Winger. Peter Schmidt

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Winger - Peter Schmidt

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so rot, dass man glaubte, er würde gleich einen Herzinfarkt bekommen. Je länger ich ihm zusah, desto mehr kam es mir so vor, als sei sein Ärger eher gespielt als echt. Gerlach legte beschwichtigend die Hand auf seinen Arm, worauf der andere halbherzig lächelnd den Kopf schüttelte. Dann nahm er seinen Mantel von der Stuhllehne, und sie gingen hinaus. Einen Augenblick später hörte ich draußen Wagentüren schlagen.

      Als sie die Einfahrt zum Tor hinunterfuhren, machte ich mich daran, den Wald um das Haus nach Linda abzusuchen. Vergeblich – aber das überraschte mich nicht. Trotzdem hätte sie sich ja irgendwo da draußen im Dunkeln zwischen den Bäumen den Kopf gestoßen haben können. Danach versuchte ich das angekippte Küchenfenster zu öffnen. Ich griff durch den Spalt und bewegte die Klinke des Oberlichts, kletterte dann auf die Fensterbank, beugte mich so weit es ging durch die seine schmale Öffnung und öffnete den unteren Teil des Fensters.

      Wenn Linda irgendwo im Haus gefangengehalten wurde, dann sicher nicht im Parterre, sondern im Keller oder unter dem Dach. Aber vielleicht war sie auch längst im Kofferraum eines Wagens vom Grundstück gebracht worden ...

      Ich fand schnell heraus, dass das Haus gar nicht unterkellert war. Dafür befand sich unter dem Dach ein großer Versammlungsraum. Kleine Halogenstrahler, die unter der Decke an verspannten Drähten befestigt waren, beleuchteten die Wände. An der Stirnwand stand eine Kreidetafel.

      Aber es gab keinen einzigen Hinweis auf die Nationale Vereinigung, geschweige denn Gegenstände oder Symbole, die auf rechtsgesinnte oder nationalsozialistische Parteiaktivitäten hindeuteten. Der Saal besaß einen teueren Parkettboden. Die Schwingstühle aus schwarzer Esche und ungefärbtem Rindsleder kosteten sicher ein kleines Vermögen, und die Samttapete an den Wänden war in vornehmem Graugrün mit rosafarbenen Absetzungen gehalten.

      Wenn es sich bei der Altherrenriege im Salon wirklich um ein geheimes Parteitreffen der Nationalen Vereinigung handelte, dann hatte man offensichtlich aus dem Verbot gelernt und ging kein Risiko mehr ein. Aber vielleicht fiel ich dabei ja auch nur einer naheliegenden Spekulation zum Opfer, und Gerlachs Besucher waren ...

      ... ja, was eigentlich? Zum Beispiel politische Freunde von Elmonds Sohn in Bonn?

      Durchaus möglich. Politiker trafen sich mit Vertretern der Wirtschaft, nach diesem Motto. Schließlich würden er und seine Mutter das Haus erben, wenn sein Tod erst einmal amtlich festgestellt worden war.

      Aber was bedeutete dann Lindas plötzliches Verschwinden?

      7

      Statt Eisbeuteln und grünen Heringen – die meinem Kopf und Magen sicher besser bekommen wären – ließ ich mir lieber über den Telefonservice der kleinen Steh-Pizzeria unten im Haus ein Frühstück aus heißen Pizzateig-Brötchen, Kräuterbutter und mit Käse überbackenen Eiern auf Schinken in mein Büro bringen. In der Zwischenzeit versuchte ich herauszufinden, von welchem Etablissement ich gegen Morgengrauen endlich den Weg zu meiner Klappliege gefunden hatte.

      Dass ich länger als gewöhnlich darüber nachdenken musste, deutete nicht auf eine Heimkehr unter kontrollierten Bedingungen. Aber meine Hose lag wie gewohnt in Bügelfalten über der Stuhllehne, und mein Hemd hing zum Lüften auf einem Bügel am Fenstergriff. Alles schien wie immer zu sein ...

      Nur Linda fehlte. Bei diesem Gedanken setzte ich mich abrupt auf die Bettkante.

      Jemand steckte von außen den Schlüssel ins Schloss. Es war Mira, das iranische Mädchen, das meine Detektei in Ordnung hielt. Und als sie vorsichtig ihren dunklen Schopf durch den Türspalt schob, weil sie mich nicht beim Schlafen stören wollte, wurde mir klar, dass es erst sieben Uhr morgens war.

