Die gefiederte Schlange. Edgar Wallace

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Die gefiederte Schlange - Edgar Wallace

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Leben ist, weiß ich nicht«, erwiderte Joe vorsichtig. »Auf jeden Fall habe ich meine besonderen Ansichten darüber und handele danach. Ich gehöre zu den Leuten, die sich zu nichts drängen lassen!«

      »Willst du jetzt endlich ruhig sein!« Diesmal war Miss Creed wirklich böse, und Mr. Farmer gehorchte ihr sofort.

      Im allgemeinen konnte Dewin nicht viel Neues erfahren, und er ging ziemlich verärgert – und auch etwas bestürzt zu seinem Büro zurück. Im Vorraum traf er den Nachrichtenredakteur, der gerade weggehen wollte.

      »Irgend etwas steckt hinter diesen merkwürdigen Visitenkarten«, erklärte ihm Parsons sofort hartnäckig. »Die ganze Zeit habe ich darüber nachgedacht. Meiner Meinung nach hat die gefiederte Schlange eine ganz besondere Bedeutung. Ich habe im Konversationslexikon nachgeschlagen und dabei wenigstens herausgefunden, daß sie von den alten Azteken als Gottheit verehrt wurde. An Ihrer Stelle würde ich einmal Mr. Beale aufsuchen.«

      »Wer ist Mr. Beale?« fragte Dewin.

      »Mr. Gregory Beale ist Archäologe«, erklärte der Redakteur geduldig. »Außerdem ist er Millionär. Heute Abend kam er von einer Expedition zurück, auf der er die Ruinenstädte der Maya durchforscht hat. Bestimmt kann er Ihnen genaueres sagen.«

      Freundlich grüßend verließ er das Gebäude. Peter Dewin war schon auf halber Höhe der Treppe, als ihn der Redakteur noch einmal zurückrief.

      »Mr. Beale interessiert sich im übrigen sehr für Sozialreformen«, sagte Parsons noch. »Bieten Sie ihm doch Ihre Begleitung bei einem Spaziergang durch den Osten Londons an. Das gibt einen Artikel von mindestens Spaltenlänge.«

      Als Dewin wieder die Treppe hinaufstieg, war er in nicht gerade rosiger Stimmung.

      3

      Gregory Beale war in jeder Beziehung ein Sonderling und hatte den Zeitungen durch seine verschiedenen Spleens schon häufig Stoff geliefert. Unter anderem war eine seiner Lieblingsbeschäftigungen das Studium der Lebensgewohnheiten armer Leute. Verkleidet streifte er durch die verrufensten Gegenden Londons; er wohnte und schlief dort – und verteilte von Zeit zu Zeit erhebliche Beträge an Familien, die einen besonders harten Kampf ums Dasein führen mußten. Dabei gab sich der Mann in seiner Verkleidung – mit zerzaustem Bart und feuerroter Krawatte – niemals als Gregory Beale zu erkennen. Er hatte ein Dutzend anderer Namen und änderte seine Adresse von Woche zu Woche. Bald wohnte er in Limehouse, bald in Poplar, bald bei den Victoria Docks oder in Eastham. In der letzten Zeit war ihm die Sorge für die Armen etwas langweilig geworden – möglicherweise hatte er auch einige schlechte Erfahrungen gemacht. Eines Tages erfuhr die Gelehrtenwelt Londons, daß er nach Brasilien gegangen sei, um sich dem Studium der alten mittelamerikanischen Kulturen zu widmen, die ihn schon immer besonders interessiert hatten.

      Sechs Jahre, nachdem sein Anwalt die Verwaltung des ungeheuren Vermögens übernommen hatte, fuhr der Schnellzug, der Mr. Beale zurückbrachte, langsam in Waterloo Station ein.

      Kein Freund holte den Forscher ab. Er stand ganz allein auf dem Bahnsteig – eine große, sehnige Gestalt mit braungebranntem Gesicht; seine blauen Augen leuchteten noch wie früher, nur seine Haare waren etwas grauer geworden.

      Endlich bahnte sich sein Diener John einen Weg durch die Menge, um das Gepäck in Empfang zu nehmen.

      »Ah, John Collitt – ich kenne Sie kaum noch!« sagte Mr. Beale liebenswürdig.

