Winger. Peter Schmidt
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Winger - Peter Schmidt страница 16
Als ich meine Hartleibigkeit mit einer Tablette, den Splitter mit der Pinzette und ihr Misstrauen mit ungefähr zehn bis zwanzig falschen Komplimenten bearbeitet hatte, lag das Ergebnis meines artistischen Morgens in Form einer zweiseitigen gefaxten Liste auf meinem Schreibtisch.
Ich pfiff schon wesentlich besser gelaunt durch die Zähne, denn Gerlachs Besucher schienen ausnahmslos zu jenen Gesellschaftskreisen zu gehören, die gewöhnliche Sterbliche mit dreitausend Mark Überziehungskredit für die eigentlichen Gewinner im Leben halten. Vorausgesetzt, Geld und Grundbesitz, Titel, schweren Wagen und Macht und Einfluss verschaffen einem genau dieses Kribbeln in den Gedärmen, das die Dinge überhaupt erst zu dem macht, was sie dann sind. Drei von ihnen hatte passable Doktor- und Professorentitel, fünf einen Sitz im Bundestag, acht waren Fabrikanten, einer Polizeibeamter, einer politischer Referent, und beim Rest handelte es sich um Manager, Vorstandsvorsitzende und den Leiter eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses.
Ihre Namen sagte mir wenig. Doch das hatte nichts zu bedeuten, denn Wirtschaftsbosse, Parlamentarier und Professoren haben nun einmal nicht denselben Bekanntheitsgrad wie Schauspieler oder Talkmaster.
8
Keine Frage, dass die Polizei mit gewohnter Sorgfalt nach Linda suchen würde – sobald ich sie informiert hatte.
Es war schließlich das Recht jedes guten Steuerzahlers, dass sie das für einen tat, auch wenn ich Lindas Angaben zur Einkommensteuererklärung nicht sonderlich hoch einschätzte. Aber gewohnte Sorgfalt bedeutete wenig. Die Vorstellung, man könnte lediglich ihr Hotelzimmer durchsuchen, ein paar Fotos von ihr aushängen und an andere Dienststellen weitergeben, machte mich nervös. Bevor ich irgend jemanden über Lindas Verschwinden informierte, würde ich erst einmal selbst einen Blick in ihr Zimmer werfen.
Unser Hotel lag nicht weit vom Mainufer in einer leicht heruntergekommenen Seitenstraße, die bis auf zwei türkische Pensionen und ein Männerwohnheim des CVJM fest in polnischer Hand waren. Polnische Hotels sind während der Messe – aber auch nur dann – genauso ausgebucht wie andere, und das nicht etwa, weil sie sich einen guten Ruf erworben hätten. Die Wurst zum Frühstück ist etwas fetter, der Fußbodenbelag abgewohnter und der Portier im allgemeinen weniger ausgeschlafen als anderswo. Dafür bekommt man noch gegen Morgengrauen helle Spirituosen aus östlicher Produktion mit ausreichend Eis aufs Zimmer gebracht, wenn andernorts schon endgültig die Vorhängeschlösser an die Rollgitter angelegt werden.
Aber dieses hier machte die rühmliche Ausnahme, die alle Vorurteile Lügen strafte. Das Oblomow hatte Marmorsäulen und einen Baldachineingang, livrierte Portiers rund um die Uhr, die einem um Mitternacht nicht mal eine Tablette Aspirin aufs Zimmer gebracht hätten, weil das gegen ihre Würde war und nicht im Arbeitsvertrag stand, und die Treppenaufgänge besaßen Geländer aus poliertem Messing.
Das Mädchen hinter der Empfangstheke lächelte mich an wie einen liebenswerten alten Kumpel, weil ich ein Zimmer neben Linda hatte (und immer sehr nett zu ihr und nie ein böser Macho gewesen war) und gab mir ohne weiteres ihren Schlüssel, als ich danach verlangte – wahrscheinlich, weil sie gar nicht bemerkte, dass mein Zimmer nebenan lag.
Ich nahm das Treppenhaus und wartete am Ende des Korridors, bis das Zimmermädchen mit dem Wagen im Fahrstuhl verschwand. Dann schloss ich eilig Lindas Tür auf und schlüpfte genauso schnell hinein. Schlüssel von innen ins Schloss und aufatmend an die Tür gelehnt. Es war eine beachtliche körperliche Leistung, gemessen an der Nacht, die ich in den Lokalen rund um den Mainzer Marktplatz verbracht hatte, um mit meiner etwas weniger bemerkenswerten Leistung als Lindas Leibwächter ins reine zu kommen.
