Ströme meines Ozeans. Ole R. Börgdahl
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ströme meines Ozeans - Ole R. Börgdahl страница 10
Nantes ist doch so viel kleiner als Paris, es ist eine richtige Provinzstadt, aber das darf ich hier nicht so laut sagen. Die Leute sind sehr nett. Ich glaube manchmal zu spüren, dass ich ja eigentlich meine Wurzeln ganz in der Nähe, in der Bretagne habe. Wenn die Leute reden, hat es mich Anfangs immer an Vater erinnert, er spricht manche Worte noch heute genauso aus, wie es die Leute hier in Nantes tun. Victor hat jetzt mehr Verantwortung als noch bei seinem Dienst in der Kaserne. Er leitet eine Kompanie und hat hundertzehn Mann unter seinem Kommando. Seine Leute kontrollieren die Fracht- und Passagierschiffe, die in den Hafen einlaufen, und unterstützen dabei die Beamten der Zollbehörde hier in Nantes. Die Zollvorschriften sind doch recht kompliziert. Victor erklärt mir immer sehr viel. Ich glaube, ich werde noch zur Expertin. Das ging schon in Paris los, als er selbst noch nicht so viel über das Zollwesen wusste. Manchmal habe ich Angst, wenn er auf ein Schiff gehen muss, wenn er von einem bewaffneten Trupp begleitet wird und dabei hat er mir anfangs noch erzählt, dass er so etwas nicht tun müsse, dass er wie in Paris nur am Schreibtisch sitzen würde. Victor erzählt mir aber nicht, was bei einer Kontrolle passieren könnte und ich will es auch nicht wissen. Ich bin seit November in Nantes, eigentlich keine gute Jahreszeit. Das Wetter ist sehr schlecht. Zum Glück habe ich schnell Kontakt gefunden. Natürlich haben mich die Frauen von Victors Offizieren bei sich aufgenommen. Es gibt immer irgendeine Veranstaltung, besonders im Winter. Ich habe sogar bei der Organisation eines Weihnachtsbasars geholfen. Über Weihnachten waren Victor und ich ja in Gayton, bei Mutter und Vater. Jeanette hat die Feiertage in Paris verbracht. Ich bin immer noch so froh, dass sie uns nach Nantes begleitet hat.
Nantes, 22. Januar 1892
Eine kleine Zeitungsnotiz hat mich heute ein wenig erschreckt. Der Schriftsteller Monsieur Maupassant wurde in den vergangenen Tagen in Passy eingeliefert. Es gab einen Zusammenbruch, so schreibt das Blatt, demzufolge Monsieur Maupassant ärztliche Hilfe der entsprechenden Art benötigte. Jetzt weiß jeder, was dies bedeutet und dass es sich bei der ärztlichen Hilfe um die Heilanstalt des Dr. Blanche handelt. Ich hoffe nicht, dass Monsieur Maupassant verrückt geworden ist. Ach, was habe ich seinen Bel-Ami verschlungen, gerade in der Zeit, als ich Victor kennengelernt habe. Heute lache ich darüber, aber ich habe immer geprüft, ob Victor nicht Züge dieses Georges Duroy trägt und ob er wie dieser ein Doppelleben führt. Ich habe Victor davon erzählt und er hat nur gelacht, was mich noch misstrauischer gemacht hat. Ich war wirklich dumm und Victor musste mir versprechen, seinen Dienst niemals zu quittieren, um dann Journalist zu werden oder einen Beruf bei einer Zeitung zu ergreifen. Auf dem Kasernenhof gibt es keine Frauen, keine Damen, die sich als Mätressen anbieten, dort gibt es nur Männer. Bei einer Zeitung jedoch gibt es diese Versuchungen, wie ich überzeugt war, weil Monsieur Maupassant es mir im Bel-Ami so erzählt hat. Victor hat den Bel-Ami dann auch gelesen, um meine Gedanken und mein Misstrauen zu verstehen und er hat mich dann beschworen, nein, er hat mich sogar gewarnt, ihn jemals Bel-Ami zu nennen. Ach, wie lange ist das alles schon wieder her. Aber ich verbinde unser Kennenlernen, den Beginn unserer Liebe immer ein bisschen mit diesem Buch. Ich habe mich immer mit dem Bel-Ami begnügt und weiß gar nicht, welche Literatur Monsieur Maupassant noch hervorgebracht hat. Entweder werde ich mich diesbezüglich einmal umsehen oder ich belasse es, um den jetzt noch ungetrübten Eindruck nicht zu verfälschen.
Nantes, 2. Februar 1892
Zu Weihnachten habe ich vergeblich auf mein Buch gewartet, Mutter und Vater haben es in Liverpool einfach nicht bekommen. Vater war im Januar in London und hat es dort auch versucht. Es war in keiner Buchhandlung zu finden, weil es ausverkauft war. Erst einer von Vaters Geschäftspartnern hat mir dann zu meinem Glück verholfen. Das Heft, welches ich heute in Händen halte, ist zwar nicht mehr ganz so neu und hat auch gelitten, weil es eben nicht fest eingebunden ist, es lässt sich aber lesen. In Beeton's Christmas Annual für das Weihnachtsfest vor über fünf Jahren ist die erste Holmes-Geschichte veröffentlicht worden und daher ist diese Lektüre auch so wichtig für mich, weil ich bis heute den Anfang von Mr. Holmes und Dr. Watson nicht kenne. Hier soll es mir jetzt offenbart werden, wobei ich sicher eine der Letzten bin, die es erfahren wird.
