Ströme meines Ozeans. Ole R. Börgdahl
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Paris, 18. März 1891
Ostern ist dieses Jahr recht früh, schon in der nächsten Woche. Mutter hat geschrieben. In England gab es fürchterliches Wetter. Selbst die Zeitungen in Paris haben darüber berichtet, aber es schien so fern zu sein. Vater hat keine Verluste erlitten, obwohl sehr viele Schiffe auf See gesunken sind. Über die Anzahl der menschlichen Opfer schreibt Mutter nichts, sie berichtet nur von sehr schlechtem Wetter in Liverpool, von starken Regenfällen. In Gayton, war es genauso schlimm und Mutter hatte Angst, ihr Garten würde fortschwimmen. Der Brief war drei Tage unterwegs. Ich gäbe viel darum, mit Mutter telefonieren zu können, so wie es jetzt zwischen Paris und London möglich sein soll. Vielleicht gibt es in den nächsten Jahren auch solche Verbindungen zwischen Paris und Liverpool oder zwischen anderen Städten im Ausland.
Paris, 7. April 1891
Kayes sucht Offiziere. Sobald ein Offizier angefordert wird, klingt es für mich nach Krieg, nach Gefahr. Wir haben heute über die Möglichkeit gesprochen, dass Victor in den Sudan geht, dass wir nach Afrika gehen, oder dass nur er geht, für ein paar Monate und ich hier in Paris bleibe. Wenn ich mit nach Afrika käme, dann könnte ich in Dakar bleiben, solange Victor in Kayes zu tun hat. Er würde immer nach Dakar kommen, um mich zu sehen. Es ist noch lange nichts entschieden. Victor hat mit mir gesprochen, damit ich vorbereitet bin. Er will sich selbst nicht anbieten, das hat er mir versprochen, aber er will die richtige Antwort geben können, wenn sie ihm einen Posten im Sudan anbieten, wenn sie ihm dort Möglichkeiten in Aussicht stellen. Ich habe Victor angehört, ihm aber nichts versprochen, denn ich weiß selbst noch nicht, worauf ich mich einlassen würde, wenn aus den Plänen, aus den Gedanken, Realität wird.
Paris, 15. April 1891
Seit zwei Monaten wohnt Madame Bernier jetzt nicht mehr bei uns. Sie kommt jeden Morgen pünktlich und geht auch am Nachmittag ebenso pünktlich wieder. Sie verrichtet ihre Arbeit, aber das ist auch schon alles. Victor lässt dies gleichgültig. Ich weiß nicht, wie lange es noch so weitergehen soll, vielleicht sollte ich einmal mit Madame Bernier sprechen und vielleicht sollte auch Victor dabei sein.
Paris, 22. April 1891
Das Haus in der Rue Marcadet gehört uns. Wir wollen es umbauen. Ich plane bereits. Der Architekt war gestern bei uns und wir sind durchs Haus gegangen. Im unteren Stockwerk werden wir alles so belassen, wie es ist. Die Eingangshalle, der Salon und Vaters ehemaliges Arbeitszimmer können so bleiben, wie sie sind. Vielleicht ist Victor eines Tages Colonel oder noch etwas Höheres, dann können wir im Salon unsere Gäste empfangen und bewirten. Oben wollen wir eine kleine Wohnung einrichten, mit separatem Wohnzimmer und einem Schlafzimmer für Victor und mich. Die anderen Zimmer lassen wir auch noch umbauen, sodass Mutter und Vater ihre eigenen Räume haben, wenn sie uns in Paris besuchen. Die Zimmer für die Angestellten unter dem Dach werden wir auch so belassen. Es wohnt ohnehin nur noch Jeanette dort oben.
Paris, 27. April 1891
Victor hatte die letzten Wochen nicht viel Zeit. Morgens geht er schon früh aus dem Haus, aber ich genieße es, ihn abends bei mir zu haben. Ich bin auch morgens schon um neun im Geschäft von Monsieur Rolland und bleibe bis fünf. In der letzten Woche hat mich Monsieur Rolland zweimal mit zu Kunden genommen. Wir haben unsere Kollektionen vorgestellt und einen Auftrag über ein Kollier mit passendem Armreif und Ohrringen erhalten. Einmal sind wir auf der Rückfahrt am Palais Royal vorbeigekommen und Monsieur Rolland hat mir gezeigt, wo sein altes Geschäft war. Das Palais Royal ist natürlich eine sehr gute Adresse. Monsieur Rolland hat den Laden aber aufgegeben, weil die Räumlichkeiten immer beengter wurden und auch, weil die Mieten sehr hoch sind. Ich hätte nichts dagegen, im Palais zu arbeiten, es ist alles so würdevoll und alt.
