Am Ende des Wohlstands. Shimona Löwenstein
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Das ist nicht nur in den häufigen einander widersprechenden Erfolgs- oder Katastrophenmeldungen in den Medien, sondern auch in den verschiedenen quasiwissenschaftlichen Studien der Fall, die stets so angefertigt werden, um ein bestimmtes erwartetes oder verordnetes Ergebnis zu bestätigen. So verfaßte beispielsweise Ludwig Siegele 2005 in The Economist ein Loblied auf Deutschlands Reformfähigkeit und Gutergehen, das der Kanzler Schröder als Beweis für den Erfolg seiner Reformpolitik vervielfältigen ließ. Nur einige Monate später beschrieb derselbe Autor die Situation aus einer anderen Perspektive – mit einem anderen Ergebnis: Deutschland besitze zu verkrustete Strukturen, wenig Arbeitsplätze und schlechte Integration von Ausländern, es sei nicht attraktiv für Investoren und Hochqualifizierte, sein Bildungssystem begünstige soziale Ausgrenzung, und die große Koalition vermag mit ihren kleinen Schritten keine großen Reformen hervorzubringen. [50]
Das war natürlich nur ein weiteres Beispiel der allgemein bekannten pauschal oberflächlichen Kritik. Dennoch war der vorsichtige Optimismus, den der Herausgeber des Jahrbuchs 2006 des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung über die Zukunftsfähigkeit Deutschlands Jürgen Kocka in seiner Einleitung zum Ausdruck brachte, [51] durch eine Politik der kleinen Schritte, die die Große Koalition vermeintlich vollzieht, seien langsame Veränderungen möglich, ebensowenig angebracht wie sonstige phrasenhafte Bewertungen. Die genannten Beispiele aus den Bereichen Hochschul-, Familien-, Gesundheits-, Einwanderungspolitik usw. werden hier einzeln im Rahmen ihrer thematischen Zusammenhänge behandelt, im Unterschied zu dem Autor jedoch nicht nur als langsam und unzureichend, sondern oft als falsch oder verkehrt angesehen. Vom Politologen Wolfgang Merkel wurde die Situation auch anders beurteilt. Nach seiner Meinung könne bei der Großen Koalition weder von einem Pfadwechsel noch von konsequentem Handeln die Rede sein. „Durchwursteln“ statt Durchregieren kennzeichnet den bisherigen Regierungsstil, wodurch sich die Zukunftsfähigkeit Deutschlands wohl kaum sichern lasse. Seine Feststellung gilt sowohl der mißlungenen Gesundheitsreform als auch der halbherzigen Föderalismusreform sowie auch allen übrigen reformbedürftigen Bereichen des Sozialstaates, wie Deregulierung des Arbeitsmarktes oder Schuldenabbau. [52]
Diese letzte Option kommt inzwischen überhaupt nicht mehr in Frage; umstritten bleibt nur noch die jeweilige Höhe der Neuverschuldung – ein weiterer Grund für die eingeschränkte Handlungsfähigkeit des Staates. Diese wurde schließlich nicht nur durch die Krise der Parteien und deren Verflechtungen mit diversen Lobbys, sondern auch aufgrund wachsender Schulden diagnostiziert. Daß die Staatsverschuldung irgendwann an ihre Grenzen gelangen muß, spätestens dann, wenn die Zinszahlung das gesamte Steuervolumen auffrißt, bleibt dabei ebenso unberücksichtigt wie die negative Kopplung zwischen Steuererhöhung und Steuereinahmen. Die reale Bankrottsituation des Staates wird durch die Neuverschuldung nur hinausgezögert und durch das Dogma der fehlenden Insolvenzfähigkeit der öffentlichen Hand verdeckt. In den letzten Jahren sind zwar Ansichten aufgetreten, man sollte sich von diesem Dogma verabschieden, um die öffentlichen Systeme zu retten. Der Staatsforscher Gunnar Folke Schuppert schlug beispielsweise für die zahlungsunfähigen Bundesländer die Aufstellung eines Haushaltsnotlageregimes vor. [53] Die Empfehlungen von K.K. Konrad, man solle die Wettbewerbsfähigkeit des Bundes, der Ländern oder Kommunen steigern, indem sie diverse Tricks der Unternehmen nachahmen, wirken allerdings ziemlich lächerlich. [54] Nicht nur das: Ihre Verwirklichung könnte sich als selbstzerstörerisch erweisen.