Nantes, 5. Februar 1892
Ich bin froh, dass Victor nach Nantes versetzt wurde und nicht zu einem Ort namens Werchojansk, an dem vor wenigen Tagen eine Temperatur von fast achtundsechzig Grad unter null gemessen wurde. Die Zeitung schreibt, dass dies jetzt der kälteste Ort ist, an dem Menschen leben. Da dieses Werchojansk im russischen Sibirien liegt, wird ein französischer Armeeoffizier wohl kaum dorthin versetzt werden. Ich muss überlegen, was die kälteste Temperatur war, der ich jemals ausgesetzt wurde. Mit Vater und Mutter bin ich im Winter einmal in der Nähe von Grenoble gewesen und wir sind auf einem See Schlittschuh gelaufen und es hat geschneit und es war auch sehr kalt, aber es war eigentlich nicht unangenehm, es hat mir sogar Freude gemacht. Ich war am Abend so herrlich erschöpft und hungrig. Es waren wohl nur wenige Grade unter null und es lässt sich bestimmt nicht mit der Kälte in diesem Werchojansk vergleichen. Ich frage mich, ob das Blut nicht gefriert, bei achtundsechzig Grad unter null. In Nantes zeigt das Thermometer heute sechs Grad Plus und es hat am Vormittag geregnet. Schneefall wäre mir allerdings lieber als dieser Regen.
Nantes, 16. Februar 1892
Heute Morgen bin ich im Bett geblieben, es ging mir nicht so gut. Jetzt langweile ich mich. Ich bin matt, kann aber auch nicht schlafen und zum Lesen habe ich auch keine rechte Lust. Jeanette ist einkaufen gegangen, Victor hat Dienst. Er wird ausgerechnet heute erst spät nach Hause kommen.
Nantes, 21. Februar 1892
Die letzten Tage waren verflixt. Einmal bin ich morgens wieder so matt und mir ist schlecht, dann geht es mir am nächsten Tag wieder hervorragend. Dieser Wechsel dauert nun schon fast eine Woche an. Ich mag ja kaum daran denken, aber ich glaube, ich erwarte ein Kind. Ich war bislang noch nicht bei einem Arzt, ich habe noch nicht einmal einen Arzt hier in Nantes. Es wäre natürlich unser größter Wunsch, wenn ich wirklich ein Kind bekäme. Ich weiß nicht, ob es albern ist, damit jetzt zu einem Arzt zu gehen, vielleicht sollte ich noch abwarten. Aber wenn es etwas anderes ist, wenn ich wirklich krank bin, dann muss ich doch zu einem Arzt gehen. Ich weiß nicht recht, noch ist mir ja nicht sterbenselend.
Nantes, 27. Februar 1892
Es ist wieder alles in Ordnung mit mir, mein Unwohlsein ist seit vier Tagen vorüber, als wenn nichts gewesen sei. Gestern hatten wir sogar Besuch von Tante Carla, Onkel Joseph und von Anne. Victor hatte den Nachmittag dienstfrei und so sind wir alle gemeinsam in die Stadt gegangen. Anschließend haben wir die Drei wieder zum Bahnhof gebracht. Vannes ist mit der Eisenbahn keine zwei Stunden von Nantes entfernt. Ich überlege mir daher, bald einmal einen Gegenbesuch zu unternehmen.
Nantes, 3. März 1892
Die Ruhe war trügerisch. Vor fünf Tagen war mir am Morgen wieder so furchtbar übel. Ich habe mir gleich einen Arzt empfehlen lassen und bin noch am Vormittag in die Sprechstunde gegangen. Natürlich war ich wegen einer möglichen Krankheit besorgt, doch insgeheim habe ich noch immer auf etwas anderes gehofft, die Anzeichen waren doch da. Ich bin zu meinem Unglück schnell eines Besseren belehrt worden. Der Arzt hat ein Fieber festgestellt, irgendeine Krankheit, die in diesen ungemütlichen Wochen in Nantes umgeht. Ich habe Bettruhe verordnet bekommen, Jeanette hat mich gepflegt und Victor ist die ersten beiden Tage nicht zum Dienst gegangen. Ich bin so dumm. Vor der Untersuchung wollte ich dem Arzt schon anvertrauen, dass wir uns ein Kind wünschen und welche Vermutung ich zu meinem Zustand hätte. Ich bin nur froh, dass ich es nicht getan habe. Ich komme mir so dumm vor. Zum Glück lässt die Enttäuschung langsam nach, auch weil ich mich auf dem Wege der Besserung befinde.
Nantes,