst du jemandem Stift und Papier und sagst: „Schreib mir einen Satz!“ wird es kaum Probleme geben. Gibst du der selben Person dagegen Stift und Papier uns sagst: „Zeichne mir was!“ dann folgt meistens ein Geziere und Gezicke, dass es sich gewaschen hat. Dabei hat das Schreiben ebenso großes kreatives Potenzial wie die bildenden Künste, wir verstecken uns nur gern hinter dem funktionalen Aspekt. Sagst du deiner Testperson statt "Schreib mir was!" beispielsweise "Schreib mir ein Gedicht!" geht es schon wieder los: Das kann ich nicht so gut, ich hab‘s nicht so mit Worten, ich bin nicht so kreativ. Eigentlich furchtbar irrational, denn es ist ja alles da, was benötigt wird: die Kenntnis der Sprache und die eigenen Gefühle, die zum Ausdruck kommen wollen. Trotzdem blockieren wir uns selbst.
Und glaube mir, ich weiß wovon ich spreche. Ich hatte mein ganzes Leben unglaubliche Probleme, irgendetwas zu schreiben, was auch nur annähernd in eine kreative Richtung ging. Manchmal hatte ich Geistesblitze der Inspiration für Geschichten, Essays, Gedichte. Aber sobald ich die ersten Worte aufgeschrieben habe, wurde ich derart von Selbstzweifeln überflutet, dass ich alles wieder vernichtet habe. Das ist nicht gut genug formuliert, das ist peinlich, das interessiert doch niemanden – kommt dir das bekannt vor? Dann hoffe ich, dass dir auch helfen wird, was mir geholfen hat, denn diese Blockade zu überwinden war eine der besten Sachen, die in meinem Leben je passiert sind. Heute schreibe ich täglich viele, viele Seiten in meinem Tagebuch, in meinen Blogs und in jeder Menge anderen Projekten und habe einen Beruf, in dem man mich auch noch für das Schreiben bezahlt. Und ich bin mir sicher, dass das nichts mit Talent zu tun hat, sondern nur damit, dass ich nichts mehr zurückhalte.
Was mir damals die Augen geöffnet hat war ein ganz simpler Ratschlag. "Du solltest Tagebuch schreiben", riet mir eine gute Freundin. "Hab ich schon versucht", war meine resignierte Antwort, "aber ich komme mir dabei immer so blöd vor." "Dann schreib genau das in dein Tagebuch", sagte sie.
Bäm! Ich nehme es dir nicht übel, wenn du jetzt nicht beeindruckt bist, aber ich war damals völlig umgehauen. Mein ganzes Leben hatte ich jedes Mal, wenn ich zu schreiben versucht hatte, nur daran gedacht, wie das Endergebnis aussehen müsse: elegant, brillant, raffiniert. Und weil ich ja über persönliche Gedanken und Gefühle schreiben wollte, folgerte ich in irgendeiner dunklen Ecke meines Gehirns, dass ich folglich elegant, brillant und raffiniert sein müsse, was ich aber ganz sicher nicht war. Und deshalb müsse auch alles, was ich schreiben könne, wertloser Mist sein.