Der ganz normale Wahnsinn. Anton Weiß
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Wie sehr heute die Gier nach Geld – der Motor der gesamten Wirtschaft - unser Leben bestimmt, ist eigentlich ungeheuerlich. Das finanzielle und wirtschaftliche Interesse erstickt jede Menschlichkeit.
Weil das Ich-Sein in der Spaltung des Menschen in Denken und Leben besteht und durch das im Denken Eingeschlossensein kein Leben an ihn herantreten kann, ist der Mensch immer auf der Suche nach diesem Leben, das ihm Erfüllung verspricht. Weil er den Grund nicht kennt, glaubt er bei allem, was er sich schon angeeignet hat in der Hoffnung, dadurch glücklich zu werden, nur noch nicht das Richtige gefunden zu haben und so sucht er immer weiter. Da durch die Unfähigkeit zur Einswerdung mit sich selbst die Erfüllung ausbleibt, ergibt sich daraus notwendigerweise die Gier.
Die Tragödie des menschlichen Lebens besteht darin, dass er auf der Suche nach der verlorenen Einheit ist, dies aber nicht sehen kann und dort, wo der Mensch sucht, ist sie nicht zu finden. Denn er sucht ja nicht die Einheit, die erfüllt, sondern Dinge, die ihm die Erfüllung bringen sollen. Und Dinge, was auch immer es sei und wie groß sie auch immer sein mögen, erfüllen nicht, lassen den Menschen letztlich leer zurück. Die Erfüllung erfolgt immer nur kurz, sozusagen ein Aufblitzen der Möglichkeit, ähnlich wie beim Geschlechtsakt. Treibt einen die Gier bis an die Grenze, dann bleibt immer ein Unwohlsein, Erschöpftsein oder ein Leeregefühl zurück, sei es beim Essen oder beim Sex.
Im Ichstand glaubt der Mensch Dinge zu brauchen, um glücklich zu sein. Solange er aber Dinge braucht, ist er von ihnen abhängig. Und da sich ja die Erfüllung nicht einstellt, braucht er immer neue Inhalte. Aber alles, was neu ist, wird in kurzer Zeit alt, und dann braucht man wieder Neues, und so immer fort. Und daraus wird die Gier: Man braucht immer Neues, um der Erfüllung nachzujagen, die sich aber immer nur kurz und letztlich nie in ihrer Fülle einstellt.
Gier nach Aufmerksamkeit
Im Grunde genommen lassen sich bei den Menschen die meisten psychischen Probleme darauf zurück führen, dass sie nicht genügend Aufmerksamkeit bekommen und bekommen haben. Das Ich giert danach, im Mittelpunkt zu stehen und von den anderen bewundert oder wenigstens wahrgenommen zu werden. Wenn man sich mit Arnhild Lauveng beschäftigt, kristallisiert sich ebenfalls die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit als Kern ihrer Schizophrenie heraus. Es kann einen Schaudern machen, wenn man durch die Beschäftigung mit ihrer Autobiographie begreift, welche Ungeheuerlichkeiten die Psyche inszeniert, nur um Aufmerksamkeit zu erregen. Sie sagt: Es gibt nichts Größeres als den Wunsch nach Aufmerksamkeit und Fürsorge, den Wunsch bemerkt zu werden und die Einsamkeit hinter sich zu lassen.
Das Tragische dabei ist, dass das Ich nie genug davon bekommen kann, denn die Wurzel dieser Gier nach Aufmerksamkeit liegt im transzendenten Bereich. Der Mensch ist auf Transzendenz angelegt, deshalb gehen alle Versuche, diese Gier durch Stillen von Bedürfnissen zur Ruhe zu bringen, fehl. Aus einem Versuch mit Mäusen wird das in verblüffender Weise sichtbar: Man hat Mäusen alles gegeben, was sie zum Leben brauchen. Alle Tiere hatten genug zu fressen und zu trinken und auch genügend gegenseitigen Freiraum. Dennoch sind sie nach einiger Zeit übereinander hergefallen. Genau dieses Verhalten erlebt man am Menschen: Obwohl es uns - besonders in der westlichen industrialisierten Welt - so gut geht, wie es noch nie Menschen gegangen ist, gelingt es uns nicht, ein harmonisches, ausgeglichenes, nicht-aggressives Leben zu führen. Wir waren in dem Irrtum befangen: Wenn es allen gut geht, wenn alle genügend zum Leben haben, dann werden wir auch friedlich zusammenleben können. Ich bin gespannt, wann die Mehrheit der Menschen einsehen kann, dass im Menschen eine unendliche Gier vorhanden ist, die durch keine materiellen Güter befriedigt werden kann. Und diese Gier ist im Grunde positiv, sie ist Ausdruck des transzendenten Bezugs, d. h. Ausdruck dafür, dass der Mensch etwas braucht, dringend braucht, was ihn erfüllt. Aber das ist nicht in dieser Welt der materiellen Güter zu finden. Die materiellen Güter korrespondieren dem Ich des Menschen. Das Ich möchte haben, haben, haben, und kommt auch dann nicht zur Ruhe, wenn es alles hat. Diesen Mechanismus müsste man irgendwann im Leben durchschauen. Leider liegt dann bei denen, die es durchschauen, die Reaktion in der Regel in einer Verbitterung und Verzweiflung am Leben, die wenigsten gelangen zu der Erkenntnis, dass sie an der falschen Stelle gesucht haben.
