Die Cousine aus Frankreich. Catherine St.John

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Die Cousine aus Frankreich - Catherine St.John

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      Die Cousine aus Frankreich. Historischer Roman

      Catherine St. John

      published by: epubli GmbH, Berlin

      www.epubli.de

       Copyright: © 2015 Catherine St. John

      ISBN 978-3-7375-4805-2

      I

      „Wie heiße ich eigentlich?“

      Der alte Mann auf dem Kutschbock zeigte sich ob dieser immerhin ungewöhnlichen Frage weniger erstaunt, als man hätte erwarten können. Nach kurzer Verwirrung antwortete er: „Was - ? Ach so! Henri. Henri Letellier.“

      Sein Beifahrer nickte befriedigt. Es handelte sich um einen sehr jungen Burschen, mittelgroß und schmächtig gebaut, mit stark sonnenverbranntem Gesicht und strähnigen dunklen Locken, die im Nacken auf die übliche Art schlampig zu einem Zopf gebunden waren. Seine Kleidung - Hose, Jacke und Umhang aus derbem Stoff, dazu grobe Wollsocken und abgeschabte Holzpantinen - entsprach der üblichen Tracht der Bauern in diesem Landstrich Frankreichs und war ganz besonders schmutzig und abgetragen.

      Die nächsten Worte des Jungen hätten einen zufälligen Lauscher gewiss noch mehr verwundert, denn nachdem er ein wenig über seinen neuen Namen nachgesonnen hatte, sagte er: „Dann fang wohl besser gleich an, mich zu duzen, und pass auf, dass du nicht mehr Comtesse zu mir sagst, sonst werden mir die Posten nie glauben, dass ich dein Neffe bin.“

      „Zu Befehl, Com- ganz wie du willst, Henri. Aber vor der Abzweigung nach Deauville gibt es eigentlich nie einen Posten, und bis dahin werde ich mich schon daran gewöhnt haben.“

      „Hoffentlich!“, war die kurze Antwort.

      Während der Wagen dahinrumpelte, versank der junge Bursche in Gedanken. Nun verließ also Geneviève de Deaubray, alias Henri Letellier, ihr väterliches Schloss… wenn man diesen Trümmerhaufen überhaupt so nennen konnte, dachte sie nicht ohne Erbitterung. Und das, um vor der Revolution nach England zu fliehen.

      Zwar war diese Gegend bisher noch erstaunlich friedlich geblieben: Hier hatten, soweit sie wusste, noch keine Schlösser gebrannt, was wohl auf die relative Armut des hiesigen Adels zurückzuführen war, die mit dem Bild des arroganten Aristokraten in Samt und Seide, der die Bauern für sein Wohlleben ausblutete, schlecht zusammenpasste. Andererseits erging es der Bevölkerung hier auch nicht besser als in anderen Teilen des Landes. Irgendwann musste sie auch hier aufstehen: Besser, sie brachte sich vorher in Sicherheit!

      Es musste natürlich erst eine Revolution kommen, damit sie etwas von der Welt sah! Ihr verstorbener Vater, der Comte Armand de Deaubray, hatte stets sehr zurückgezogen gelebt, ohne sich allerdings allzu sehr mit der Verwaltung seines Gutes zu befassen, wie Geneviève wieder einmal feststellen musste, als sie in der Dämmerung an den verwahrlosten Bauernkaten vorbeifuhren, die noch zu Deaubray gehörten. Nie hatte Papa einen Sou dafür aufgewendet; für seine Tochter allerdings auch nicht.

      Ja, sie war noch nicht einmal in Paris gewesen, und nun würde sie es wohl nie sehen, denn wer wusste, wann sie nach Frankreich zurückkehren konnte?

      Schon drei Jahre dauerte diese schreckliche Revolution nun an und es war kein Ende abzusehen – ja, es schien täglich schlimmer zu werden! Immer mehr Menschen wurden umgebracht, hingerichtet, wie man es nannte, als ob es ein Verbrechen wäre, von Adel zu sein!

      Man hatte vor einem Monat, am 10. August 1792, sogar die Monarchie abgeschafft. Genevièves Lippen kräuselten sich, als sie an die grausige Szene dachte. Ihr Vater hatte müßig und mit spitzen Fingern nach dem Moniteur universel gegriffen (er hasste dieses offizielle Blatt, las es aber doch), als er plötzlich aufsprang, entsetzt auf die Titelseite starrte, sich an die Brust griff und schwer zu Boden stürzte. Weder die Bemühungen der zu Tode erschrockenen Geneviève noch die des eiligst herbeigeholten Dr. Tissot hatten ihn zu retten vermocht; die Nachricht war zuviel für sein Herz gewesen.

