Ströme meines Ozeans. Ole R. Börgdahl
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Paris, 12. April 1893
Gestern waren Pierre und Jacques auf der Durchreise in Paris. Sie waren zum Abendessen bei uns und haben dann den Nachtzug nach Le Havre genommen. In einer Woche geht ihr Schiff von Southampton Richtung New York. Ich habe mich gewundert, dass sie so wenig Gepäck dabeihatten. Von Mutter weiß ich, dass sie noch viel weniger Geld haben. An Onkel Joseph liegt es nicht, aber Pierre und Jacques wollten das Geld ihres Vaters nicht mitnehmen und sie wollen es sich auch nur im größten Notfall schicken lassen. Ich verstehe das nicht ganz, sie könnten mit etwas mehr Geld doch einen besseren Start in Amerika haben. Zumindest waren die beiden guter Dinge als wir sie am Gare du Nord in den Zug gesetzt haben.
Paris, 4. Mai 1893
Jeanette hat das Gästezimmer hergerichtet. Ich freue mich schon, Mutter wird heute Abend in Paris eintreffen und sie bleibt ganze drei Wochen. Vater hat wie immer seine Arbeit und kann nicht mitkommen. Wir hoffen noch, dass er es zu Pfingsten schafft. Ich hätte sie nämlich gerne beide hier.
Paris, 10. Mai 1893
Ich war seit Wochen nicht mehr im Samaritaine. Mutter hatte eine lange Liste, man glaubt fast, in Liverpool gäbe es keine Geschäfte. Wir sind ganze drei Stunden gebummelt. Der Droschkenkutscher musste uns später die Sachen ins Haus tragen. Ich weiß nicht, wie Mutter dies alles mit nach Gayton nehmen will, am Ende braucht sie sogar noch einen neuen Koffer.
Paris, 17. Mai 1893
Wir haben für Pfingsten eingekauft. Mutter hat sich nur kurz auf unserem Markt umgesehen, dann stand fest, dass wir zum Großmarkt fahren. Hinterher waren es doch nur ganz wenige Einkäufe und das Fleisch für den Sonntagsbraten kann Jeanette auch erst am Samstag besorgen. Mutter hat sich dafür aber den Koffer gekauft, den sie für ihre Rückreise unbedingt benötigt.
Paris, 20. Mai 1893
Vater hat ein Telegramm geschickt. Wir haben doch fest mit ihm gerechnet. Am Sonntag läuft endlich der Frachter ein, auf den er schon gewartet hat. Er bleibt daher die Feiertage über allein in Gayton. Miss Hutchinson kann ihn nicht versorgen, denn sie hat das lange Wochenende freibekommen. Vater sollte ja schließlich in Paris sein. Mutter macht sich aber wenig Sorgen. Es gibt eine Schankwirtschaft im Dorf und Vater wird wissen, wie er dort etwas zu Essen bekommt. Ich bin doppelt traurig, denn Mutter wollte zusammen mit Vater noch eine Woche länger in Paris bleiben. So aber wird sie schon am Dienstag wieder abreisen.
Paris, 28. Mai 1893
Jetzt ist es wieder still im Haus. Victor leistet den verdammten Wochenenddienst. Die Zeit, die Mutter hier war, konnte ich es besser ertragen. Dann stehen in den nächsten Wochen auch noch Reisen an. Victor muss nach Calais und nach Le Havre. Dieser Leverne sorgt dafür, dass er es nicht einfach hat.
Paris, 10. Juni 1893
Den Urlaub konnte Leverne nicht verweigern, er hat es aber versucht, wie Victor berichtet wurde. Die Schikane ist auch schon anderen aufgefallen. Der ganze Stab ist in der nächsten Woche auf Urlaub, sie konnten Victor schließlich nicht davon ausnehmen. Leverne wollte Victor aber trotzdem für das Wochenende in den Dienst nehmen, da war der Urlaubsschein aber schon unterschrieben. Ich freue mich so sehr, wir fahren weg und wollen diesen Leverne für eine ganze Woche vergessen.
