Digitale Evolution, Revolution, Devolution?. Brendan Erler

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Digitale Evolution, Revolution, Devolution? - Brendan Erler

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Analyse der diskutierten Lage und Entwicklung der Musik- und Literaturbranche zwischen technischen Neuerungen und juristischen Reaktionen im Verlauf von 2000-2012. Im Sinne der Cultural Studies wird Kultur als ein zentrales (diskursives) Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzung um Deutungshoheit und Macht verstanden, „in dem Werte, Normen und Deutungsmuster ständig neu verhandelt werden“ (Keller 2009, 37). Werden die technische Entwicklung und deren Effekte auf die Gesellschaft positiv oder negativ konnotiert, mit Hoffnung oder Sorge beobachtet und wie gestalten sich dementsprechend die daraus hervorgehenden Urheberrechtsdiskurse?

      Dieser Reihenfolge gemäß dienen die Urheberrechtsreformen als vorläufige „Endprodukte“ dieser Diskurse und als jeweiliger Endpunkt der zeitlichen Untersuchungseinheit: Erster Korb 2003, Zweiter Korb 2008. Da der dritte Korb 2013 eher zu einem „Körbchen“ an Einzelmaßnahmen mutierte, der Analysezeitraum aber 2012 endet, handelt es sich im dritten Abschnitt 2009-2012 um den Stand der Entwicklung des Diskurses zum dritten Korb bis 2012, der sich aber bis heute nicht grundlegend geändert hat. Begonnen wird immer mit der Beschreibung der Lage der Industrie, die dann in eine Analyse der juristischen und gesellschaftspolitischen Reaktion auf diese Lage mündet. Die eigentliche Diskursanalysen werden jeweils eingeleitet mit einer kurzen Einführung in den ökonomischen (Kulturindustrie) bzw. juristischen (Urheberrechtsreformen) Stand der Dinge. Zusätzlich zur separaten Zusammenfassung der Entwicklung der Musik-, Literatur- und Urheberrechtsdiskurse (bzw. der in ihnen präsenten Subdiskurse) werden zum Abschluss jedes Zeitblocks die herausgearbeiteten Metadiskurse in einen theoretischen Rahmen eingeordnet.

      Aber erstmal wird nach der Beschreibung des methodischen Vorgehens und der gemachten Analyseerfahrung im nächsten Punkt das grundlegende Konzept der Diskurstheorie und dessen Geschichte etwas eingehender erörtert und in diesem Zusammenhang das Verhältnis von Subjekt / Struktur, Spezial- und Interdiskurs sowie die Rolle der Cultural Studies geklärt. Dieser theoretische Teil wird abgerundet mit einer Einführung in das Konzept des Urheberrechts zwischen Naturrecht oder der Naturalisierung historisch spezifischer Eigentumsverhältnisse.

      Das dritte Kapitel soll vor der eigentlichen Analyse einen Überblick über die Studienlage zur Situation der Kulturindustrie im Angesicht der Digitalisierung und der so genannten „Internetpiraterie“ am Beispiel der Musikbranche liefern. Dies geschieht im Wissen darum, dass diese Differenzierung im Sinne Foucaults eine künstliche Trennung darstellt, da es sich in beiden Fällen um Diskurse und nicht um Fakten handelt, soll aber einführend veranschaulichen, dass die für den öffentlichen Diskurs charakteristische frohe Uneinigkeit und der Kampf um Deutungshoheit sich auch im wissenschaftlichen Diskurs zeigen. Außerdem soll es als Einführung in die Materie dienen.

       2.3 Methodische Umsetzung

      Bleibt die Frage, wie dieses Forschungsprogramm in der Praxis umzusetzen ist. Mittels der „interpretativen Analytik“ soll die vermeintliche Kluft zwischen Strukturalismus und Hermeneutik überwunden werden. Keller erhoffte sich somit eine Überwindung des „mikrosoziologisch-situativen Bias des interpretativen Paradigmas“ (2004, 58), ohne auf die Vorzüge qualitativer Methoden und Instrumente verzichten zu müssen. Analog dazu wird mit den interpretativen Werkzeugen der Hermeneutik die Hoffnung verbunden, mittels der Anschlussfähigkeit an die qualitative Sozialforschung die „methodische Unterbelichtung“ (post-)strukturalistischer Theorien zu überwinden:

      2.3.1 Grounded Theory

      Da die poststrukturalistische Diskurstheorie nach Foucault kein eigenständiges Methodenwerkzeug zur Verfügung stellt, wird auf das Methodenrepertoire der qualitativen Sozialforschung zurückgegriffen und hier im Besonderen auf das von Glaser und Strauss 1967 entwickelte Prozedere der Grounded Theory. (vgl. Glaser / Strauss, 1967). Dem quantitativen Mainstream in der damaligen Wissenschaftslandschaft setzten sie eine zunächst sehr stark induktive, „unvoreingenommene“, möglichst theoriefreie Vorgehensweise entgegen, die neue Theorien in der Regel mittlerer Reichweite im Material entdecken und „erden“ sollte. Der bewusste Verzicht auf Kontext und Hintergrundwissen sowie vorhandene Theorien („Preconceived Theories“) sollte einen ungefilterten Blick auf den Untersuchungsgegenstand ermöglichen (vgl. Kuckartz 2005, 75f.).

