Winger. Peter Schmidt

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Winger - Peter Schmidt

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Vielleicht auch noch ein wenig Imagepflege mit großen Häusern und schweren Schlitten. Vielleicht Maßanzüge oder irgendein exzentrisches Hobby. Das sind die Ingredienzien seiner Träume. Und manchmal schafft er es mit viel Ellenbogen und Skrupellosigkeit, sie zu verwirklichen. Man versteht sehr leicht, wie ein Durchschnittsmann funktioniert.

      "Nein, weil mich die Menschen interessieren", sagte ich. "Und weil man nie auslernt in meinem Gewerbe."

      "Ernsthaft? Sie machen das alles nur, um sich weiterzubilden?"

      "Bildung wäre etwas zu hochtrabend. Auf einem Geldtransporter bekommt man einen Blick für verdächtige Situationen. Und die Burschen in den Geheimdiensten sind eine ganz besondere Mischpoke. Neigen zu Verfettung und Muskelschwund, leiden an Hämorrhoiden und Paranoia, trauen ihrer eigenen Großmutter zu, dass sie ihre vergessene Aktenmappe an den russischen Geheimdienst verhökern könnte."

      Auf der Veranda wurde das Licht eingeschaltet, dann trat ein dickleibiger Mann mit blauem Einreiher und Weste aus der Tür, nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette und schnippte den Rest in den Bach.

      Er war höchstens fünfzehn Meter von uns entfernt. Er hätte uns sehen können, wenn er den Blick gehoben hätte. Aber er sah uns nicht. Vielleicht war der Schatten unter den Fichten dunkler, als es auf dieser Seite des Bachs den Anschein hatte. Oder er war zu sehr in Gedanken versunken, um überhaupt irgend jemanden und irgend etwas zu sehen. Er machte auf dem Absatz kehrt und verschwand wieder im Haus.

      "Das ist doch nicht Gerlach", sagte ich.

      "Nein, Gerlach war schlanker und nicht so alt."

      "Ich habe ihm damals nur für ein paar Sekunden gegenübergestanden, aber er sieht ihm auch nicht ganz unähnlich, oder?"

      "Hm, glauben Sie?" Linda spreizte unschlüssig ihre Unterlippe. "Er hat noch einen älteren Bruder. Vielleicht ist das Gerlachs Bruder? Aber der soll eigentlich wegen der Organisation eines Anschlags auf eine Grenzstation hinter Gittern sitzen."

      "Auf eine Grenzstation?"

      "Er hat ein paar Mitglieder der Jungen Nationalen dazu angestiftet, an einem bayrischen Übergang das Gebäude des Grenzschutzes in Brand zu setzen, weil man in diesem Bezirk angeblich zu nachlässig gegen Asylbewerber und illegale Grenzgänger vorging."

      "Die Jungen Nationalen sind so was wie die Jungsozialisten oder Jungliberalen in der Nationalen Vereinigung?“, fragte ich.

      "Rechter Pöbel, junge Arbeitslose, die ihren Frust abreagieren wollen, Schläger, Säufer, Fußballrowdys, in den Nationalsozialismus verliebte Psychopathen."

      "Sie stehen eher auf der liberalen Seite, Linda?"

      "Sehe ich aus wie jemand, der Molotowcocktails in Ausländerheime werfen würde?"

      Ich hätte sie fragen können, wie das zu ihrer Arbeit für Walter Born passte. Darauf hätte sie wahrscheinlich geantwortet, dass Borns Zeitung mit diesem rechten Klüngel so wenig gemein hatte wie ein gepflegter Panther im Zoo mit einer streunenden, verwilderten Hauskatze. Die Verwandtschaft sei allenfalls dritten oder vierten Grades.

      Im Verandafenster waren die Vorhänge zugezogen, doch man sah, dass dahinter Licht brannte. Und wenn man genau hinhörte konnte man leise Männerstimmen hören.

      Wir gingen um das Haus herum. Auf dem Parkplatz standen schweren Wagen, die meisten aus der Umgebung, aber es waren auch ein paar norddeutsche und ostdeutsche Kennzeichen darunter.

      "Scheint so was wie ein geheimes Parteitreffen zu sein", sagte ich. "Glauben Sie, dass Elmonds Tod etwas mit der Nationalen Vereinigung zu tun haben könnte?"

      "Kann ich mir nur schwer vorstellen."

      "Ich finde, unter diesen Umständen sollten wir unseren Besuch lieber verschieben."