Zu unerfreulichen Ergebnissen kamen auch weitere Autoren des erwähnten Bandes. Demnach können die bestehenden, auf individuelle Statussicherung statt Lebenschancengleichheit oder Armutsbekämpfung abzielenden Strukturen des deutschen Sozialstaates dessen zentrale Aufgaben (nach den Prinzipien Sicherheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit) nicht mehr gewährleisten. Statt dessen empfahlen sie verstärkte Investitionen in Bildung und Weiterbildung, soziale Dienstleistungen statt monetärer Transferleistungen und stärkere Steuerfinanzierung der Sozialsysteme. Inwiefern solche Investitionen oder Leistungen sinnvoll sind, wurde innerhalb ihrer Darstellung allerdings nicht untersucht. Die Durchsetzbarkeit solcher Reformoptionen in Deutschland wurde überdies von den Autoren sehr bezweifelt. [55] Es liegt nämlich in der Logik dieses „sozialpolitischen“ Denkens, daß das aus welchen Quellen auch immer eingenommene Geld nicht etwa gespart und sinnvoll investiert, sondern unproduktiv ausgegeben, verschenkt, ja verschwendet wird. Die Verschwendung ist sogar systembedingt, indem beispielsweise einzelne Behörden oder Institutionen gezwungen sind, das ihnen zugeteilte Geld innerhalb eines Zeitraums auszugeben, da ihnen ansonsten für die nächste Periode ihr Budget gekürzt wird.
Der Bund der Steuerzahler informiert auf seiner Internetseite, wo sich auch ein Ticker befindet, der die derzeitige Höhe der immer schneller ansteigenden Staatsverschuldung anzeigt, [56] seit mehreren Jahren über staatliche Verschwendung in Höhe von ca. 30 Milliarden jährlich und gibt jedes Jahr das Schwarzbuch der öffentlichen Verschwendung heraus, in dem die vielen unsinnigen Ausgaben aufgeführt werden. Sein Vorsitzender Karl Heinz Däke forderte daher die Einführung des Strafbestandes Amtsuntreue und die Verankerung einer Schuldenbremse im Grundgesetz. [57] Listen über diverse Verschwendung, beispielsweise bei ungenutzten Materialien bei der Bundeswehr, bei überflüssigen Dienststellen oder unbegründeten Steuerprivilegien in Millionenhöhe enthalten auch die Berichte des Bundesrechnungshofs. Sinnlose Verschwendung für immer weitere Beraterverträge, Expertenkommissionen und sonstige Dienstleistungen, die von den Bundesministerien in Auftrag gegeben wurden, fandet statt, ohne daß sich durch die unzähligen Gutachten und Beratungen irgend etwas wesentliches an der bisherigen Politik geändert hätte, zumindest nicht zum Besseren. [58] Auch der beschlossene Nachtragshaushalt angesichts der Finanzkrise und der damit verbundenen befürchteten verminderten Steuereinnahmen, nach dem die Nettokreditaufnahme um 10,7 Milliarden auf 47,6 Milliarden Euro und Deutschlands Gesamtschulden auf die damals noch beanstandeten zwei Billionen Euro steigen sollten, wurde von der FDP scharf kritisiert. Die Ursache für die Neuverschuldung sei nicht allein die Krise, sondern ebenso maßlose Ausgabensteigerungen der vergangenen Jahre. Das Problem des Staates seien nicht die Steuereinnahmen, meinte in seiner Kritik Joachim Stoltenberg, sondern dessen Ausgabenlust. [59]
Die Schuldenlast von zwei Billionen Euro ist inzwischen längst überschritten worden, hingegen dem geringen Rückgang in der letzten Zeit keine große Bedeutung beizumessen ist. Angesichts der Bankrottsituation anderer Staaten (insbesondere der sich regelmäßig wiederholenden Griechenland-Pleite) wird kaum noch darauf geachtet. Deutschland scheint es im Vergleich zu anderen Ländern noch relativ gut zu gehen, Erfolgsmeldungen und Wachstumsprognosen aufgrund hoher Umsätze deutscher Konzerne täuschen vor, als wäre die Krise längst überwunden, ja dieser zweifelhafte Erfolg sogar den umstrittenen Reformen der Agenda 2010 zuzuschreiben. Nun ist wieder von einer neuer Agenda 2030 die Rede, wobei nichtsdestoweniger nicht etwa an echte Strukturreformen (diese hat man während der langen Kanzlerschaft von Angela Merkel nicht mehr gewagt), auch nicht an Schadensbegrenzung (Beseitigung der Schäden, die die Pseudoreformen gebracht haben) gedacht ist, sondern nur