      Geneviève, die den König insgeheim für einen unfähigen Tropf hielt, schnaubte verächtlich, als sie daran dachte. Hätte man dem Grafen mitgeteilt, seine einzige Tochter habe sich bei einem Reitunfall das Genick gebrochen, wäre ihm das Herz ganz gewiss nicht stehen geblieben!

      Ihr Vater hatte sie nie viel beachtet, da sie nur ein Mädchen war, und sich praktisch für kinderlos gehalten, seit seine Frau vor vierzehn Jahren mit seinem einzigen Sohn im Kindbett gestorben war. Geneviève hatte ihren Vater nicht besonders geliebt. Sein plötzlicher Tod war zwar ein Schock für sie gewesen, da sie ihn miterleben musste, aber als die Betäubung nachließ, war sie insgeheim erleichtert: Nun konnte sie endlich nach England reisen! Die Nachrichten aus Paris klangen täglich bedrohlicher; einerseits nahm sie es dem Volk und vor allem den Bauern nicht übel, dass sie sich erhoben hatten, denn auch ihr waren die Zustände des ancien régime unhaltbar erschienen (wenn auch ein Gutteil dieser Ansicht Lucien zu verdanken war), aber andererseits wollte sie doch lieber bei Tante Anne in London Zuflucht suchen, bevor man sie als aristo verhaftete und womöglich auf dieses neuartige Schafott schleppte, das ausgerechnet ein Arzt, ein gewisser Dr. Guillotin, erfunden haben sollte. Ihr Vater aber hatte allen ihren Vorstellungen von Gefangenschaft und Tod nur stereotyp entgegengesetzt: „Wir Deaubrays schleichen uns nicht wie Diebe davon!“

      Offensichtlich zog er es vor, mit der alten Ordnung unterzugehen. Nun, sie vertrat da eine andere Ansicht!

      Ihre Schultern strafften sich entschlossen, als Jean-Baptiste, der Kutscher ihres Vaters, sie anstieß und murmelte: „Da vorne geht´s nach Deauville, und da sind auch schon die Posten. Achtung jetzt, Henri!“

      „Schon gut, Onkel“, antwortete sie, nicht ohne spitzbübische Betonung des letzten Wortes. Er warf ihr einen irritierten Blick zu – dass sie auch immer ihre Witze machen musste! – und ließ das Pferd in Schritt fallen, bis man die beiden Soldaten erreicht hatte. Dort zog er die Zügel an, bevor noch das „Halt! Im Namen der Republik!“ der Soldaten ertönte, und tippte grüßend an die Mütze.

      Einer der Posten hob die Laterne und leuchtete den nächtlichen Passagieren ins Gesicht. Während Jean-Baptiste umständlich nach dem Pass kramte, gähnte Geneviève ungeniert, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten, und rülpste sodann ausführlich. Dieser Beweis schlechter Manieren überzeugte die Wächter mehr als der ordnungsgemäß ausgestellte Pass für Jean-Baptiste Moulon und seinen Schwestersohn Henri Letellier (der an diesem Abend friedlich zu Hause saß), dass hier keine Aristokraten aus dem Lande geschmuggelt werden sollten.

      „In Ordnung. Fahrt zu, Bürger!“

      Erleichtert trieb Jean-Baptiste das Pferd an, und als sie außerhalb der Hörweite der beiden waren, entfuhr Geneviève ein langes „Puh!“

      „Ja, das hätten wir, lieber Neffe!“, stimmte Jean-Baptiste zu, der sich umso leichter in seine Onkelrolle fand, als hauptsächlich er die kleine Comtesse großgezogen hatte, die unentwegt ihren Gouvernanten entwischt war, um sich von ihm das Reiten, das Kutschieren und andere interessante Fertigkeiten beibringen zu lassen, anstatt sittsam über ihrem Stickrahmen oder am Pianoforte im schäbigen Salon von Schloss Deaubray zu sitzen. Papa wusste davon natürlich nichts, er glaubte, seine Tochter werde so streng behütet, wie es sich für eine Comtesse de Deaubray schickte – und alle Angestellten ließen ihn gerne in dem Glauben, auch die jeweilige Gouvernante, die um ihre Stellung bangte. Da der Graf den ganzen Tag in seinem Arbeitszimmer über den Reliquien vergangener Glorie der Familie brütete, die mit ihm aussterben würde, bereitete das Versteckspiel keine großen Schwierigkeiten.

      Ja, er hatte es nicht einmal bemerkt, dass seine streng bewachte Tochter es fertig gebracht hatte, sich zu verlieben – in

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