Der ganz normale Wahnsinn. Anton Weiß

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Der ganz normale Wahnsinn - Anton Weiß

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ist auf der anderen Seite zugleich ein Fluch. Es ist das, was in der Bibel mit Erbsünde bezeichnet wird. Es beinhaltet die Möglichkeit, sich selbst zum Gegenstand seiner Beobachtungen zu machen, sich zu prüfen, zu begutachten und letztlich zu tyrannisieren. Die Fähigkeit, über sich selbst nachzudenken, sich selbst zu betrachten, wirft die unlösbare Frage auf, wer der ist, der über sich nachdenkt, und wer der ist, über den nachgedacht wird, und wer herrscht über wen? Und dann wird es noch komplizierter, weil auch noch jemand da ist, der diese beiden beobachten kann, der also sieht, dass jemand über sich nachdenkt und sich manipuliert, also sind es eigentlich drei. Die Tragweite dieser von manchen vielleicht als Gedankenspielerei angesehenen Überlegung wird deutlich, wenn ich Arnhild Lauveng, eine 10 Jahre lang äußerst schwer und als unheilbar eingestufte Schizophrene, heute als Psychologin tätige Norwegerin zitiere: Sie erkennt dieses Problem, indem sie sich fragt: Wer ist der, der über sie schreibt und der, über den sie schreibt? Sind das zwei verschiedene Ichs? Und wer ist der, der sieht, dass er über sich schreibt? Das wäre dann ein dritter?

      Haben Sie sich schon einmal gefragt: „Wer spricht eigentlich?“, wenn Sie einen Satz sagen? Ich bin mit dieser Überlegung schon in meiner Jugend konfrontiert worden und habe viele Jahre versucht, herauszubekommen, wer spricht. Man kann ja, während man einen Gedanken ausführt, selber sehen, dass das gar nicht logisch ist oder dass man das normalerweise gar nicht vertritt. Da fragt man dann, wer spricht und wer schaut zu und kommentiert, und wer erzeugt die Gedanken und hält die Fäden in der Hand?

      Es ist mir nie gelungen, den zu fassen zu bekommen, der spricht, das heißt, ich wollte den Sprecher ergreifen, und begriff allmählich, dass das gar nicht möglich ist. Ich kann den nicht fassen, der ich bin, denn ich bin mir selber unbekannt, ich kann meinen Grund nicht erfassen, ich bin letztlich ein transzendentes Wesen. Ich kann den Denker meines Denkens, den Urheber meiner Gedanken nicht ergreifen. Ich glaube, dass der Versuch dazu auch ein Moment davon war, dass ich in die Schizophrenie geriet. Auch bei Lauveng zeichnet sich das ab. Wie viele bin ich eigentlich? Im Neuen Testament begegnet Jesus einem Verrückten und der sagt zu ihm: Wir sind viele. Vielleicht wäre es besser, wenn man sich gar nicht so viele Gedanken über sich selbst machen würde, denn jede Überlegung wirft nur neue ungelöste Fragen auf, aber leider hat mich niemand gefragt, ich habe mich so vorgefunden und kann gar nicht anders. Und ich halte diese Frage nicht für falsch oder überflüssig. Ganz im Gegenteil. Wenn sich andere diese Frage nicht stellen, dann glaube ich deshalb, dass sie von vorn herein gar keine Chance sehen, darauf eine Antwort zu erhalten oder sie gerät einfach nicht in ihr Blickfeld. In ähnlicher Weise stellen viele Leute nicht die Frage nach dem Sinn ihres Lebens, weil sie nicht sehen können, dass es darauf eine Antwort geben könnte. Mir stellen sich aber diese Fragen und ich sehe auch eine Antwort. Nur liegt sie nicht im beweisbaren Bereich. Und ich muss ganz allein mit ihr leben und niemand kann mir sagen, ob die Antwort, die ich sehe, richtig ist oder falsch. Die Naturwissenschaft hat deshalb einen solchen Siegeszug angetreten, weil die Menschen hofften, durch sie eindeutige und verbindliche Antworten zu erhalten, die beweisbar sind. Nichts fällt dem Menschen schwerer, als ohne Absicherung durch andere seine eigenen, nur für ihn gültigen Antworten zu finden.

      Ich gebe eine Antwort, sehe aber, dass andere in meiner nächsten Umgebung nicht viel damit anfangen können: Ich erstrebe nichts mehr als die Einswerdung mit mir selber, die in der Überwindung der Spaltung und damit im Übersteigen des Denkens liegt. Darauf scheint mir alles hinauszulaufen. Die Einswerdung mit sich selbst ist identisch mit der Transzendierung des Ichs, mit dem Vordringen in die eigene Tiefe, mit der Hereinnahme des Unbewussten ins bewusste Leben. Es sind nur verschiedene Ausdrucksweisen für das gleiche Geschehen.