      "Und warum warten wir nicht ab, bis das Treffen vorbei ist?"

      "Wo denn, auf den Bäumen?"

      "Nein, wir heben einfach ein paar Schützengräben aus, damit Sie hier kein Vietnamtrauma bekommen." Linda blickte sich suchend um. "Vielleicht drüben am Waldhang. Von da aus kann man die Einfahrt sehen. Sie haben keine Waffe, und Sie haben nicht mal Mumm, Winger. Warum glauben eigentlich alle, dass Sie so ein gefährlicher Bursche sind? Nur weil Sie sich mal an irgendeinem Kinn versehentlich die Faust blutig geschlagen haben?"

      Auf diese von Herzen kommende Bemerkung blieb ich ihr lieber die Antwort schuldig.

      In halber Höhe am Hang lagen ein paar umgestürzte Fichten, und wir setzten uns rittlings auf die Stämme, Linda leichtsinnig die nackten Beine angewinkelt, obwohl uns in der Dämmerung Insekten so groß wie Kaffeelöffel umschwirrten – und dabei entdeckten wir zu unserer Überraschung, dass man von hier oben bequem durch die beiden unverhängten Doppelfenster in Elmonds Salon sehen konnte.

      Die Altherrenriege in dunklen Anzügen dort unten gehörte eher zur Kategorie "Trag meinen Bauch ins nächste Restaurant und reich mir die Speisekarte", als zum illustren Kreis stiernackiger Heil-Hitler-Schreier mit gescheiteltem Kurzhaar, wie man sie sich bei einer geheimen Versammlung rechtsradikaler Politiker vorstellte. Männer mit den graumelierten Köpfen von Aufsichtsräten und Managern. Das Kalte Büfett war fast so lang wie der Raum. Und wenn ich mich nicht irrte, kamen auf jeden Kopf mindestens anderthalb Flaschen Champagner.

      Sie schienen sich sehr sicher zu fühlen, denn anscheinend gab es auf dem Gelände nicht mal einen Wachmann. Darauf deutete auch das Stück Papier im Schloss des Gartentors. Wer mit dem Wagen die Einfahrt heraufkam, wusste, was er zu tun hatte: aussteigen und durch die Tür für Fußgänger gehen, von innen den Riegel des großen Tors öffnen, den Wagen hereinfahren und das Tor wieder hinter sich schließen.

      "Vielleicht sollten wir uns doch lieber die Wagennummern notieren", sagte ich. "Hier ist was Größeres im Gange, und irgendwann könnt's möglicherweise wichtig sein, das zu überprüfen."

      "Übernehmen Sie das, Winger. Ich werd' mich mal um die alten Knaben kümmern."

      "Vorsicht", sagte ich.

      "Selber Vorsicht."

      Ich sah ihr nach, wie sie den Hang entlanglief. Irgendwo schlug ein Hund an. Aber das war ein gutes Stück weiter draußen, noch jenseits der Landstraße oder im Wald. Als Linda das Haus erreicht hatte, verschwand sie in seinem Schatten, als habe es sie nie gegeben, und ich machte mich ebenfalls auf den Weg, hielt mich aber ein gutes Stück weiter links und arbeitete mich dann durch das Dickicht zum Parkplatz auf der anderen Seite der Einfahrt hinunter.

      Ich nahm eine alte Kassenquittung über zwei Kisten Mouton Cadet Rothschild aus der Brieftasche und begann auf ihrer Rückseite die Wagennummern zu notieren. Als ich damit fertig war, schob sich der Mond über den Dachfirst und beleuchtete mich und mein Werk wie mit einer zu starken Taschenlampe – also kehrte ich lieber in den Schatten der Bäume zurück, um Lindas Rückkehr abzuwarten. Wahrscheinlich war sie jetzt hinter dem Haus. Am Fenster konnte man die Stimmen drinnen sicher hören, so laut, wie sie schon auf der Verandaseite gewesen waren.

      Eine Tür schlug. Dann bellte wieder ein Hund, diesmal noch weiter entfernt. Die Geräuschkulisse erinnerte mich an etwas, das ich schon hundertmal oder noch öfter gehört hatte. Es ist das Vakuum, die Stille, in der alle Geräusche wie Vogelzwitschern, das Rauschen des Windes und das Knarren der Bäume nur noch zu Hintergrundgeräuschen werden – weil einem irgendein unerklärlicher, aber untrüglicher Instinkt sagt, plötzlich sei etwas faul im Staate Dänemark.

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