Der Spalt: Wie mich – 24, schlank, sportlich, Nichtraucherin – der Schlag traf.. Meike Mittmeyer-Riehl

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Der Spalt: Wie mich – 24, schlank, sportlich, Nichtraucherin – der Schlag traf. - Meike Mittmeyer-Riehl

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das Ganze nicht so vorstellen, dass das Gefäß aufgerissen ist und Blut aus der Wunde austrat.

      Die spontane Dissektion spielt sich innerhalb eines Gefäßes ab. Ich werde im Laufe meines Berichts trotzdem immer mal das Wort „Aderriss“ verwenden, das als Synonym für „spontane Dissektion“ verstanden werden sollte.

      Abbildung 1: Bei einer Dissektion der Arteria Carotis interna „klappt“ die Mittelwand des Gefäßes nach innen um, in der Folge entsteht ein Hämatom, das den Blutdurchfluss einschränkt oder gänzlich stoppt. © Mit freundlicher Genehmigung von Karl C. Mayer, www.neuro24.de

      Bei einer spontanen Dissektion ist es nun so, dass die innere Wand des Gefäßes – aus Gründen, die bis heute nicht geklärt sind – aufgespalten wird, so als würde man einen Reißverschluss öffnen. Durch diese Aufspaltung entsteht eine Art „Sackgasse“ zwischen innerer und mittlerer Gefäßwandschicht, in die nun Blut einströmt. Es entsteht ein Hämatom, also ein blauer Fleck (siehe Abbildung 1).

      Das ist zwar eine ganz normale Reaktion des Körpers, innerhalb eines Gefäßes kann davon aber eine tödliche Gefahr ausgehen: Das Hämatom wirkt wie ein Stöpsel, der den Blutfluss durch die Ader erheblich einschränkt oder sogar ganz stoppt. Außerdem kann das Blut an der Stelle der Verletzung gerinnen, dadurch bildet sich ein Thrombus, der sich ablösen und weitere Hirngefäße verstopfen kann. Genau das war bei mir geschehen. Das Gehirn bekommt dann nicht mehr genügend Sauerstoff: Neurologische Ausfallerscheinungen wie Seh- oder Sprachstörungen (je nachdem, welche Hirnabschnitte betroffen sind) oder im schlimmsten Fall eben ein lebensgefährlicher Schlaganfall sind die Folge. Um die Verstopfung meines Gefäßes möglichst schnell wieder aufzuheben, war es so wichtig gewesen, dass ich rasch an einen Tropf mit Blutverdünnern angeschlossen wurde und diese auch weiterhin intravenös bekam (zu der Zeit Heparin).

      Dieses Medikament verhindert, dass das Blut allzu schnell gerinnt. Der Nachteil ist, dass Wunden logischer Weise stärker und länger bluten. Das bewirkt nicht nur, dass man unter Einnahme dieser Medikamente oft dicke blaue Flecken hat, die nur langsam wieder verschwinden, sondern dass es auch zu schweren inneren Blutungen kommen kann.

      Eine Operation an dem Gefäß sei nicht nötig, schilderte der Neurologe weiter. Die Ader musste von selbst wieder ausheilen, im Idealfall würde sich das Hämatom zurückbilden und das Blut wieder ungehindert fließen. In bis zu 90 Prozent der Fälle passiert das auch innerhalb von Monaten oder Jahren, wie ich später bei meinen eigenen Recherchen herausfand. Bei zwei Drittel der Patienten mit Karotisdissektion bleibt jedoch eine Ausstülpung, also ein kleines Aneurysma, zurück.6

      Dass mein Gehirn eine Zeit lang von der Sauerstoffversorgung abgeschnitten war, war auf den CT-Aufnahmen ganz eindeutig zu erkennen, erklärte mir der Arzt weiter. Hinweise auf eine Hirnblutung gab es aber keine. Somit hatte ich – „mit sehr, sehr viel Glück“, wie er gleich betonte – keine bleibenden Schäden davongetragen. Vor allem auch dank meines Alters. Denn mein junger Körper hatte es offenbar schnell genug geschafft, die Blutversorgung des Gehirns über andere Wege sicherzustellen. Auf diese Weise war meine rechte Hirnhälfte nur sehr kurz unterversorgt gewesen, darum hatte auch die Lähmung auf der linken Körperseite nur wenige Sekunden angehalten.

      Jugend allein schützt allerdings ganz und gar nicht vor gravierenden Auswirkungen eines Schlaganfalls: bleibende Lähmungen, schwere körperliche oder geistige Behinderungen oder im schlimmsten Fall der Tod können auch bei sehr jungen Patienten die Folge sein – wenn sie es nicht schnell genug in ein Krankenhaus mit Stroke Unit schaffen.