      Es genügt aber zunächst zu sehen, dass der Mensch durch das Denken über sich von sich getrennt ist, und nicht nur von sich, sondern auch von der Welt, über die er nachdenkt. Damit liegt die eigentliche Ursache der Spaltung des Menschen von sich und seiner Welt im Denken. Und das hat eine erschreckende Konsequenz: Dadurch, dass der Mensch sowohl sich als auch die Welt in seinem Denken hat, d. h. dass er sich selbst und seine Welt sich durch sein Denken vermittelt, ist er abgeschnitten von sich und seiner Welt und damit nicht erlebnisfähig. Das Denken erfolgt in Begriffen und Bildern, aber Begriffe und Bilder vermitteln kein Leben; nur Begriffe und Bilder zu haben, lässt den Menschen leer. Von Begriffen und Bildern geht kein pulsierendes Leben aus, und darum hat der Mensch kein erfülltes Leben. Und in diesem Denken kreist der Mensch um sich als Ich und darum entgeht ihm der andere Mensch und die Natur. Er ist in seinem Denken der Mittelpunkt seiner blutleeren Gedankenwelt.

      Wie schon angedeutet kann der Mensch dadurch, dass er sich in seinem Denken bewegt, keine Erfüllung finden, denn die gibt es nur im konkretern Leben, nicht aber im Denken. Durch das Denken ist der Mensch vom realen Leben abgeschnitten, auch wenn das die meisten gar nicht so empfinden. Für die meisten ist dieses Leben im Denken selbstverständlich und sie können es sich anders gar nicht vorstellen. Aber sie erleben, dass sie unerfüllt bleiben, wenn sie sich kritisch und ehrlich gegenüber treten.

      Was erfüllt eigentlich den Menschen, was ist es, das ihn vollkommen glücklich und zufrieden und damit zu einem ausgeglichenen und für seine Mitmenschen angenehmen Menschen macht? Es ist das Einssein mit sich selbst, mit seiner Tiefe, mit seinem Ursprung. Es ist die Verschmelzung mit der Quelle, aus der der Drang nach Erfüllung strömt, die immer schon das Leben vorangetrieben und die Sehnsucht nach Erfüllung bewirkt hat. Dieses unstillbare Verlangen ist nicht das Ich, sondern es wirkt sich nur im Ich aus. Die Quelle liegt im Unbewussten. Es ist die den Menschen über sich hinaustreibende Kraft, die nach absoluter Erfüllung verlangt, die nur im Einssein mit sich selbst und damit mit seiner Lebensquelle, dem Unbewussten, zu erreichen ist.

      Diese Erkenntnis haben übrigens nach einer Online-Umfrage von Best Life im August 2007 29 % der Männer. Sie empfinden „Einssein mit sich selbst“ als das größte Glück. Dieses Ergebnis hat mich sehr überrascht. Es müsste das, was ich hier darlege, eigentlich auf großes Verständnis stoßen.

      Die Bedeutung dieses Einsseins kann man nur verstehen, wenn man sehen kann, dass durch das Ich die Spaltung in einem bewirkt wird. Dies hat zur Folge, dass der Mensch getrennt ist von der Quelle des Lebens und keinen Zugang mehr zu ihr hat. Der Zutritt ist ihm verwehrt. Es steht eine Mauer – die Mauer des Ichs bzw. des Ichs in seinem um sich kreisenden Denken – zwischen ihm und seinem Grund, aus dem er aber nach wie vor lebt, aber der sich nun gegen ihn wendet.

      Der Mensch merkt zwar nicht, dass er den unmittelbaren Kontakt zum Leben verloren hat, aber er erlebt, dass ihm die erstrebten und erreichten Dinge nicht die gewünschte Erfüllung bringen, daher strebt er nach immer mehr. Er ist getrieben, hetzt von einem Inhalt zum nächsten. Er ist ständig auf der Jagd nach Erfüllung, die er sich von ständig wechselnden und neuen Inhalten erhofft. Aber weil sie ihm versagt bleibt, gerät er in die Gier.

      Die Gier

      Gier nach Gütern

      Die SZ meldet am 18.4.08, dass die UN-Organisation ihre Lebensmittelrationen für die Menschen in der Krisenregion Darfur kürzen muss. Der Grund sind Banditenüberfälle auf die Lebensmitteltransporte. Seit Beginn des Jahres sind 60 Lastwagen entführt worden, 40 Fahrer werden noch vermisst. Die Gier treibt den Menschen zu einem absolut rücksichtslosen Verhalten, wobei es überhaupt keine moralischen Grenzen mehr gibt. Das Sprengen der moralischen Grenzen aber zeigt sich auch bei uns, wenn führende Manager, nur um die Gewinne weiter in die Höhe zu treiben, Tausende Menschen auf die Straße setzen, Menschen, die durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes ins Elend gestürzt werden. Ich kann das nicht anders ansehen als die Banditen in Darfur. Es ist der gleiche Grund: die Gier. Und jeder kann sein Tun immer rechtfertigen. Die Banditen rechtfertigen ihr Handeln damit, dass sie selber Hunger leiden, die Manager damit, dass sie ihren Aktionären gegenüber verpflichtet sind, die nach immer höheren Dividenden verlangen. So kann immer jeder sein unmoralisches Tun rechtfertigen. Die Schuld für das eigene Tun lastet man immer den anderen an; Rationalisieren nennt man das, daher ist es so schwierig, bei solchen Menschen zu argumentieren.

      Die

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