Nesthäkchen und ihre Enkel. Else Ury

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Nesthäkchen und ihre Enkel - Else Ury

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Nur daß die Schauspieler andere waren. Jimmy, das Äffchen, jagte die Miß. Rings um den Tisch jagte er die steife Engländerin, die sich atemlos mit Bambusstühlen vor ihrem Verfolger zu verbarrikadieren suchte. Vergebens. Mit einem Satz hatte Jimmy das Hindernis genommen.

      » Dreadful indeed!« – Die atemlose Miß konnte nicht weiter.

      »Werfen Sie doch die Orange fort, Jimmy will ja nur die Orange, die Sie in der Hand halten, Miß Smith«, rief Anita, als sie vor Lachen wieder sprechen konnte.

      Marietta überwand sich so weit, trotz der eigenen Scheu der armen Miß zu Hilfe zu kommen. Aber Jimmy hatte sich bereits in den Besitz der Orange gesetzt und ließ nun von seinem Opfer ab.

      Die Miß war halb ohnmächtig. Man mußte ihr Brausepulver bringen und die Stirn mit erfrischenden Essenzen einreiben. Eine starke Migräne war die Folge der Aufregung. Leider hatte sie auf die böse Anita nur den Erfolg, daß diese Jimmy, das Äffchen, noch mehr in ihr Herz schloß. War man doch für diesen Tag die Miß mit ihren Anstandsregeln glücklich los.

      3. Kapitel

      Samariterin

      Vor dem Hause scharrten ungeduldig die Pferde. Es waren prachtvolle Tiere. Der Rappe war der Lieblingsgaul der Donna Tavares, während die jungen Mädchen kleinere Silberfüchse als Reitpferde besaßen. Pedro, der Mulatte, hielt sie am Zügel. Er war es gewöhnt, daß man auf sich warten ließ. Langsam schritt er mit den Tieren unter den Olivenbäumen hin und her.

      Endlich erschienen die Damen. In ihren kleidsamen, hellen Reitkostümen, große Tropenhüte zum Schutz gegen die Sonne auf dem Kopf, schwangen sie sich graziös in den Sattel. Milton Tavares hielt seiner Gattin den Steigbügel. Diesen Dienst überließ er keinem anderen.

      »Sobald ich die telefonische Verbindung mit Santos habe, komme ich euch nach. Grüßt inzwischen die Mutter und Margarida. Sollte es länger dauern, so reite ich euch den Weg durch den Olivenhain entgegen.«

      Er blickte den drei anmutigen Reiterinnen, die grüßend davonsprengten, mit stolzfreudigen Empfindungen nach.

      Unter Oliven und Orangenbäumen führte der Weg zu strauchartigen Anpflanzungen, die sich bis an die blauen Berge in endlosen dunkelgrünen Wellen dehnten. Das waren die Kaffeeplantagen. Immergrüne, lederartige Blätter verbargen die duftenden, rötlich-violetten Blüten. In regelmäßigen Abständen waren die mannshohen Sträucher angelegt. Sie gaben der Gegend etwas Einförmiges. War das Auge doch gerade im Tropenlande an bizarre Formen von Pflanzen, an üppigste Vegetation und buntesten Farbenreichtum gewöhnt.

      »Wie ich die Plantagen zum erstenmal vor Jahren erblickte, haben sie mich traurig gestimmt«, sagte Frau Ursel sinnend. »Sie erschienen mir wie ein gewaltiges Meer, das Tausende von Menschen verschlingt, um einzelnen seine Schätze zu spenden.«

      »Papi sagt, unsere Plantagen seien ein Segen für viele, die sonst keine Arbeit hätten«, meinte Marietta nachdenklich.

      »Der Vater hat recht. Seitdem die netten Siedlungshäuser entstanden sind, empfinden wohl auch die Arbeiter den Segen ihres schweren Tagewerks.« Liebevoll blickte Frau Ursel auf einen weißen Komplex von kleinen Häusern, der aus dem dunkelgrünen Blättermeer wie eine weiße Insel herausragte.

      »Weißt du, Mammi, wie die Plantagen, so denke ich mir den deutschen Wald«, sagte Marietta sinnend. Ihre dunklen Augen bekamen etwas Träumerisches.

      »Unseren lieben deutschen Wald? Nein, mein Herz, der ist ganz, ganz anders. Den kann man sich nicht vorstellen, ohne ihn gesehen zu haben. Wie ein lichtgrüner Dom wölben sich die Baumkronen der Buchen und Eichen. Anemonen, Waldveilchen und Vergissmeinnicht umkränzen den murmelnden Bach. Singvögel, nicht so bunt wie die hiesigen, aber mit ungleich süßerem Wohllaut, jubilieren im grünen Blätterhaus. Auf samtweichem Moos ruht es sich herrlich am Herzen der lieben, deutschen Muttererde.« Immer sehnsuchtsvoller wurde die Frauenstimme.