      »Jawohl, Sir – ich hoffe, daß Sie eine gute Reise hatten.«

      Die Tür eines eleganten Wagens wurde vor ihm aufgerissen.

      »Um das Gepäck kümmert sich eine Agentur – fahren Sie mich jetzt sofort nach Hause.«

      Er sank in den tiefen Sitz zurück und beobachtete mit fast kindlicher Freude die vielen Bilder Londons, die an ihm vorüberzogen. Ein Mann schob einen Karren mit Äpfeln – auf der Westminster Bridge Road riefen Zeitungsjungen Extrablätter aus – das Parlamentsgebäude war hell erleuchtet.

      Mr. Beale atmete tief. Er war wieder daheim!

      Der Wagen fuhr durch den finsteren Park in die Brompton Road, bog links ein und hielt vor einem großen, vornehmen Haus. Der untersetzte, kahlköpfige Butler kam eilig die Treppenstufen herunter.

      »Willkommen zu Hause, Mr. Beale.«

      Basseys Stimme klang heiser. War es nur Erregung, oder war er so alt geworden? Gregory Beale schaute ihn verwundert an.

      »Schönen Dank, Bassey.«

      Der Butler stieg vor ihm die Treppenstufen hoch. Feierlich trat er dann zur Seite und ließ seinen Herrn zuerst durch die Tür gehen.

      »Eine junge Dame wartet im Studierzimmer, Sir. Ich wußte nicht recht, was ich mit ihr anfangen sollte. Sie sagt, sie sei auf eine Annonce hin gekommen ...«

      Gregory Beale nickte lächelnd.

      »Stimmt schon, ich habe telegrafisch in der Zeitung inseriert ... brauche eine Sekretärin. Bringen Sie die junge Dame bitte her.«

      Daphne Olroyd folgte dem Butler. Als sie eintrat, begegnete sie dem freundlich forschenden Blick Mr. Beales.

      »Bitte, nehmen Sie doch Platz, Miss ...?«

      »Olroyd«, erwiderte sie und lächelte ihn an. »Ich fürchte, daß ich etwas ungelegen komme – leider wußte ich nicht, daß Sie gerade erst aus Amerika zurückkommen.«

      »Das wissen die meisten nicht. So bedeutend bin ich nicht, daß diese große Stadt von meiner Ankunft Notiz nimmt. Übrigens haben Sie doch ein Telegramm erhalten, in dem Sie aufgefordert wurden, sich vorzustellen. Mein Anwalt, Mr. Holden, hat es Ihnen geschickt. Anscheinend war das Gehalt, das ich in der Annonce angab, so hoch, daß sich viele Leute um den Posten bewarben.«

      Bildete sie es sich nur ein, oder klang wirklich ein Ton von Enttäuschung in seiner Stimme? Ihr Mut sank bei diesem Gedanken. Das Inserat hatte sie von einem wohlgesinnten Unbekannten zugeschickt bekommen und sich ohne große Hoffnungen um die Stelle beworben.

      »Ich glaube, daß ich im großen ganzen Ihre Ansprüche erfüllen kann«, erklärte sie jetzt schnell, um von vornherein jeden Einwand zu entkräften. »Ich kann sehr schnell maschineschreiben und stenografieren; Französisch spreche ich ausgezeichnet ...«

      Er hob abwehrend und beruhigend die Hand.

      »Ich glaube Ihnen ja. Wo arbeiten Sie zur Zeit?«

      Sie sagte es ihm. Anscheinend machte der Name Leicester Crewe gar keinen Eindruck auf ihn; er fragte sie nur, warum sie die Stellung wechseln wolle.

      Sie zögerte etwas mit der Antwort.

      »Das hohe Gehalt reizt mich natürlich, aber – vor allem möchte ich von Mr. Crewe fort.«

      Er nickte und schaute einige Zeit nachdenklich zu Boden.

      »Gut«, sagte er schließlich und fügte dann zu ihrer nicht geringen Freude hinzu: »Ich engagiere Sie – wann können Sie anfangen?«

      Mit beschwingten, leichten Schritten verließ sie zehn Minuten später das Haus. Sie war gut gelaunt und dachte an nichts Böses. Doch als sie schnell aus der düsteren Nebenstraße in die Hauptstraße

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