Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam. Stefan Zweig
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In allem Nüchternen und Lehrhaften versteckt sich aber die Gefahr der Verflachung ins Philiströse, und wenn die Aufklärerei des siebzehnten, des achtzehnten Jahrhunderts uns durch ihre anmaßende Vernünftelei anwidert, so ist das nicht des Erasmus Schuld, denn sie äffte nur seine Methode nach und entbehrte seines Geistes. Jenen Kleingeistern fehlte das Gran attischen Salzes, jene souveräne Überlegenheit, die alle Briefe und Dialoge ihres Meisters so unterhaltsam, so literarisch schmackhaft macht. In Erasmus balancierte immer eine heitere spöttische Laune mit dem Gravitätisch-Gelehrtenhaften, er war stark genug, um mit seiner geistigen Kraft auch spielen zu können, und vor allem war ihm ein zugleich funkelnder und doch nicht bösartiger, ein kaustischer und doch nicht böswilliger Witz zu eigen, dessen Erbe Swift wurde und dann Lessing, Voltaire und Shaw. Erasmus wußte als erster großer Stilist der neuen Zeit gewisse ketzerische Wahrheiten zwinkernd und blinzelnd zu flüstern, er verstand es, mit genialer Frechheit und unnachahmlicher Geschicklichkeit die allerheikelsten Dinge an der Nase der Zensur vorbeizuschreiben, ein gefährlicher Rebell, der sich selbst aber nie gefährdete, geschützt durch seinen Gelehrtentalar oder ein rasch übergestülptes Schalksgewand. Für ein Zehnteil dessen, was Erasmus an kühnen Dingen seiner Zeit sagte, kamen andere auf den Scheiterhaufen, weil sie es grob herauspolterten; seine Bücher aber nahmen Päpste und Kirchenfürsten, Könige und Herzöge hochgeehrt entgegen und entgalten sie sogar mit Würden und Geschenken; dank seiner literarisch-humanistischen Verpackungskunst hat Erasmus eigentlich den ganzen Sprengstoff der Reformation in die Klöster und Fürstenhöfe hineingeschmuggelt. Mit ihm beginnt – überall war er Bahnbrecher – die Meisterschaft politischer Prosa mit ihrer ganzen Skala vom Dichterischen bis zum muntern Pasquill, jene beflügelte Kunst des zündenden Worts, die dann bei Voltaire, Heine und Nietzsche herrlich vollendet aller weltlichen und geistlichen Mächte spottet und immer dem Bestehenden gefährlicher war als die grobe offene Attacke der Schwerblütigen. Durch Erasmus wird der Schriftsteller zum erstenmal eine europäische Macht neben den andern Mächten. Und daß er sie nicht im Sinne der Auflösung und Aufhetzung, sondern einzig in jenem der Bindung und Gemeinsamkeit geübt hat, bleibt sein dauernder Ruhm.
Dieser große Schriftsteller ist Erasmus nicht von Anfang an gewesen. Ein Mann seiner Art muß alt werden, um in die Welt zu wirken. Ein Pascal, ein Spinoza, ein Nietzsche können jung sterben, weil ihr zusammengefaßter Geist gerade in den engsten und geschlossensten Formen Vollendung findet. Ein Erasmus dagegen, ein sammelnder, suchender, ein kommentierender und komprimierender Geist, der seine Substanz nicht so sehr in sich selbst hat, als er sie aus der Welt gewinnt, wirkt nicht durch seine Intensität, sondern durch seine Extensität. Erasmus war mehr Könner als Künstler, für seine ewig parate Intelligenz ist Schreiben nur eine andere Form des Gesprächs, sie kostet seiner geistigen Beweglichkeit keine sonderliche Mühe, und er erklärt selbst einmal, daß es ihm weniger Anstrengung bereite, ein neues Buch zu verfassen, als die Korrektur eines alten zu lesen. Er braucht sich nicht zu erhitzen, nicht zu steigern, sein Verstand ist ohnehin immer rascher, als das Wort ihm folgen kann. »Mir war«, schreibt Zwingli, »als ich Deine Schrift las, als ob ich Dich reden hörte und Deine kleine, aber zierliche Gestalt auf das gefälligste sich bewegen sähe.« Je leichter er schreibt, desto überzeugender, je mehr er schafft, um so wirksamer.
Die erste Schrift, die Erasmus Ruhm einbringt, dankt ihr Glück einem Zufall oder vielmehr einem unbewußten Erkennen der Zeitatmosphäre. Im Laufe der Jahre hatte der junge Erasmus zu Lehrzwecken für seine Schüler eine Sammlung lateinischer Zitate zusammengestellt, bei guter Gelegenheit ließ er sie in Paris unter dem Titel »Adagia« drucken. Damit kommt er unbeabsichtigt dem Snobismus der Zeit entgegen, denn gerade war Latein die große Mode geworden, und jeder Mann von literarischem Rang – dieser Mißbrauch reicht bis nahe an unser Jahrhundert – glaubte sich als »Gebildeter« verpflichtet, einen Brief oder eine Abhandlung oder eine Rede mit lateinischen Zitaten spicken zu müssen. Die geschickte Auswahl des Erasmus sparte nun allen humanistischen Snobs die Mühe, selbst die Klassiker zu lesen. Wenn einer einen Brief schreibt, braucht er von nun an nicht lange Folianten zu wälzen, sondern er fischt sich rasch eine hübsche Floskel aus den »Adagia« heraus. Und da die Snobs zu allen Zeiten zahlreich sind und waren, macht das Buch rasch seinen Weg: ein Dutzend Auflagen, jede fast doppelt soviel Zitate als die vorhergehende enthaltend, werden in allen Ländern gedruckt, und mit einmal ist der Name des Findlings und Bastards Erasmus berühmt in der ganzen europäischen Welt.
Ein einmaliger Erfolg beweist nichts für einen Schriftsteller. Wiederholt er sich aber immer und immer wieder und jedesmal auf einem andern Gebiete, dann deutet sich eine Berufung an, dann ist ein besonderer Instinkt bei diesem Künstler bezeugt. Diese Kraft läßt sich nicht steigern, diese Kunst nicht erlernen; niemals zielt auch Erasmus bewußt auf einen Erfolg, und immer fällt er ihm wieder auf das überraschendste zu. Wenn er in seinen »Colloquia« privat für seine ihm anvertrauten Schüler ein paar Dialoge zur leichteren Erlernung des Lateins hinschreibt, wird ein Lesebuch daraus für drei Generationen. Wenn er in seinem »Lob der Torheit« eine scherzhafte Satire zu schreiben meint, entfesselt er mit diesem Buch eine Revolution gegen alle Autoritäten. Wenn er die Bibel aus dem Griechischen ins Lateinische neu übersetzt und kommentiert, beginnt damit eine neue Theologie; wenn er für eine fromme Frau, die sich über die unreligiöse Gleichgültigkeit ihres Mannes kränkt, innerhalb weniger Tage ein Trostbuch schreibt, wird es ein Katechismus der neuen evangelischen Frömmigkeit. Ohne zu zielen, trifft er immer ins volle. Was immer ein freier und unbefangener Geist souverän berührt, wird neu für eine in überlebten Vorstellungen befangene Welt. Denn wer selbständig denkt, denkt zugleich auch am besten und förderlichsten für alle.
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