Der verborgene Erbe. Billy Remie

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Der verborgene Erbe - Billy Remie Legenden aus Nohva 5

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ihm auf eigenen Wunsch hin »einfache« Kleider angefertigt. Eine Lederhose aus Bärenleder, robuste Stiefel zum Jagen und Reiten, einen kurzen, dunklen Umhang und ein einfaches, helles Stoffhemd mit Schnürung. Alles ohne jeden Hauch von feiner Seide.

      Seine Rüstung wollte er noch nicht anlegen. Er wusste, die Zeit dafür kam gewiss noch früh genug.

      Bevor er seine Gemächer verließ, legte er die silberne Maske in eine Schublade einer massiven Ebenholzkommode, machte noch sein Bett, und hinterließ alles so feinsäuberlich, dass er den Bediensteten keinerlei Arbeit aufhalste.

      Wie es eben Wexmells Art war, wollte er niemandem zur Last fallen.

      Wie jeden Morgen war es noch still in den Räumen und im Hof der dunklen Burg des Großkönigs von Carapuhr. Als er an der Küche vorüberging, hörte er dahinter leise die Köche, die das Frühstück vorbereiteten.

      Wexmell verzichtete wie jeden Morgen darauf. Später, wenn er wieder zurückkam, würde er eine Schale warme Ziegenmilch trinken, aber so kurz nach dem Aufstehen war seinem Magen noch nicht danach, etwas aufzunehmen.

      Wie erwartet fand er die königlichen Ställe verlassen vor. Bis auf die Pferde und die schnarchenden Wachen, an denen er sich vorbei schlich, weil er die Männer nicht wecken wollte.

      Er schmunzelte über sie. Wenn Melecay diese Nachlässigkeit bemerkte, würde er sicherlich toben. Weshalb Wexmell dem Großkönig nichts davon erzählen wollte. Aber er würde den Wachen wohl beim nächsten Antreffen raten, sich zusammenzunehmen. Keiner wusste besser als er, dass jeder Zeit mit Attentätern zu rechnen war.

      Wexmells Schritte waren leise, während er die Stallgasse abging. Er öffnete das Tor der neu erbauten Erweiterung und blickte vom Stall aus auf weitläufige Weiden. Das Gras stand hoch und leuchtete saftig grün in der Morgenröte. Über den sanften Hügeln lag etwas Dunst, wie es Carapuhr nach der Nacht eigen war. Die Morgensonne traf auf sein Gesicht, sie warf den Schatten seiner schlanken Gestalt auf den gepflasterten Boden der Gasse. Die Pferde hoben ihre müden Köpfe, einige scharrten mit den Hufen, drängten nervös nach dem Frühstück oder dem Auslauf auf der Weide.

      Wexmell wandte sich von dem idyllischen Anblick des Morgennebels ab, der über den Weiden hing, und holte aus einer Kammer seinen eigens für ihn angefertigten Sattel und das Zaumzeug.

      Beides legte er vor der Tür seines weißen Hengstes ab. Das Tier war schon wach. Erwartungsvoll hob es den Kopf über die Stalltür und schnaubte Wexmell ins Haar, als wollte es sagen: »Da bist du ja endlich, ich warte schon seit Stunden.«

      »Guten Morgen, mein Hübscher!«, verwendete Wexmell die Begrüßung, mit der auch Desiderius seinen Wanderer jeden Morgen begrüßt hatte. Er hob den Arm und strich dem ungestümen Hengst über die breite Stirn, fegte ihm das weiße Haar zur Seite. »Na, bereit für den Ausritt?«

      Karic legt seine weichen Nüstern an Wexmells Gesicht und schnaubte ihn erneut an.

      Wexmell lachte leise und öffnete die Tür zum Stall.

      Lange hatte Wexmell überlegt, wessen Namen er seinem Hengst geben konnte. Für einen Moment hatte er natürlich mit der Vorstellung geliebäugelt, ihn Desiderius zu taufen. Doch das hätte er nicht übers Herz gebracht. Jedes Mal, wenn er das Tier gesehen hätte, hätte es ihn nur an die Leere in seinem Herzen erinnert.

      Dann war ihm sein geliebter Bruder eingefallen. Wexmell hatte natürlich all seine Geschwister geliebt, aber er und Karic hatten doch eine ganz besondere Beziehung zueinander gehabt. Der älteste und der jüngste Sohn des Königs, sie waren unzertrennlich gewesen. Sie hatten immer ihre Späße untereinander getrieben, hatten anderen Streiche gespielt, waren ein Herz und eine Seele gewesen, bevor Karic sich mit Silva verlobte, und Wexmell nur noch Augen für Desiderius hatte. Wexmell hatte Karic immer vertraut, ihm wegen seines großen Selbstbewusstsein und seiner leichten Arroganz geliebt.

