Ströme meines Ozeans. Ole R. Börgdahl

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Ströme meines Ozeans - Ole R. Börgdahl

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im August für eine Woche zu reisen. Ich hoffe Victor begleitet mich, wir sehen uns jetzt fast jeden Tag und gehen bei schönem Wetter in den Parks spazieren. Am Wochenende hatten wir eine Kutsche und sind nach Versailles hinausgefahren. Es war ein herrlicher Tag. Wir waren erst spät am Abend wieder zurück in Paris.

      Paris, 12. Juli 1890

      Victor hat mir einen Atlas geschenkt. Er ist nagelneu und muss ein Vermögen gekostet haben. Ich wollte Mrs. Blys Weltreise dort mit einem Graphitstift einzeichnen, genauso wie Jules Verne es auf der großen Karte in seinem Haus gemacht hat. Es war mir jedoch zu schade um das wertvolle Buch. Ich habe aber dann doch eine einfache Lösung gefunden. Ich verwende ein transparentes Blatt Papier und lege es über die Karte im Atlas. Die Karte scheint durch und ich kann auf das Transparentpapier zeichnen, ohne eine Spur in dem Buch zu hinterlassen. So kann ich immer die Route verfolgen und sie weiterführen, je nachdem, wie weit ich in Mrs. Blys Bericht fortgeschritten bin. Ich habe bereits den Atlantischen Ozean mit dem Graphitstift überquert. In Mrs. Blys Bericht hat mir bislang am besten der Besuch bei Madame und Monsieur Verne in Amiens gefallen. Ich habe schon überlegt Victor zu fragen, ob wir nicht auch einmal nach Amiens reisen könnten. Wir würden uns dann nach Monsieur Vernes Haus erkundigen und einmal daran vorbeigehen. Vielleicht würden wir ihm und seiner Frau ja auch in der Stadt begegnen und vielleicht lädt er uns zu sich nach Hause ein und zeigt uns sein Arbeitszimmer, so wie er es Mrs. Bly gezeigt hat.

      Paris, 30. Juli 1890

      Ich durfte mir heute Victors Büchlein ansehen. Es ist nicht so, dass er auch Tagebuch führt und wenn sein Büchlein ein Tagebuch wäre, dann hätte ich nicht darum gebeten, es zu lesen. Victor schreibt Sprüche und Zitate in sein Büchlein. Er sammelt sie und das schon, seitdem er Schüler war. Er ist sehr wählerisch und schreibt nur das auf, was ihm gefällt. Es sind daher auch keine zwanzig Seiten, die er gefüllt hat. Heute hat er wieder einen Spruch gefunden und ihn in meinem Beisein niedergeschrieben: »Ich beuge mich, aber ich breche nicht.« Victor notiert zu jedem Zitat, von wem es stammt und wann und wo er es gefunden hat. »Ich beuge mich, aber ich breche nicht« soll von Jean de Lafontaine stammen. Jedes Schulkind kennt Lafontaine und seine Fabeln. Victor hat schon viele seiner Sprüche notiert. Mir gefällt auch dieser hier: »Man läuft Gefahr zu verlieren, wenn man zu viel gewinnen möchte«. Victor hat ihn ebenfalls aus dem Figaro. Das allererste Zitat, das sich Victor jemals notiert hat, lautet: »Ein Sprichwort ist ein kurzer Satz, der sich auf eine lange Erfahrung gründet«. Es stammt von Cervantes und Victor hat den Spruch in einem Schulbuch gefunden und ihn am 9. Mai 1875 notiert. Ich finde es ist sehr passend für das erste Sprichwort, das man sich aufschreibt.

