Digitale Evolution, Revolution, Devolution?. Brendan Erler
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Die zu diesem Zweck praktizierte Diskursanalyse folgt den Prämissen einer von Foucault inspirierten und um handlungstheoretische Elemente erweiterten Diskurstheorie[26] in Anlehnung an die von Reiner Keller elaborierte Form einer Wissenssoziologischen Diskursanalyse: „Die Wissenssoziologische Diskursanalyse beschäftigt sich mit Prozessen und Praktiken der Produktion und Zirkulation von Wissen auf der Ebene der institutionellen Felder der Gegenwartsgesellschaften. Ihr Forschungsgegenstand ist - mit anderen Worten - die Produktion und Transformation gesellschaftlicher Wissensverhältnisse durch Wissenspolitiken, d.h. diskursiv strukturierte Bestrebungen sozialer Akteure, die Legitimität und Anerkennung ihrer Weltdeutungen als Faktizität durchzusetzen. Sie begreift damit sozialen Wandel nicht nur als sozialstrukturellen Prozess, sondern als Verschiebung von Wissensregimen“ (Keller 2008, 192f.).
Im Gegensatz zu Diskurstheorien, die „allgemeine theoretische Grundlagenperspektiven auf die sprachförmige Konstituiertheit der Sinnhaftigkeit von Welt entwickeln, konzentrieren sich Diskursanalysen auf die empirische Untersuchung von Diskursen. Mit dem Begriff der Diskursanalyse wird allerdings keine spezifische Methode, sondern eher eine Forschungsperspektive auf besondere, eben als Diskurse begriffene Forschungsgegenstände bezeichnet. Was darunter konkret, im Zusammenhang von Fragestellung und methodisch-praktischer Umsetzung verstanden wird, hängt von der disziplinären und theoretischen Einbettung ab“ (Keller 2004, 8). Wesentlich sind hierbei folgende Aspekte: Realität und Wahrheit sind gesellschaftliche Konstrukte, keine objektiven, messbaren und verifizierbaren (wie im klassischen Positivismus / Rationalismus) oder falsifizierbaren (wie im kritischen Rationalismus) Tatbestände. Im Unterschied zum sozialen Konstruktivismus in der Tradition von Berger / Luckmann („social construction of reality“) geht die wissenssoziologische Versionen der Diskursanalyse von einer „diskursiven Konstruktion der Wirklichkeit“ aus und betont auf diese Weise den von Berger / Luckmann vernachlässigten und von Foucault betonten Machtcharakter von Wissen und Macht. Die Subjekte befinden sich in einer diskursiv zumindest vorstrukturierten Wirklichkeit. Im Kontrast zu (post-)strukturalistischen Theorien ist das Subjekt jedoch keine „Marionette anonymer Mächte“, sondern aktiver Teil der Wirklichkeitskonstitution im Sinne der steten Aktualisierung / Modifizierung von Bedeutung.[27]
2.4.1 Diskurs, Dispositiv und Macht
„Im hier verfolgten Verständnis handelt es sich bei Diskursen um strukturell verknüpfte Aussagenkomplexe, in denen Behauptungen über Phänomenbereiche auf Dauer gestellt und mit mehr oder weniger starken Geltungsansprüchen versehen sind. Diskurse sind - in einer anderen Wendung der eingangs formulierten Definition - spezifizierbare und konventionalisierte Ensembles von Kategorien und Praktiken, die das diskursive Handeln sozialer Akteure instruieren, durch diese Akteure handlungspraktisch in Gestalt von diskursiven Ereignissen produziert bzw. transformiert werden und die soziale Realität von Phänomenen konstituieren. Diskussionen sind kommunikative Veranstaltungen, in denen verschiedene Diskurse aufeinander treffen (können)“ (Keller 2008, 236).
Während Foucault sich in seinem Frühwerk vor allem auf die Regelmäßigkeiten verstreuter Aussagen konzentrierte, diskursive Formationssysteme zu rekonstruieren suchte und diese als in sich autonom betrachtete („Archäologie des Wissens“), galt sein Augenmerk im Laufe der Zeit zunehmend den Machteffekten diskursiver Kontroll- und Ausschlussmechanismen, die durch die Etablierung von „Sagbarkeitsfeldern“ Wirklichkeit und Wahrheit erst erschufen („Genealogie“ von Macht/Wissen): „Als Genealogie bezeichnen wir also die Verbindung zwischen gelehrten Kenntnissen und lokalen Erinnerungen, die die Konstituierung eines historischen Wissens der Kämpfe ermöglicht sowie die Verwendung diese Wissens in den gegenwärtigen Taktiken“ (Foucault, 1978, 62). Macht kann sich nur über die Etablierung gültigen Wissens realisieren, Wissen stellt ein (Macht-)Produkt dar, auf diese Weise sind beide unauflöslich miteinander verschränkt.