Sanchey, 15. Juni 1893
Victor hatte mir schon letztes Jahr von Belfort vorgeschwärmt und immer gesagt, wenn er dort nicht arbeiten müsse, würde er mit mir in den Vogesen einen Urlaub verbringen. Wir sind am 11. Juni mit dem Zug gefahren und am späten Nachmittag in Belfort eingetroffen. Es ist eine nette kleine Stadt, von Bergen und Kämmen umgeben. Unsere Pension war recht gemütlich. Victor hat mir die Kommandantur gezeigt, aber nur von außen, er hat sich unterstanden, hineinzugehen und etwa mit den Diensthabenden zu sprechen. Wir sind schließlich im Urlaub. Wir haben uns nur einen Tag für Belfort genommen und sind dann mit dem Zug nach Epinal und von dort mit der Kutsche nach Sanchey gefahren, und haben uns in einem Landgasthaus ein Zimmer genommen. Die Landschaft ist so schön. Wir haben uns den Stausee des nahen Bouzy angesehen. Es gibt dort eine mächtige Staumauer. Ich erinnere mich nicht, so etwas schon einmal gesehen zu haben. Es ist eine Unmenge Wasser, die da zurückgehalten wird. Der See erstreckt sich zu beiden Seiten und ist ganz breit und hat so viele Arme, die weit ins Hinterland hineinreichen. Wir sind vorgestern am Ufer entlanggewandert und haben die schmale Landzunge in Sichtweite des Wehres fast umrundet. Gestern sind wir dann von der Staumauer Richtung Canal de l'Est gegangen und dem Verlauf des Kanals in nord-östlicher Richtung für ein paar Kilometer gefolgt. Heute habe ich mich aber ausruhen können, denn wir sind nicht gewandert, sondern haben uns ein Boot genommen. Victor war der Kapitän und musste auch rudern. Ich habe mich im Bug ausgestreckt und die Wolken am blauen Himmel gezählt. Einmal hat Victor sich zu mir gesetzt und wir haben uns einfach nur treiben lassen. Es gibt keine starken Winde, keinen Sturm und kein offenes Meer, auf das wir hätten hinaustreiben können. Am sehnlichsten werde ich mich der herrlichen Luft erinnern und der Ruhe. Ich möchte fast, dass mich Victor öfter zu solchen Orten mitnimmt. Wenn er auch arbeiten muss, so bleibt doch immer noch Zeit, gemeinsam etwas zu unternehmen, vor allem wenn sich ein Wochenende an seine Dienstreisen anschließt und wir erst am späten Sonntagabend zurück nach Paris fahren müssen.
Paris, 22. Juni 1893
Ich hatte schon alles vergessen, doch jetzt scheint es wieder anzufangen. Victor ist auf jeden Fall davon überzeugt, dass es damit zu tun hat. Am Wochenende war Victor nicht zu Hause, er musste in der Kaserne übernachten. Es ist nicht üblich, dass Stabsoffiziere zu Wochenenddienst eingeteilt werden. Victor ist noch nicht im Range eines Stabsoffiziers, obwohl er im Stab arbeitet. Dieser Leverne hat ihn aber eingeteilt und das für die nächsten sechs Wochenenden. Victor hat während dieses Dienstes eigentlich gar nichts zu tun, er muss nur anwesend sein, aber genau das ist wohl das Schlimme. Wenn er sich wenigstens beschäftigen könnte. Victor muss gehorchen. Es gibt keinen Grund sich aufzulehnen. Für mich ist es natürlich dumm, weil der Sommer vor uns liegt und wir die Wochenenden viel schöner verbringen könnten. Wenn Victor in der Kaserne ist, kann ich auch nur zu Hause bleiben. Ich werde es durchstehen.
Paris, 28. Juni 1893
Ein Brief aus Amerika, allerdings von Tante Carla an uns weitergeleitet. Pierre und Jacques haben geschrieben. Sie sind in Chicago und haben tatsächlich Arbeit auf der Weltausstellung gefunden. Pierre schreibt, dass sie alles machen, Karten abreißen, Hallen fegen, alles, was anfällt. Jacques betätigt sich auch als Fremdenführer für französische Ausstellungsbesucher. Es geht ihnen beiden gut, aber wenn die Weltausstellung im Herbst schließt, wollen sie zurück nach New York, wo sie schon die ersten zwei Wochen nach ihrer Ankunft verbracht haben und wo es dann wohl mehr Arbeit geben soll. Ich habe jetzt ihre Adresse in Chicago und werde natürlich zurückschreiben.
Paris, 6. Juli 1893
Eine kurze Notiz. Wie ich aus der Zeitung erfahre, ist Monsieur Maupassant verstorben. Ich bin etwas traurig, obwohl