Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen. Billy Remie
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Читать онлайн книгу Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen - Billy Remie страница 7
Alle waren in hellem Aufruhr, als wäre ein Wildschwein aus Versehen bei einer Treibjagd mitten in eine Menge Tournierbesucher gerannt.
So im Etwa stellte sich Derrick auch an. Er rutschte auf den ungewohnt glatten Böden der königlichen Burg aus und riss einige Gegenstände um. Er richtete eine Verwüstung an, über die noch heute die alten Damen empört berichten.
Aber er war trotz seiner Panik nicht unfähig. Er war flink, auch wenn er fiel. Derrick konnte sehr hoch springen, er wies Gerissenheit auf, als er Regale umwarf um die Wachen daran zu hindern, ihn zu verfolgen. Er war klug genug, nicht zu kämpfen, wo ein Kampf zwecklos gewesen wäre. Er hatte Talente, mit denen sich keine Leibwache des Königs ausweisen konnte. Talente, die man sich nur auf der Straße aneignete.
An diesem Tag glaubte Derrick, er wäre in sein Verderben gerannt, aber er irrte sich. Er irrte sich gewaltig. Denn an diesem Tag traf er auf mich. Und ich rettete ihm das Leben.
Im Gegenzug verlangte ich nur, dass er mir seines verschrieb.
3
Wer einen getretenen Hund provoziert, muss mit dem Biss des Todes rechnen.
Carapuhr. Land des Schnees. Heimat der Barbaren. Meine Heimat.
Ich ging in die Hocke und fuhr mit den Fingerspitzen über die lose Schneedecke. Ein Sturm hatte über Nacht unsere Spuren verwischt.
Darauf konnte ich mich stets verlassen: darauf, dass mein Land mir treu blieb. Das es mich vor meinen Feinden beschützte. Mich versteckte.
Mein Land, meine Heimat, war meine größte Liebe. Wobei ich erwähnen sollte, dass ich ansonsten keine Sympathien für irgendetwas oder irgendwen hegte. Carapuhr war meine einzige Liebe. Eine Liebe, die mittlerweile tiefer reichte als die Liebe zu meiner Mutter, die nicht mehr unter uns weilt.
»Das sieht übel aus, mein Bruder.«
Ich hob den Blick und schirmte meine Augen mit der verletzten Hand ab, da mich die Morgensonne blendete. Die weiße Schneedecke brannte sich in meine Augäpfel.
Derrick, der mit Egid Einauge – den Namen hatte er seit unserer ersten Begegnung – an einem entfachten Lagerfeuer saß, deutete mit einem Kopfnicken auf meine nackte Schulter.
Mir konnte die Kälte nichts anhaben, ich war hier geboren und aufgewachsen. Neunzehn Jahre hatte ich bereits auf dem Buckel, und Schnee und Eiswind konnten meine dicke Haut kaum durchdringen.
Zugegeben, ich war seltsamerweise schmerzresistenter als andere Männer. Immer wieder wurde ich bestaunt, wenn ich mit verheerenden Wunden immer noch kämpfen konnte. Ich redete mir gerne ein, dass es an meiner mentalen Stärke lag, dass ich Schmerz anders wahrnahm als meine Begleiter, dass ich einfach Unwillens war, Schmerz zuzulassen. Ob es stimmte, vermochte ich jedoch nicht zu sagen.
Ich blickte auf die Wunde in meiner Schulter, sie schien sich entzünden zu wollen. Es machte mich wütend, dass mein Körper mich derart verriet. Wieso war er nicht in der Lage, sich selbst zu heilen? Der Pfeil hatte wohl eine rostige Spitze gehabt, oder ich hatte mir den Schaden selbst zugefügt, als ich ungeachtet der Folgen den Pfeil einfach herausgerissen hatte.
Ich knirschte mit den Zähnen.
Conni kroch hinter mir aus meinem Zelt. Schwester Conni, die schöne Barbaren-Conni, die zu meiner Bruderschaft zählte. Die Conni, die mit ihren sechsunddreißig Jahren meine Mutter hätte sein können. Jene Conni, die manchmal das Lager mit mir teilte, seit sie mich damals, als ich noch ein Junge gewesen war, auf ihres gelockt hatte.