Sein vornehmliches Interesse galt jetzt diesen Codes und Prozessen der „Wahrheitsbildung“, der diskursiven Praxis, die sein ehedem statisches Diskursverständnis aufbrach. Die konkreten Inhalte, das „Wesen“ der jeweiligen (diskurspezifischen) Wahrheit, waren für ihn dabei im wahrsten Sinne des Wortes zweitrangig[28], da Wahrheit gänzlich zur abhängigen Variable eines nach Nitzsche „Willens zur Wahrheit“ degradiert wurde, der „dazu tendiert, auf die anderen Diskurse Druck und Zwang auszuüben“ (Foucault 1974, 16). Er verabschiedete sich somit gänzlich von einer Suche nach „der Wahrheit“ und widmete sich den von Macht geprägten Prozessen der Wahrheitsbildung. Die „Illusion des autonomen Diskurses“ wich den Definitionswettkämpfen und „Spielen der Wahrheit“ (vgl. Ruoff 2007, 91ff.; Keller 2008 122ff.; Bührmann 2008, 27f.). „Wichtig ist, so glaube ich, dass die Wahrheit weder außerhalb der Macht steht noch ohne Macht ist […] Die Wahrheit ist von dieser Welt; in dieser wird sie aufgrund vielfältiger Zwänge produziert, verfügt sie über geregelte Machtwirkungen. Jede Gesellschaft hat ihre eigene Ordnung der Wahrheit, ihre ‘allgemeine Politik‘ der Wahrheit“ (Foucault 1978, 51).
Um diesen Machteffekten auf die Schliche zu kommen und gesellschaftlichen Wandel im Zusammenspiel diskursiver und nichtdiskursiver Praktiken erklären zu können, erweiterte er die Diskursanalyse zur Dispositivanalyse. Ein Dispositiv ist nach Foucault eine „entschieden heterogene Gesamtheit, bestehend aus Diskursen, Institutionen, architektonischen Einrichtungen […], kurz, Gesagtes ebenso wie Ungesagtes, das sind die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das man zwischen diesen Elementen herstellen kann“ (Foucault 2003, 392). Indem er sich von der strukturalistischen Vorstellung selbstregulierender Diskurse befreite, gelang es ihm, die Verbindung von diskursivem und gesellschaftlichem Wandel in den Blick zu nehmen. Somit ließ sich der oft gegen den Strukturalismus erhobene Vorwurf „mit ihm lasse sich weder politische noch gesellschaftsverändernde Praxis theoretisieren (Moebius 2005, 145) entkräften.
Der Erweiterung des Diskurses zum Dispositiv ist eine klare Trennung von diskursiven und nicht diskursiven Praktiken immanent. So bezeichnet er die Institution als „Alles das, was in einer Gesellschaft als Zwangssystem funktioniert, ohne dass es eine Aussage ist, zusammengefasst, das gesamte nicht-diskursive Soziale“ (Foucault 2003, 396). Die Dispositive „>umstellen< das Subjekt und steuern seine Wahrnehmung der Welt. Sie bestimmen auf eine – in ihrem Wirken oft unerkannte, weil nicht bewusste und deshalb als >natürlich< genommene – Art und Weise, wie wir Welt wahrnehmen. Es liegt nahe, eine solche Konstruktion auch auf die Medien als gesellschaftliche Wahrnehmungsinstanzen zu beziehen, auch wenn dies Foucault selbst nicht explizit getan hat“ (Hickethier 2003, 187). Das Dispositiv stellt in diesem Verständnis eine Art Schnittstelle zwischen Diskurs und „der Welt“ dar, über die Macht zum Ausdruck kommt.
Die im Dispositivbegriff artikulierte Annahme einer Sphäre des „nicht diskursiv Sozialen“ widerspricht im Grunde der vorangegangenen Prämisse eines notwendig diskursiven Charakters der sozialen Welt. Foucault bleibt in diesem Sinne laut Jäger „der Trennung zwischen geistiger Tätigkeit und (ungeistiger?) körperlicher Arbeit verhaftet, in dieser Hinsicht eben auch ein Kind seiner Zeit bzw. seiner Herkunft, in der die Bürger die Kopfarbeit verabsolutierten und die Handarbeit für völlig ungeistig hielten“ (Jäger 2001, 93). Es erscheint daher durchaus plausibel, anstatt einer „künstlichen“ Trennung zwischen diskursiven Praktiken und „dem Rest“ im Sinne der Diskurs- und Sozialtheorie von Laclau / Mouffe (2000) von dem notwendig diskursiven Charakter aller sozialen Prozesse auszugehen. Alle gesellschaftlichen wie sozialen Phänomene, Ereignisse, Objekte und Institutionen erfahren ihre Sinnhaftigkeit erst durch Bedeutungszuweisung, sind also in einen diskursiven Kontext eingebettet. Es geht dann nicht um die Frage nach Foucault, inwiefern das „nicht diskursiv Soziale“ den Diskurs prägt oder von den diskursiven Praktiken seinerseits geprägt wird, sondern ALLES SOZIALE IST DISKURSIV. Da die soziale Welt ohne diskursiven Rahmen wahrlich bedeutungslos wäre, ist eine bedeutende gesellschaftliche Funktion abseits des Diskursiven nicht denkbar, der Diskurs ist Existenzbedingung für jede soziale Realität und Relation, die „im Feld der foucaultschen Diskursanalyse gebräuchliche Unterscheidung von diskursiven und nichtdiskursiven Praktiken entfällt damit“ (Nonnhof 2007, 9).
Agamben