      Eigenschaften, die auch dieser wilde, ungestüme Hengst zeigte. Selbstvertrauen und Eigenwille. So war Wexmell die Entscheidung letztlich nicht schwergefallen.

      Als Wexmell in den Stall trat, senkte der Hengst den Kopf und stupste ihn leicht an, forderte Zuneigung und Streicheleinheiten. Wexmell schlang wie jeden Morgen die Arme um den großen Kopf, dessen Stirn sich an seine Brust drückte, und legte das Gesicht an die weiche Mähne seines Pferdes. Für einen Moment genoss er den Trost, dem ihm das Tier jeden Morgen schenkte, als spürte es, dass jeder weitere Tag ohne Desiderius für Wexmell unerträglich war.

      Er machte sich los, um Karic zu striegeln, zu satteln und aufzuzäumen. Schließlich führte er das Tier aus dem Stall, holte noch Bogen und einen gefüllten Köcher aus einer Kammer, und ritt aus dem Burgtor, noch bevor die Königsfamilie in ihren Betten erwachte.

      Er spürte nicht, dass ihn argwöhnische Blicke von der Mauer aus folgten.

      Das wahrscheinlich schönste am wilden Carapuhr war, dass man nicht lange reiten musste, um der Zivilisation zu entfliehen. Unweit der königlichen Burg entfernt, konnte Wexmell auf Karics Rücken in einem tiefen Tannenwald verschwinden. Auch hier lag der Dunst noch dicht über dem Boden, wie an einem frühen Herbstmorgen, dabei war es längst Sommer in Carapuhr.

      Kaum hatte er den bekannten Trampelpfad erreicht, der auf eine Hügellichtung hinaufführte, trieb er Karic in den Galopp. Wexmell fiel in den Schwung der Gangart ein. Karic hatte einen sanften Galopp, geschmeidig, Wexmell wurde im Sattel leicht vor und zurück gewogen, wie ein Kind in der Wiege. Er spannte den Oberkörper an, ließ die Zügel etwas lockerer und gab Karic mehr Freiheiten.

      Der Hengst nahm sie sich sofort und wurde schneller, etwas ungestümer. Dankbar galoppierte er den schmalen Pfad durch den Wald entlang, nahm mit Freuden jedes Bisschen Freiheit, die Wexmell ihm gewährte.

      Reiter und Tier liebten die frühmorgendlichen Ausritte, so still, so einsam, so unendlich frei.

      Oben auf dem Hügel angekommen hielt Wexmell im hohen Gras an und stieg ab. Er führte Karic an einen einsamen Baum, der am Rande der sanften Absteige stand, getrennt von all den anderen Bäumen, die die Lichtung umrandeten.

      Wexmell musste Karic anbinden, so leid es ihm tat, denn der Hengst war nun mal nicht Wanderer. Wanderer hatte immer freilaufen können, er wäre nie von Desiderius‘ Seite gewichen. Er war wie ein treuer Hund gewesen, mehr Freund als Reittier.

      Oh ihr grausamen Götter, selbst das Pferd seines Geliebten hatten sie ihm genommen. Was hätte Wexmell nicht alles dafür gegeben, wenigstens den Hengst wieder herbeirufen zu können, doch keiner konnte sich erklären, wohin das Tier verschwunden war. Es ist in jener Nacht davongelaufen, in der sie überfallen worden waren. Vielleicht hatten Rahffs Männer den Hengst sogar mitgenommen.

      Wexmell band die Zügel um den Baumstamm, ließ Karic aber genügend Raum, damit er den Kopf senken und grasen konnte. Dann nahm er Pfeil und Bogen und stakste in den Wald.

      Es dauerte nicht lange, bis er das erste Tier im Blick hatte.

      In geduckter Haltung schlich er näher heran, den Pfeil locker in den Bogen gelegt, aber noch nicht gespannt. Zunächst hielt er den braunen Fellrücken für eines von Carapuhrs absurd großen Eichhörnchen, doch dann stellte es sich als Kaninchen heraus.

      Für einen Moment stockte Wexmell, nicht wissend, was er jetzt tun sollte. Desiderius hatte ihm einst die rührende Geschichte darüber erzählt, weshalb er keine Kaninchen jagte und aß. Genau jene Geschichte kam ihm wieder in den Sinn. Jene Geschichte, und all die anderen, die sie sich damals an dem Fluss erzählt hatten, bevor sie sich im Schutz der hohen Gräser geliebt hatten. Damals,

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