      Gegen dieses „Prinzip der Offenheit“ und die Zurückstellung von Hypothesen wurde der nachvollziehbare Vorwurf erhoben, es suggeriere die Möglichkeit einer „objektiven“ oder neutralen Perspektive, die der Forschungs- und Lebenswirklichkeit widerspricht. Ganz im konstruktivistischen Sinne gibt es keinen gänzlich unvoreingenommenen Zugang zu den Dingen. Die Grounded Theory negiert jedoch weder den subjektiven Blick (des Forschers), „the forcing of preconceived notions resident within the researcher's worldview (Holton 2007, 269), noch die Notwendigkeit von Fachwissen zur kreativen Interpretation und Theoriebildung, sie plädiert nur für eine offene Suche nach neuen Hypothesen im Material im Gegensatz zum eher quantitativen, naturwissenschaftlichen Verständnis des reinen Testens vorgefertigter Hypothesen (vgl. Rosenthal 2005, 48ff.; Holton 2007, 269ff.): “As a generative and emergent methodology, grounded theory requires the researcher to enter the research field with no preconceived problem statement, interview protocols, or extensive review of literature. Instead, the researcher remains open to exploring a substantive area and allowing the concerns of those actively engaged therein to guide the emergence of a core issue” (Holton 2007, 269).

      Im Lauf der Jahre hat sich das Grundkonzept der Grounded Theory weiterentwickelt, differenziert und das Paradigma der totalen „Theorielosigkeit“ und reinen Induktivität relativiert. Dabei kam es zum, zumindest von Glaser, offen ausgetragenen Disput der Gründungsväter der Grounded Theory über Wesen und erkenntnistheoretischen Kern der Grounded Theory und zur Etablierung zweier, parallel existierender Forschungszweige unter gleichem Namen[8]. Glaser beharrte in seinem bezeichnenden Buch „Emergence vs Forcing: Basics of Grounded Theory“ (Glaser 1992) auf seiner strikt induktiven Sichtweise. Die Codes und Kategorien müssten direkt aus den Daten hervorgehen oder auftauchen („emerge“), während er Strauss vorwarf, durch seine Bezugnahme auf theoretisches Vorwissen (z.B. im Kodierparadigma) „die Daten in das Prokrustesbett einer implizit schon vorgedachten Theorie des Gegenstandes zu zwingen“ (Strübing 2008, 69). Dahinter verstecken sich die erkenntnistheoretisch konträren Annahmen einer schon existierenden, objektiven Wirklichkeit (Glaser) oder der Vorstellung der Konstitution der sozialen Wirklichkeit in Interaktion (Strauss) und deren korrespondierende Forschungstraditionen des eher quantifizierenden kritischen Rationalismus oder des tendenziell qualitativen-, interpretativen Interaktionismus. Die Details dieser Kontroverse können hier nicht ausführlich dargestellt werden.[9]

      In Anbetracht dieser Meinungsverschiedenheiten ist „The discovery of grounded theory“ wohl als kleinster gemeinsamer, antipositivistischer Nenner ansonsten in Teilen unterschiedlicher Wissenschafts- und Wirklichkeitsverständnisse zu verstehen. Glasers inhaltliche Fundamentalkritik an Strauss / Corbin ist in manchen Punkten nicht unberechtigt[10], erscheint, was die regelrechte Verdammung jeglicher (Vor-)Theorie betrifft, jedoch teilweise inkonsistent, unrealistisch sowie übertrieben und seine erkenntnistheoretischen Prämissen scheinen mit dieser Arbeit inkompatibel. Daher wird im Folgenden auf Grundlage des „Ur-Werks“ auf die von Strauss / Corbin elaborierte Form der Grounded Theory Bezug genommen (vgl. Strauss / Corbin 1998). Strauss / Corbin betonen die Rolle von Vor- und Kontextwissen bei der Interpretation von Daten und überbrücken auf diese Art die vermeintlich entstandene Kluft zwischen Induktion und Deduktion. Jede Theorieentwicklung ist theoriegeleitet und sowohl Induktion als auch Deduktion und Verifikation sind essentielle, sich wechselseitig bedingende und abwechselnde Bestandteile des Forschungsprozesses. Ganz ohne Vorwissen und Koppelung an theoretische Annahmen ist beispielsweise eine produktive Hypothesengenerierung aus dem Material schwer vorstellbar. Fragen, Ideen und Hypothesen resultieren aus der kreativen Analyse des Datenmaterials und der Erfahrung (gleich ob aus früheren Forschungsprojekten, der Fachliteratur usw.) im Umgang mit derartigen Daten (vgl. Strauss 1994, 37ff.). Die Deduktion gilt als besonders geeignet zur Verifikation oder Erkenntnissicherung, der mit der Induktion assoziierte Schluss vom Einzelfall auf die Regel hilft bei der Generierung neuer Hypothesen, jedoch ist

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