      Ihr dunkles Gesicht glänzte vor Schweiß, denn bevor sie sich etwas Geld bei mir verdiente, joggte sie regelmäßig ein paar Runden um den Park. Mira war Sportstudentin im fünften Semester. Wir sprachen nie über ihre Aufenthaltsgenehmigung, aber ich wusste, dass sie sich illegal im Lande aufhielt. Die Papiere, die sie der Universität vorgelegt hatte, stammten aus einer von Iranern betriebenen Hinterhofdruckerei für islamisches Schrifttum. Ihr Vater, ein überzeugter "Wächter der Revolution", hatte ihr die Unterstützung für das Studium entzogen, weil er glaubte, seine Tochter sei dem Teufel der westlichen Werte verfallen. Westliche Werte, das waren für ihn: Walkmen, amerikanische Musik, Jogginganzüge und ungezügelte Sinnenfreude in der Liebe. Also alles, was er bei Mira entdeckte, wenn sie zu Besuch in den Iran kam.

      "Ich bin wach, Mira. Wir können zusammen frühstücken."

      "Oh, ich muss auf meine schlanke Linie achten", sagte sie und legte die Hände um ihre Wespentaille.

      "Wenn irgend jemand auf der Welt nicht auf sein Gewicht achten muss, dann du."

      Mira kicherte und zeigte auf das Foto meiner verflossenen Schönen auf dem Schreibtisch. "Danke, aber deine Freundin war noch viel magerer als ich."

      "Meine Freundin litt an Magersucht. Sie ist mit einem Koch – einem Spezialisten für kalorienarme Ernährung – auf und davon. Sie hat mich verlassen, weil ich zum Frühstück Schweinshaxen mit fetten Bratkartoffeln bestelle und allergisch gegen Dressing light und Magermilchjoghurt bin."

      "Du solltest mehr Salate essen, wegen der Verdauung und der Vitamine – ach, übrigens, gestern Abend, als ich nach Büroschluss noch einmal herkam, um meinen Mantel zu holen, sah ich jemanden aus deiner Tür kommen."

      "Was denn ...?

      "Ich bin ganz sicher.

      "Und wie sah dieser Jemand aus?"

      "Es war eine junge Frau. Als ich sie ansprach, behauptete sie, sie hätte sich nur in der Tür gerirrt. Eigentlich habe sie ins Büro nebenan gewollt, zu Rechtsanwalt Rolfsen." Mira schüttelte gewitzt ihren Zeigefinger und gab mir anschließend Gelegenheit, bei einem Griff in den Ausschnitt ihres dünnen schwarzen Pullovers ihren schlanken weißen Hals zu bewundern. "Aber dann ging sie sofort zum Aufzug."

      "Kannst du mir die Frau beschreiben?"

      "Jung und hübsch – sie war ... ja, sie war eher wie ein Mann gekleidet. Hose und Jacke, Turnschuhe mit flachen Absätzen, schwarze Lederjacke, glaube ich. Und sie trug etwas unter dem Arm, eine gelbe Mappe. Ich weiß nicht, ob es Papiere aus dem Büro waren."

      "Eine gelbe Mappe, hm. Soweit ich mich erinnere, besitze ich nichts, das einer gelben Mappe ähnlich sieht. Und das Büro stand offen, sagst du?"

      "Als ich sie ansprach, hatte sie die Tür schon wieder ins Schloss gezogen."

      "Manchmal glaubt man etwas zu sehen, weil einen die Bewegungen an etwas anderes erinnern. Könnte sie nicht doch nur nach der Klinke gegriffen haben?"

      "Nein, sie stand in der geöffneten Tür, als ich aus dem Fahrstuhl kam."

      "Dann allerdings."

      Nach dem Frühstück fühlte ich mich so wie jemand, der sein Leben der praktischen Erforschung aller Ernährungsfehler gewidmet hat: faul und hartleibig, mit einem dumpfen Gefühl im Kopf, das von zu viel tierischem Fett und einer Überdosis Kohlehydraten herrührte, falls diese Erklärung nicht auch nur ein moderner Mythos der Wissenschaft vom Essen ist.

      Ich hatte mir am Hochstand einen Splitter in den Handballen getrieben, und der piesackte mich zusätzlich, um mir den Morgen zu verschönern, während ich versuchte, die Liste meiner Autonummern in verwertbare Namen umzusetzen.

      Es kostete mich das Gelöbnis zum Abendessen

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