Die Polizei würde irgendwann im Hotel auftauchen und sich genauso wie ich nach Spuren wegen Lindas Verschwindens umsehen wollen, und es hat noch keinen Polizisten auf der Welt gegeben, dem es gefallen könnte, wenn jemand, der in ihrer Vorstellung ungefähr zwischen Toilettenfrau und Hilfsarbeiter rangiert, seine klebrigen Finger auf irgendwelche Beweismittel legt.
Ich nahm mir zuerst Lindas Kleiderschrank vor.
Aber was ich dort fand, hätte auch in jedem anderen Schrank liegen können. Der übliche Plunder, den Frauen auf Reisen bei sich tragen, die es darauf anlegen, einem Mann mit allen Mitteln der Textil- und Kosmetikindustrie davon zu überzeugen, dass es außer ihnen eigentlich keine andere für ihn geben sollte. Leider war nicht ich dieser Jemand. Doch gemessen an anderen Frauen ihres Alters hatte sie sich geradezu sparsam eingedeckt. Drei dünne Kleider, zwei davon tiefer ausgeschnitten, als sich ein eifersüchtiger Ehemann wünschen würde. Dann eine schwarze Jacke aus grobem Rindsleder mit aufgesetzten Taschen, ein heller Popelinemantel, eine seltsame Art von Kopfbedeckung, die irgendein Mittelding aus Schirmmütze und Sonnenhut darstellte, und ein ganz gewöhnlicher grüner Filzhut mit Bordüre. Dazu Blusen, ein Rock, drei Paar Schuhe, Turnschuhe und ein moderner Laptop mit hunderter Festplatte und Farbbildschirm, der unten im Kleiderschrank hochkant an der Zwischenwand zum Wäschefach lehnte.
Als ich die schwarze Lederjacke sah, dachte ich an Miras Worte: "Hose und Jacke, Turnschuhe mit flachen Absätzen, schwarze Lederjacke, glaube ich."
Aber warum hätte sich Linda so sang- und klanglos im Wald vor Elmonds Haus verabschieden und noch am gleichen Abend mein Büro durchsuchen sollen? Das ergab keinen Sinn.
Ich versuchte mich daran zu erinnern, was sie an diesem Abend getragen hatte.
Doch wie immer bei Frauen, die mir imponieren, fiel mir weder ein, wie ihre Kleidung noch wie ihre Schuhe ausgesehen hatten. Ich erinnerte mich zwar genauso gut an ihre Beine wie Eduardo, aber nicht an ihr Kleid oder Kostüm. In den Anfängen einer Beziehung leide ich sogar an leichten Gedächtnisausfällen, was das Gesicht einer Frau anbelangt. Vielleicht ist das nur ein weiser Trick der Natur, einer Angebeteten möglichst nahe zu sein und sich niemals wieder weiter als auf Sichtweite von ihr zu entfernen.
Ihr Laptop war wesentlich interessanter als der Inhalt ihrer Wäschefächer. Leider hatte sie alle interessanten Texte – ich nahm an, dass es die interessanteren waren – codiert. Ich klimperte ein wenig auf der Tastatur und probierte alle Tricks durch, die ich kannte. Doch das Codewort lautete weder Gustav noch Winger. Wenn es Gustav gelautet hätte, wäre das ein deutliches Indiz auf einen Freund namens Gustav gewesen. Und dieser Freund musste mir einiges voraushaben. Wahrscheinlich Geld und eine geradere Nase.
Dann fiel mir ein, nach dem Phantombild zu suchen. Soweit ich wusste, besaß sie drei oder vier Kopien davon.
Es gab keine Kopien. Zumindest nicht da, wo ein normaler Mensch danach suchen würde. Ich rückte den Kleiderschrank ab und sah unters Bett. Aber warum hätte sie eigentlich solch ein Staatsgeheimnis daraus machen sollen? Hing Rosas Phantombild nicht auf allen Polizeirevieren?
Nach einer halben Stunde war ich sicher, dass sich in diesem Raum kein Hinweis finden ließ, der über ihr Verschwinden Auskunft gab. Ihre Postadresse lautete "Berlin, Treptower Park 22". Das entnahm ich zwei Ansichtskarten von Freundinnen, die im Seitenfach ihrer Reisetasche steckten. Ein Apartmenthaus, denn auf der einen Karte stand: "Gebäude 22b, Apartment 5". Und eine gewisse Madeleine aus Lyon fragte in einwandfreiem Schriftdeutsch an, ob sie immer noch beim Sonnenbaden auf der Terrasse von dem "gutaussehenden jungen Mann", beobachtet wurde, den Linda anfangs fälschlich für einen schwulen Friseur aus der Nachbarschaft gehalten hatte. Die Antwort lautete vermutlich "ja".
Ich stopfte Lindas Laptop in eine Tragetasche aus dem Supermarkt, um ihn mir später noch einmal anzusehen, kehrte zur Rezeption zurück, gab den Schlüssel ab und machte mich mit ihrem