      Glück hatte ich also vor allem deshalb gehabt, weil mir schnell genug geholfen wurde. Ich hatte es Dennis, der den Ernst der Lage sofort erkannte, den besonnen Rettungsassistenten des Deutschen Roten Kreuzes und dem schnellen Handeln der Neurologen in der Stroke Unit Darmstadt zu verdanken, dass ich diesen Hirninfarkt so unglaublich glimpflich überstanden hatte. Die Rettungskette hatte vorbildlich funktioniert - selbstverständlich ist das nicht immer.

      „Aber warum ist das passiert?“, fragte ich meinen Arzt, als er mir die Hintergründe erklärt hatte. „Und warum mir?“ Er schüttelte nur leicht den Kopf. „Es ist immer noch nicht genau geklärt, warum das passiert“, sagte er. Es sei möglich, dass ich beim Tennisspielen eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf gemacht hatte, vielleicht bei einem Sturz. Ob ich denn gestürzt sei? „Kann schon sein“, sagte ich, „aber nicht besonders schlimm.“ Ich begann zu grübeln, und der Arzt lächelte mir aufmunternd zu. „Sie haben sehr, sehr viel Glück gehabt“, brachte er es noch einmal auf den Punkt.

      Tennis war für mich ab jetzt jedenfalls Geschichte. Weil man zumindest davon ausgehen musste, dass ich irgendeine Art von Schwachstelle an den Gefäßwänden haben könnte, bekam ich sozusagen eine lebenslange Sperre. Ich wäre aber auch ehrlich gesagt nicht im Traum auf die Idee gekommen, noch einmal den Schläger in die Hand zu nehmen, nach allem, was passiert war. Allein der Gedanke daran ließ mich schaudern. Auch alle Kontaktsportarten wie Fußball, Handball oder Kickboxen waren für mich nun gestorben. Ab sofort durften es nur noch sanfte Sportarten wie Schwimmen, Walken und Tanzen sein. Ich nahm dieses Sportverbot ziemlich emotionslos hin.

      Einen kleinen Stich in der Magengegend versetzte es mir nur, als der Arzt hervorhob, dass natürlich auch Achterbahnen ein absolutes Tabu seien. Ich liebe Achterbahnen. Und ich bin schon mein ganzes Leben lang gern die höchsten, schnellsten und wildesten Achterbahnen gefahren. Nie war etwas passiert. Warum denn ausgerechnet jetzt? Und warum bei einem harmlosen Tennisspiel? Der vielbeschäftigte Arzt ließ mich grübelnd allein zurück.

      Wie viel Glück ich an diesem 17. März 2012 tatsächlich gehabt hatte, wurde mir erst sehr, sehr viel später klar. Denn das Wörtchen Glück sollte in den kommenden Tagen, die ich noch auf der Stroke Unit verbringen musste, für mich erst mal zu einem Fremdwort werden. Von diesem Tag an ging es stetig bergab.

      „Stellen Sie sich doch vor, lieber Herr Kollege,

      man nähme uns beim Wort!

      Dann müssten wir ja springen!

      Brr, das Wasser ist so kalt! Aber keine Bange!

      Jetzt ist es zu spät, es wird immer zu spät sein.

      Zum Glück!“

       Albert Camus – „Der Fall“ 7

      Ab dem zweiten Tag auf der Stroke Unit durfte ich überhaupt nicht mehr aufstehen, auch nicht aufs Klo gehen. Ich weiß nicht, warum ich es am ersten Abend noch gedurft hatte und jetzt nicht mehr, aber es half ja nichts. Es gab noch nicht mal einen Fernseher im Zimmer, und mir war unfassbar langweilig. Dennis, meine Eltern, mein Bruder und Freunde kamen zwar oft vorbei, aber sie mussten schließlich auch arbeiten, und so war ich den Großteil des Tages doch allein.

      Zum Glück bekam ich an Tag zwei eine neue, nette Zimmernachbarin. Die alte Frau im Koma wurde verlegt und stattdessen kam Maria (Name geändert). Anfangs dachte ich noch, sie würde mich total nerven. Sie ließ sich schon nur sehr widerwillig ins Zimmer bringen und ins Bett verfrachten (sie durfte allerdings auch mal aufstehen), und dann telefonierte sie die ganze Zeit. Aus den Gesprächen erfuhr ich, dass sie auf der Arbeit eine TIA (transitorische ischämische Attacke), also einen Mini-Schlaganfall, erlitten hatte. Ihr war der Telefonhörer aus der Hand gefallen und sie konnte sich nicht mehr an die Namen von Kunden erinnern.

      Jetzt, im Krankenhaus, beschwerte sie sich lautstark bei ihren Gesprächspartnern, dass ihre Kollegen so überreagiert hatten und sie gleich in der Stroke Unit gelandet

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