Digitale Evolution, Revolution, Devolution?. Brendan Erler

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Digitale Evolution, Revolution, Devolution? - Brendan Erler

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Unkenntnis, Einfältigkeit und Zynismus kaum zu übertreffen“ (VUT 2012) und wissenschaftlich unseriös. Erstens wird das Quellenmaterial der KSK als ungeeignet gebrandmarkt, da es sich um Schätzungen der Künstler handele und diese den Anreiz hätten aus steuerlichen Gründen künstlich niedrige Einnahmen anzugeben. Des Weiteren wird die mangelnde Überprüfung auffälliger Schwankungen und Einkommenssteigerungen im Jahre 2008/2009, die auf strengere Überprüfungen seitens der KSK und nicht auf eine bessere Marktlage zurückzuführen sei, gerügt. Vor allem aber sorgt der moderate Zuwachs eines an sich tatsächlich bescheidenen Durchschnittseinkommens als Beleg für die ungerechtfertigten Klagen der Kreativindustrie für Ärger (vgl. ebd.): „Der Kommentar zur behaupteten Steigerung der geschätzten durchschnittlichen Jahres(!)einkommen von ca. EUR 8.800 auf EUR 9.200 über einen Zeitraum von 16 (!) Jahren – ist angesichts der weltweit entstandenen, zahllosen neuen Radio- und TV Sender, Milliarden zusätzlicher Mobil- und Internetnutzungen von Musik zynisch und menschenverachtend“ (ebd.). Hier deutet sich auch schon der sich verschärfende Konflikt mit der Internetindustrie an.

      Mit durchschnittlich 9200 Euro liegen Musiker in der Tat am Ende der Gehaltsskala der Kreativen und, wie Hufgard selbst unter Hinweis des Berufsverbandes der Auftragskomponisten als Antwort auf die teils heftigen Reaktionen bestätigt, unterhalb der Einkommensgrenze und bei einem Drittel des durchschnittlichen Haushaltseinkommens in Deutschland (musik.klarmachen-zum-aendern.de 2012). Zum Vorwurf der Zahlenmanipulation seitens des VUT und zum empirischen „Wert“ der Daten der KSK lässt sich nur sagen, dass es wohl durchaus Anreize gibt, korrekte Zahlen anzugeben, da sowohl die Höhe des Krankengeldes als auch die Zahlungen in die Rentenkasse davon abhängen (iRIGHTS.info 2012). Und so scheint die Empirie auch hier (wie bei der Frage der Piraterie) vor allem ein Steigbügelhalter der eigenen Weltsicht zu sein: „Wenn man bei der Piratenstudie Hinweise darauf findet, dass Hufgard zu einem Ergebnis kommen wollte, das ihm ins Konzept passt, so ist es beim VUT völlig offensichtlich, dass Fakten lediglich strategisch eingesetzt werden. Und der VUT somit genau das tut,was er Hufgard vorwirft“ (ebd.).

      Die Zahlen widerlegen vor allem den Mythos des Musikers als im Luxus schwelgenden Popstar und offenbaren die existentiellen Nöte von Kreativen als das viel beschworene urbane, gebildete Prekariat. Dies beantwortet aber noch nicht die Frage, inwiefern das Internet für dieses gesellschaftliche Problem verantwortlich zu machen ist und ob es ein gelegentlich suggeriertes Recht darauf gibt, als Künstler ökonomisch abgesichert zu sein, oder ob das gegensätzliche Klischee des armen Künstlers, der von Brot und Wasser und nur für seine Kunst lebt, nicht eher zu den Risiken und Nebenwirkungen der Berufswahl zu zählen ist. Dieser Punkt wirft grundsätzliche Fragen zur Zukunft der Arbeit auf, wie sie in der Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen gestellt werden. Abseits der ernüchternden ökonomischen Lage der Kreativen geben die Zahlen keine Auskunft über die Einkommensverteilung innerhalb der einzelnen Gruppen und können somit zur Frage der Spaltung zwischen erfolglosen und erfolgreichen Künstlern nichts beitragen.

      Die Identifikation von Profiteuren und Verlierern der „Musikkrise“ zwischen Long Tail und Superstar bleibt dementsprechend schwierig und strittig. Für gänzlich unbekannte Musiker stellen die neuen technologischen Rahmenbedingungen wohl vor allem eine Chance dar, da sie im wahrsten Sinne des Wortes nichts zu verlieren haben. Auch die absolute Spitze scheint im Rahmen eines Winner-take-all-Marktes vom Wandel eher zu profitieren. Deutlich komplexer und uneinheitlicher werden die Ergebnisse jedoch, wenn man den Fokus auf den Gesamtumsatz der Musikindustrie (inkl. Konzerten, Merchandising, Werbung etc.) legt und zusätzlich die Situation der Künstler unterschiedlicher Popularitäts- und Erfolgsklassen vor und nach „Napster“ differenziert. Die weit verbreiteten Klagen über die dürftigen Streaming-Einnahmen scheinen aber nahe zu legen, dass man mit Angeboten wie Spotify zwar ein populäres wie legales Geschäftsmodell gefunden hat, welches finanziell für die meisten Musiker aber nicht mehr als ein kleines Zubrot darstellt und keineswegs als Existenzsicherung betrachtet werden kann.