Gerne behauptete sie mit ihrer rauen, lüsternen Stimme, sie habe mir die »Unschuld« genommen. Mich ärgerte diese Behauptung und mir juckten jedes Mal die Finger, wenn sie sich anmaßte, zu behaupten, an mir wäre je etwas unschuldig gewesen.
Ja, sie war die erste Frau gewesen, die mich berührt hatte, aber niemand hätte mir eine »Unschuld« nehmen können, wenn ich nie zuvor so etwas wie Unschuld besessen hatte.
Conni ging mir allmählich auf die Nerven. Ich bestieg ihren wollüstigen, weiblichen Körper nur, weil sie die einzige Frau unter uns war. Nach all den Jahren schien sie jedoch anzunehmen, ich hätte eine Schwäche für sie. Aber ich besaß keine Schwächen. Nicht eine einzige. Jeder war entbehrlich, vor allem Conni.
An diesem Morgen hätte ich mich ihr beinahe entledigt, als sie aus dem Zelt kam und sofort fürsorglich rief: »Ich helfe dir mit der Wunde!«
Sie wollte an mir vorbei zum Feuer, wohl um Utensilien zu besorgen.
Ich erhob mich und schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht. Ihr schmales Gesicht flog herum, ihre verfilzten, langen, blondroten Haare folgten.
Das Geräusch, das meine Hand auf ihrer Wange verursachte, dieses Klatschen, war herrlich und wie Musik in meinen Ohren. Ich spürte, wie die Wut verflog und meinen Brustkorb freigab. Ich hatte nicht übel Lust, sie zu verprügeln. Aber ich war ja kein Monster.
»Derrick, mach mal eine Dolchklinge heiß«, trug ich meinem Freund auf.
Wenn es um die Versorgung meiner Wunden ging, ließ ich stets nur Derrick an mich heran. Conni hatte das auf die harte Weise lernen müssen. Dummes Ding!
Es interessierte keinen der Brüder, dass ich Conni geschlagen hatte. Unter uns Männern war ihr gewiss schon Schlimmeres widerfahren. Vor allem dann, wenn wir lange unterwegs und weit und breit keine einzige Menschenseele in Sicht gewesen war. Als einzige Frau unter schlimmen Schurken musste man sich eben behaupten können. Es war nicht meine Schuld, wenn Conni sich mal nicht wehren konnte und gegen ihren Willen genommen wurde. Sie hätte uns ja auch verlassen können.
Am amüsantesten fand ich es, wenn Manolo der Berg – der Name beschrieb wohl deutlich genug seine äußerliche Erscheinung – sie benutzte. Weil ich wusste, das Conni ihn nicht leiden konnte. Oft machte sie fiese Witze über sein bulliges Gesicht, das dem eines Stiers nicht unähnlich war. Meiner Meinung nach verdiente sie es, gerade von ihm gebumst zu werden.
Ich schubste Conni in den Schnee, sie hielt sich noch immer die Wange, als sie mit hasserfüllter Miene auf dem Boden landete. Dann ging ich zu Derrick und Egid Einauge und setzte mich zu ihnen.
Derrick hielt die heiße Dolchklinge hoch.
»Einauge, halt mich fest«, trug ich Egid auf, weil ich wusste, dass ich Derrick umbringen wollen würde, sobald er meine Wunde ausbrannte, obwohl ich ihn darum gebeten hatte.
Die Pranken des großen Egid legten sich um meine Oberarme. Ich nickte Derrick zu, der mit einem – man konnte es fast schon sadistisch nennen – Grinsen das heiße Eisen auf meine Wunde drückte.
Ich hielt Blickkontakt mit Derrick, der es genoss, mir Schmerzen zuzufügen. Aber versteht mich nicht falsch, er hasste mich nicht, er fügte anderen Männern einfach nur gerne kontrollierte Schmerzen zu. Das machte ihn immer fröhlich.
Die ersten Augenblicke spürte ich kaum etwas, aber dann fraß sich der Schmerz durch mich hindurch und ich brüllte aus zusammengebissenen Zähnen.
Ich hätte ihn wirklich am liebsten umgebracht.