      Paris, 22. August 1890

      Eben gerade habe ich die letzten Zeilen in Mrs. Blys Reisebericht gelesen. Ich habe den Atlas genommen und habe ihre Reiseroute noch einmal verfolgt. Von New York über den Atlantik hierher zu uns nach Europa, nach Frankreich. Dann in Italien von Brindisi aus auf dem Dampfer durch das Mittelmeer nach Ägypten, nach Port Said. Weiter durch den Suezkanal, durchs Rote Meer bis nach Aden. Von dort über den Ozean nach Colombo. Weiter nach Penang und Singapur bis nach Hongkong. Das waren schon zwölftausend Meilen, eine gewaltige Strecke, aber es ging ja noch weiter. Über Yokohama und zurück auf den amerikanischen Kontinent, nach San Francisco. Hier ist Mrs. Bly vom Dampfschiff auf die Eisenbahn umgestiegen, bis nach Chicago und schließlich zu ihrem Ziel nach Jersey City gefahren. Es waren genau einundzwanzigtausendsiebenhundertvierzig Meilen, einmal rund um die Welt in tausendsiebenhundertdreißig Stunden und davon hat sie auch noch fast sechzehn Tage durch unvorhersehbare und unvermeidliche Aufenthalte verloren. Wenn jedes Schiff, jede Zugverbindung ohne Verzögerung erreicht wird, wenn es nirgends auf dieser langen Reise eine Verzögerung gibt, dann hätte es Mrs. Bly in etwas mehr als sechsundfünfzig Tagen um die Erde geschafft. Vielleicht wird ein solches Rennen einmal arrangiert, vielleicht warten in jedem Hafen die Dampfschiffe, voll mit Kohle gebunkert, sodass der Weltreisende nur noch von einem Deck zum anderen springen muss und es geht weiter. Vielleicht wird für die Überlandfahrten eine Eisenbahn benutzt, die ohne Halt die Strecken überwindet. Wenn dies alles arrangiert ist, wenn die schnellsten Dampfschiffe und rasantesten Eisenbahnen zur Verfügung stehen, kann eine Reise um die Erde auch in fünfzig oder gar vierzig Tagen geschafft werden. Eines an Mrs. Blys Reise hat mich aber nicht minder verblüfft. Eine Weltreise zu unternehmen weckt in mir die Vorstellung, auch viel von der Welt zu sehen. Am Ende ihres Berichts zählt Mrs. Bly noch einmal auf, welche Länder sie schließlich besucht hat. Europa war mit England, Frankreich und Italien vertreten, sicherlich nicht sehr viele Länder. Außerhalb Europas war sie dann eigentlich nur noch in Ägypten, Japan und den Vereinigten Staaten und in einigen britischen Besitzungen an der arabischen, indischen und chinesischen Küste. Es ist nicht viel, und es fehlt doch der größte Teil der Welt. Wenn ich eine solche Reise unternehmen würde, so wollte ich doch auch Südamerika, Afrika und das nördliche Asien kennenlernen. Ich könnte mithilfe meines Atlas zahllose Städte und Orte aufzählen, doch sie zu bereisen dürfte Monate, nein bestimmt Jahre dauern. Eines hat Nellie Bly aber geschafft und das war ja auch das Ziel ihrer Reise, sie ist in eine Richtung gestartet, hat diese Richtung immer beibehalten und ist dann wieder dort angekommen, wo sie gestartet ist, eine Umrundung der Welt eben.

      Paris, 30. August 1890

      Mutter hat noch einmal geschrieben, obwohl wir Vater und sie doch in wenigen Tagen besuchen. Mutter hat mir ein paar Dinge aufgetragen, die ich ihr unbedingt mitbringen soll. Ich hoffe, die Sachen noch zu bekommen. Mutter ist auch etwas besorgt, wegen der streikenden Hafenarbeiter. Sie hat gehört, was vor einem Jahr in London auf den Docks passiert ist und fürchtet jetzt, dass Victor und ich in Liverpool nicht sicher sind. Vater wird uns bestimmt das Kontor im Hafen zeigen wollen und lässt sich davon auch nicht abbringen. Ihr wäre es am liebsten, wenn wir die ganze Zeit in Gayton blieben und nicht nach Liverpool hineinführen. Noch sind wir ja nicht in Liverpool und ich glaube, es wird schon nicht so schlimm sein. Ich werde größere Schwierigkeiten haben, Mutters Wunschliste zu erfüllen.

      Paris, 9. September 1890

      Morgen früh reisen wir. Erst nach Le Havre und dann weiter mit dem Schiff direkt nach Liverpool. Victor will mich mit irgendetwas überraschen und ich glaube auch zu wissen, was es ist. Ich werde hier nichts von meinen Vermutungen notieren, weil es Unglück bringt. Ich will jetzt auch nicht weiter darüber nachdenken. Ich freue mich erst einmal, die Eltern wiederzusehen und dann ist da ja auch noch Mutters Geburtstag.

      Gayton, 13. September 1890

      Victor hat selbst mich überrascht, obwohl ich es ehrlich gesagt schon geahnt habe. Victor hat mit Vater über die Hochzeit gesprochen und darum gebeten, dass wir noch dieses Jahr heiraten. Vater musste natürlich zustimmen, was sollen auch die Freunde und Bekannten in Paris sagen, wenn ich dort weiterhin ganz alleine lebe, ohne die Aufsicht meiner Eltern. Es ist einfach anständiger verheiratet zu sein und nicht nur verlobt. Ich habe ja ein wenig auf diesen Ausgang spekuliert, als ich mich geweigert habe, die Eltern nach Liverpool zu begleiten. Ich bin so glücklich, es ist so herrlich. Zu Weihnachten kommen Mutter und Vater nach Paris und wir heiraten am 24. Dezember, unserem Tag. Es gibt bis dahin noch so vieles vorzubereiten und so vieles zu besprechen.

      Gayton, 14. September 1890

      Auch am Tag danach hält das Glück an, ich kann kaum an etwas anderes denken. Wir sind auch noch gar nicht in der Stadt gewesen. Mutter hatte recht, es gibt dort Unruhen und es soll sogar ein Armeeregiment nach Liverpool beordert werden. Der Bürgermeister hat den Ausnahmezustand erklärt, und das alles nur, weil die Hafenarbeiter mehr Geld für ihre Arbeit fordern. Vaters Geschäfte sind auch betroffen, er hat niemanden mehr, der sein Holz verlädt. Er wollte schon einige Arbeiter aus Manchester kommen lassen, doch ihm wurde davon abgeraten. Wir wissen nicht, wie lange noch gestreikt

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