Paris, 2. Mai 1891
Es ist eine Schande, warum müssen Menschen sterben, warum wird auf wehrlose Menschen geschossen. Ich weiß es nicht, alles was ich weiß, habe ich aus der Zeitung erfahren. Die Fabrikarbeiter in ganz Frankreich, ich glaube sogar in ganz Europa oder sogar der Welt, haben gestern einen Feiertag begangen, den Tag der Arbeiter, der seit gestern nun jedes Jahr zum 1. Mai stattfinden soll. Dieser Tag wird aber bestimmt nicht noch einmal begangen, nicht nach dem, was sich gestern in Fourmies ereignet hat. Die Polizei hat auf Demonstranten geschossen, es gab neun Tote, zumeist ganz junge Männer, wie die Zeitungen schreiben und es wurde auch eine Frau verletzt, eine Frau, die ganz bestimmt keinem der Polizisten etwas zuleide hätte tun können. Ich habe Victor gefragt, was er unternommen hätte, ob er auch den Befehl zum Schießen gegeben hätte. Es ist nicht ganz fair, so etwas zu fragen. Victor ist mir ausgewichen. Er hat mich gefragt, ob ich denn wüsste, dass die Demonstranten nicht bewaffnet gewesen seien und ob ich es besser gefunden hätte, wenn nun die Frauen der Polizisten um ihre Männer trauerten. Ich wusste es natürlich nicht. In der Zeitung wurde nur von friedlichen Demonstranten berichtet. Ich bin aber davon überzeugt, wenn sie friedlich waren, dann hatten sie auch keine Waffen. Als Offizier, so meinte Victor, hätte er immer die Verantwortung für seine eigenen Männer und so kann es auch dem Polizeioffizier ergangen sein. Ich gebe Victor nur in einem Recht, wir waren beide nicht in Fourmies dabei und kennen nur das, was die Zeitung berichtet.
Paris, 20. Mai 1891
Gestern haben wir einen Eilauftrag bekommen. Eine ungewöhnliche Sache, denn Monsieur Rolland hat eine Brosche nicht verkauft, sondern für zwei Tage verliehen. Der Empfänger brauchte sie innerhalb einer Stunde und so hatte ich den Einfall, das Schmuckstück mit der Rohrpost zu verschicken. Wir sind gemeinsam zum Amt gegangen, aber leider wurde unsere Sendung nicht angenommen. Monsieur Rolland war mir aber nicht böse. Er hielt es trotzdem für eine gute Idee. Wir haben schließlich einen Kurier geschickt.
Paris, 11. Juni 1891
Aus der Kaserne gab es heute Neuigkeiten. Colonel Dubois, Victors Vorgesetzter wird auf eigenen Wunsch nach Brest versetzt. Colonel Dubois will seine letzten Dienstjahre in seiner Heimatstadt verbringen. Es wird aber erst im Oktober soweit sein. Victor bedauert es sehr, weil er mit Colonel Dubois mehr einen väterlichen Freund als einen Vorgesetzten hat.
Paris, 19. Juni 1891
Ich habe heute mit einer Dame gesprochen, ich weiß gar nicht, wer sie war. Ich bin nach Hause gekommen, da hat sie mich auf dem Bürgersteig angesprochen. Sie hat die Häuser in der Rue Marcadet gelobt, dass alles wieder so schön hergerichtet worden sei und dass unser Viertel nobler geworden wäre. Ich habe erst gar nicht verstanden, was die Dame damit meinte, aber dann hat sie mir erzählt, dass die Rue Marcadet ein Opfer der Commune gewesen sei, dass vor zwanzig Jahren viele Häuser in der Straße niedergebrannt wurden. Unser Haus muss auf den Trümmern der alten Rue Marcadet errichtet worden sein, ein merkwürdiger Gedanke. Ich frage mich gerade, ob vielleicht unser Keller noch der Keller des alten Hauses ist.
Paris, 6. Juli 1891
Der Sudan feiert bald sein einjähriges Bestehen unter französischem Schutz. Einige Wochen lang haben Victor und ich nicht mehr darüber gesprochen. Es gibt ein paar Heimkehrer in Victors Kaserne, die Männer der ersten Stunde, wie er sagt. Alle sind unversehrt und sehr zufrieden, mit der geleisteten Arbeit. Frankreich profitiert von seinen Kolonien. Ich weiß jetzt auch mehr über Afrika. Dieses Afrika ist faszinierend und unheimlich zugleich. Die Menschen, die dort leben, sind keine Franzosen, aber sie sollen den Franzosen