       3.6 Lage der Literatur: Spaltung der Autoren und ambivalente Funktion des Urheberrechts

      Der Blick auf die empirische Realität hat sich vornehmlich auf die Musikbranche konzentriert, da die Grundfragen Piraterie, Urheberrecht und Marktstruktur weitestgehend auch auf andere Kulturbranchen und digitale Güter übertragen werden können und die Musikindustrie sowohl Vorreiter als auch „Versuchskaninchen“ dieser Entwicklung war. Auch die Einkommenssituation der Künstler scheint in der Musik- und Literaturindustrie ähnlich zu sein. So kamen Kretschmer / Hardwick (2007) in einer groß angelegten Studie zum Einkommensvergleich britischer und deutscher Autoren zum Ergebnis, dass das Median-Einkommen, also nicht das durchschnittliche, sondern das typische Einkommen, in England mit 12.330 £ 64 Prozent des nationalen Medianeinkommens darstellte und in Deutschland mit 12.000 € / 8,280 £ sogar nur 42 Prozent. Auch die Einkommensverteilung ist hochgradig ungleich:

      „Writers work in winner-take-all markets. The distribution of income is highly unequal, as reflected in high Gini Coefficients [68]: The top 10% of professional writers in the UK earn about 60% of total income (they earn at least £68,200 per annum); the bottom 50% earn about 8% of total income (Gini: 0.63). In Germany, the top 10% of professional writers earn about 41% of total income (they earn at least €40,000/£27,600 per annum); the bottom 50% earn about 12% of total income (Gini: 0.52). In contrast, the national Gini Coefficient for all employees in the UK is 0.33; in Germany it is 0.31” (ebd.). Eine wichtige Erkenntnis der Studie bestand in der Tatsache, dass nur 20 % der britischen Autoren ausschließlich vom Copyright lebten und 60 % der britischen und deutschen Autoren einen Zweitjob zum Überleben benötigten. Diese Tatsache wurde von den Studienmachern auch im öffentlichen Diskurs als Gegenargument zur These der Kulturindustrie benutzt, das Urheberrecht sei das wesentliche Fundament und die Existenzgrundlage der Autoren.

      Zu einem ähnlichen Ergebnis kam Höffner (2011) in seinem historischen Vergleich des deutschen und britischen Buchmarktes im 18.- und 19. Jahrhundert. Deutschlands Buchmarkt im sogenannten „Nachdruckzeitalter“ von 1770-1837 „präsentierte sich Ende des 18. Jahrhunderts in einer ausgezeichneten Verfassung“. Jedoch „trat mit dem Urheberrecht eine langandauernde regressive Phase ein. Vermutlich kauften zwei oder vier Millionen Leser um 1830 mehr deutsche Bücher in absoluten Zahlen als vierzig Millionen potentielle um 1875 […] Der britische Buchmarkt war im Vergleich zu Deutschland über den gesamten Zeitraum hinweg unterentwickelt und rückständig. Im Ergebnis kann man – jedenfalls für den untersuchten Zeitraum – dem Urheberrecht nahezu ausschließlich nachteilige Wirkungen zuschreiben“ (Höffner 2011b, 385). Mehr noch erklärt er den Nachdruck wegen der preiswerten Verfügbarkeit des Wissens zu einem wesentlichen Element des Fortschritts, was den Forderungen nach Informationsfreiheit im Rahmen der Debatten um Google Books gleicht: „Das 1830 immer noch arme Deutschland war zur führenden Buchnation der Welt aufgestiegen und zum Volk der Dichter und Denker […] weil viele Privatpersonen sich jedes Jahr einige Neuerscheinungen leisten und für ihr Studium oder Gewerbe nutzen konnten“ (ebd., 391). Abgesehen von der rigorosen Abrechnung mit den Vorzügen des Urheberrechts überrascht besonders der Verweis auf das Land der Dichter und Denker, denn genau mit dieser Phrase betonen und illustrieren die Verfechter des Urheberrechts immer wieder dessen Bedeutung für den Kultur- und Wissensstandort Deutschland.

      Heald (2013) kommt in seiner Analyse des Amazon-Buchsortiments zu einem ähnlichen Resultat für ältere, aber noch geschützte Buchtitel: „If age were the only factor, one would expect to see fewer titles available from each successively older decade. Instead, the curve declines sharply and quickly, and then rebounds significantly for books currently in the public domain initially published before 1923. Since age should be a factor that depresses availability, the most plausible conclusion from the data is that the expiration of copyright makes older works reappear. A corollary hypothesis is also supported by the data: Copyright helps make books disappear” (ebd., 19). Das Copyright trage eher zum Verschwinden denn zum Bereitstellen von Büchern bei. Daher müsse man Bestrebungen zu dessen Verlängerung widerstehen: “Copyright term extensions have clearly prevented the development of a market for re-printing the massive number of ‘missing’ works from the 20th century. If availability matters, then further attempts

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