      »Solche Riesenfarren, solche üppigen Schlingpflanzen und so hohe Palmen wie bei uns gibt es im deutschen Wald sicher nicht. Und auch nicht so herrliche Obstbäume. Du hast uns selbst erzählt, Mammi, du hättest niemals früher so große Orangen und Pfirsiche gesehen wie hier. In Europa ist alles zwergenhaft klein«, warf Anita dazwischen, die nichts gegen Amerika aufkommen ließ.

      Frau Ursel beachtete den Einwurf nicht. Die war mit ihren Gedanken weit fort. »Sechzehn Jahre sind es nun her, daß ich die Heimat, die Eltern, all die Lieben in Deutschland nicht mehr gesehen habe. Wer mir das damals gesagt hätte, als ich eurem Vater über das große Wasser folgte! Ich hätte es nicht für möglich gehalten.«

      »Wärst du ihm dann nicht gefolgt?« erkundigte sich Anita neugierig.

      »Ich glaube doch wohl«, lächelte die Mutter. »Aber schwer, noch ungleich schwerer wäre es mir geworden. Ich habe es damals als neunzehnjähriges Ding doch noch nicht erfaßt, was solch eine Trennung, ein derartiges Loslösen von der Heimat bedeutet.«

      »Onkel Juan war doch inzwischen zu Besuch bei uns«, versuchte Marietta die wehmütigen Gefühle der Mutter zu zerstreuen.

      »Mein Bruder Hansi – ja, das war auch die einzige persönliche Verbindung mit der Heimat. Wißt ihr noch, wie er mit euch gespielt und getobt hat, der Onkel Hans? Sieben Jahre wart ihr damals. Eine Ewigkeit ist es schon wieder her.«

      »Wenn ich Donna Tavares gewesen wäre, ich wäre sicher mindestens alle zwei bis drei Jahre nach Europa hinübergegondelt. Daran erkennt man, daß du keine Amerikanerin bist, Mammi«, ließ sich Fräulein Klugschnack vernehmen.

      »Nein, Anita, meine deutsche Herkunft trägt nicht die Schuld an meiner Sesshaftigkeit. Ihr seid daran schuld, ihr Kinder, und auch der Vater. Das erste mal, als ich mit euch hinüberfahren wollte – zur silbernen Hochzeit der Großeltern war's –, da zähltet ihr erst wenige Monate, und der Arzt fürchtete wohl mit Recht den Klimawechsel für euch. Bald darauf starb der Großvater Tavares. Die Last des vielverzweigten Kaffee-Exports lag auf den Schultern eures Vaters. Er konnte nicht monatelang dem Geschäftsbetrieb fernbleiben. Und mich so lange missen, wollte er noch weniger. So ward es von Jahr zu Jahr verschoben. Dann erschien Juan, unser kleiner Nachkömmling. Und wieder vergingen die Jahre. Zu Beginn eines jeden nahmen wir uns vor, in diesem Sommer geht es bestimmt hinüber. Stets kam etwas dazwischen. Die Großeltern in Lichterfelde sind alt geworden bei dem ständigen Hoffen und vergeblichen Harren. Wer weiß, ob man sie nochmal wiedersieht.« Solch mutlose Kundgebung ihrer Heimatssehnsucht war sonst gar nicht Frau Ursels Sache.

      Die Töchter waren denn auch bestürzt und erschreckt.

      »Aber Mammi, liebe, kleine Mammi, nun dauert es doch gar nicht mehr lange, dann fährst du mit uns zu den Großeltern nach Deutschland. In kurzem ist Weihnachten – gleich nach Ostern reisen wir. Das ist gar nicht mehr lange hin.« Wenn es galt, ihre Mammi wieder froh zu machen, wurde Marietta ebenso lebhaft und beredt wie ihre Zwillingsschwester.

      »Wenn ich nur mal erst wieder Nachricht hätte. Die Großmutter schreibt sonst so regelmäßig alle zwei Monate. Aber nun ist schon ein Vierteljahr seit ihrem letzten Brief vergangen. Hoffentlich ist drüben alles gesund.«

      Aus dem dunklen Grün der Anpflanzungen tauchten die hellen, breitränderigen Farmerhüte der Plantagenarbeiter auf. Kauernde Gestalten richteten sich bei dem nahenden Hufschlag von der Arbeit empor und grüßten die Vorüberreitenden ehrerbietig. Dunkle und hellfarbige Gesichter, schwarze und blaue Augen. Es war ein Gemisch der verschiedensten Nationalitäten und Rassen.

      Das Sommerhaus der Janqueiras

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