Der tiefste Grund der Sucht bei den meisten Menschen ist die Sehnsucht nach Erfüllung, auch wenn die äußeren Anlässe oft in eine andere Richtung weisen. Die Grundlage der Sucht ist letztlich das unendliche Verlangen nach dem Glück, auf das hin der Mensch angelegt ist. In der Sucht drückt sich die unstillbare Sehnsucht nach Erfüllung und Geborgenheit aus. Und deshalb ist dem Problem so schwer beizukommen. Suchtbehandlung müsste also bei dem unendlichen Verlangen des Menschen ansetzen, aber da sind wir völlig ratlos. Wir behandeln lieber Symptome als nach den geistigen Hintergründen zu fragen, die wissenschaftlich sowieso nicht feststellbar sind.
Natürlich müsste man etwas mehr differenzieren; beim Rauchen z. B. könnte man zeigen, dass dem Menschen dadurch Freiheit und Souveränität vermittelt wird. Der Alkoholiker flieht die harte Wirklichkeit des Lebens und findet in der beschwingten und der Realität enthobenen Sphäre des Rausches eine Beglückung, die ihm das konkrete Leben nicht bieten kann. Gemeinsam ist aber allen Süchten, dass dem Betroffenen etwas scheinbar vermittelt wird, wonach er sich in der Tiefe seines Wesens sehnt, deshalb ist ja die Bekämpfung der Sucht mit rationalen Argumenten so wirkungslos.
In der Suche nach Glück spielt Geld eine wichtige Rolle. Man glaubt, mit Geld alles kaufen zu können; und wenn man alles hat, wenn man sich alle Wünsche erfüllt hat, dann müsste man ja wohl glücklich sein und ein erfülltes Leben haben. Letztlich glaubt man, dass man das Glück kaufen kann. Diesen Trugschluss können offensichtlich nur die wenigsten durchschauen, vielleicht mit dem Verstand, aber nicht existenziell. Den meisten geht es darum Geld zu machen; da das durch ehrliche Arbeit kaum zu erreichen ist, stürzen sich viele auf Aktien, ins Lottospielen oder gehen kriminelle Wege.
Welch verheerende Folgen die Gier nach Geld hat, zeigt ein Bericht über Mexiko: Innerhalb von vier Monaten sind 1300 Menschen dem Drogenkrieg zum Opfer gefallen. Das Land gerät an die Grenze der Regierbarkeit. „Längst hat die Mafia die Republik korrumpiert, sie kann sich gewaltige Bestechungsgelder leisten, Heere von Söldnern und Arsenale von Mordwerkzeugen.“ (SZ vom 15. 4. 08).
Wer Geld hat, kann sich das Leben so gestalten, wie er glaubt, dass es zu einem glücklichen Leben notwendig ist: Er kann Reisen machen, sich ein schönes Haus kaufen mit großem Garten und Swimming-Pool, natürlich ein großes Auto, schöne Kleider und was der kaufbaren Dinge mehr sind. Geld hat eine Faszinationskraft. Für viele ist schon allein Geld haben der Inbegriff von Glück. Oft geht es um das schnelle Geld. Und wenn es nicht mehr ums Geld geht, weil man es schon hat, dann geht es um Ruhm und das Ansehen, das Geldhaben einem vermittelt. Angesehen zu sein, Bedeutung zu haben, ist ein ganz wesentlicher Aspekt im Leben des Menschen als Ich.
In der buddhistischen Lehre wird die Gier als das Grundübel des menschlichen Lebens angesehen. Und die Unfähigkeit des Menschen, die Zusammenhänge zu erkennen, dass nämlich in der Gier die Jagd nach der Erfüllung zum Ausdruck kommt, die aber so nicht gefunden werden kann, wird als Unwissenheit bezeichnet. Ich habe das lange nicht verstanden, aber wenn man heute die Jagd der Menschen nach dem immer neuen Trend in Freizeitgestaltung, Mode, Autos, sportliche Aktivitäten usw. betrachtet, dann findet es seine Bestätigung, dass man im immer Neuen die Erfüllung zu finden hofft, die man in dem letzten Neuen nicht gefunden hat, und man begreift den Zusammenhang nicht und lässt sich dabei von den Modemachern in allen Bereichen an der Nase herumführen und verhilft denen zu großen Gewinnen.
Nichts anders spielt sich im Porno-Bereich ab: Wer schon 10000 Pornobilder aus dem Internet heruntergeladen hat und immer noch glaubt, dass das nächste Pornobild seine Gier befriedigen