Rassistische Polizeigewalt und Diskriminierung in den USA. Michael Miller
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Die Armut und Segregation in den USA
Auch wenn für viele Außenstehende die Gewalt überraschend kam, für viele afroamerikanische Bewohner waren die gewaltsamen Krawalle nur ein Ventil über die nun unbändige Wut gegenüber weißer diskriminierender Unterdrückung der schwarzen Mehrheit in Ferguson. Die US-amerikanische Öffentlichkeit ist am nächsten Morgen erschüttert. Schnell werden Erinnerungen der letzten Rassenunruhen von 1991 nach dem Rodney King Fall wach, die vielen Menschen das Leben kosteten und etliche Großfeuer hunderte Gebäude in Los Angeles zerstörten oder beschädigten. Damals war das Heartland, der Mittlere Westen der USA, von Unruhen weitestgehend verschont geblieben. Auch während der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre blieben St. Louis und die umliegenden Gemeinden ruhig.
In der heutigen Zeit hat St. Louis, eine knapp 320.000 Einwohner großen Stadt, sowie ihre umliegenden Gemeinden noch immer mit der Immobilienkrise zu kämpfen. Eine Stadtflucht der Bewohner aus St. Louis in die Vororte lässt die Immobilienpreise in einigen Vierteln von Ferguson sogar wieder steigen und auch die Zwangsversteigerungen von Immobilien sind rückläufig. Doch profitieren davon zumeist nur die Siedlungen der überwiegend weißen Bewohner. Die Jobs kommen nach der Wirtschaftskrise nur sehr langsam nach St. Louis und Umgebung zurück. In Ferguson entstanden in den letzten Jahren viele neue Geschäfte, darunter Bars, Restaurants und Bekleidungsgeschäfte. Der Optimismus, die Krise endlich hinter sich gelassen zu haben, steckte die meisten Bewohner von Ferguson an. Doch im Vergleich zur größeren Stadt St. Louis liegen die Durchschnittseinkommen weit auseinander. Lag das durchschnittliche Familieneinkommen in St. Louis 2012 bei 75.000 US-Dollar, lag es im selben Jahr in Ferguson nur bei 44.000 US-Dollar. Nach der letzten Volkszählung dümpelte die Arbeitslosigkeit in Ferguson bei rund 20 Prozent, während sie im gesamten Bundesstaat Missouri bei 10,7 Prozent lag.
Sehr deutlich werden solche Zahlen, wenn Armutsberichte der US-Regierung veröffentlicht werden. Demnach leben über 45 Prozent der afroamerikanischen Kinder in Missouri in Armut. Eine solch hohe Rate, die fast jedes zweite schwarze Kind betrifft, ist für Missouri, wie auch für die restlichen USA eine blamierende Tatsache. In der Schule fallen diese Kinder später ebenfalls aus dem Raster, wie eine US-Studie belegt. Unter den mehr als 16.200 landesweiten Schulsuspensionen sind fast 6.200 schwarze Kinder, obwohl sie prozentual einen geringeren Bevölkerungsanteil ausmachen. Erschreckend kommt hinzu, dass rund 30 Prozent aller afroamerikanischen Schüler im Laufe ihres Lebens verhaftet werden. Selbst während des Studiums machen afroamerikanische Studenten rund 27 Prozent aller Verhaftungen auf dem Campus aus, obwohl sie nur 16 Prozent der Studentenschaft darstellen. Viele gehen direkt durch kriminelle Taten von der Schulbank in den Strafvollzug. Für eine Wirtschaftsmacht wie den USA ist das ein extrem kostspieliger Faktor. Experten warnen seit Jahren, dass dadurch kriminelle Karrieren geschaffen werden, aus denen es später kein Entkommen gibt. Hilfsangebote für Ex-Häftlinge und Aussteigerprogramme für Kriminelle sind in den USA rar. Einen Schulabschluss schafft nur rund die Hälfte aller afroamerikanischen Schüler in Ferguson. Landesweit sind es 52 Prozent, während es in Missouri sogar 56 Prozent sind. Diese erstaunlich hohe Anzahl an jungen Bürgern ohne Schulabschluss kostet dem US-amerikanischen Staat später in Form von sozialstaatlichen Transferleistungen viel mehr, als notwendige Investitionen in die Verbesserung von Bildungsmöglichkeiten.
Die Armut in Ferguson ist allgegenwärtig. Die Schulen im Bezirk sind unterfinanziert und haben einen schlechten Ruf. Ein geplanter Zusammenschluss von vier Schulbezirken soll Schulschließungen aufgrund hoher Finanzmangel verhindern. Doch das in der Verfassung verbriefte Recht auf Bildung wird am Beispiel Ferguson nur schwer umgesetzt. In den mehrheitlich afroamerikanischen Gemeinden fehlt es an Lehrern und Sozialarbeitern. Die Ausstattung der Schulen grenzt an absoluter Sparsamkeit und die Instandhaltung wird auf das Nötigste heruntergefahren. Von klein auf haben die afroamerikanischen Kinder einen Nachteil zu erdulden, der ihnen im späteren Leben weitere Nachteile auf dem Arbeitsmarkt einbringen wird. Ohne grundlegende Bildung fehlt es den zukünftigen Erwachsenen an Jobchancen und sozialem Aufstieg.
Eine Ungleichbehandlung fängt schon in der Finanzierung der Schulen an. In Missouri gibt es unterfinanzierte Schulbezirke, die pro Schüler mit knapp 6.400 US-Dollar auskommen müssen, während wohlhabendere Schulbezirke das Dreifache des Budgets, nämlich knapp 19.000 US-Dollar pro Schüler, verwenden können. Auch die Lehrer erhalten in den Schulbezirken unterschiedliche Gehälter, sodass reichere Schulbezirke eine bessere Auswahl an Lehrerbewerbungen haben. Die Leistungsstärke der Schüler spiegelt sich klar in der finanziellen Ausstattung der Schulen wider.
Michael Brown ging in einem der schlechtesten Schulbezirke von Missouri zur Schule. Rund 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen erhalten staatliche Unterstützungen, wie in Form von kostenlosem Mittagessen. Es ist ein Grundfehler im US-amerikanischen Bildungssystem, dass gerade die Armenviertel die wenigsten finanziellen Zuwendungen erhalten. Die soziale Ungleichheit wird damit von Grund auf in der Gesellschaft fest zementiert.
Schwarze Bewohner profitieren von den wirtschaftlichen Aufschwüngen ihres Landes nicht mehr. Das Wirtschaftswunder unter dem damaligen Präsidenten Bill Clinton kam bei den Armen größtenteils nicht an. Es machte nur die wohlhabender, die schon gut bezahlte Jobs hatten, auch unter den Schwarzen. Der Unterschied im Vermögensaufbau zwischen Weißen und Schwarzen wird in den mittleren Haushaltseinkommen zudem sehr deutlich. Weiße US-Bürger verdienten 2014 in den gesamten USA durchschnittlich rund 59.000 US-Dollar, während Afroamerikaner nur knapp 30.500 US-Dollar verdienten. Schwarze Familien leben mit einem Anteil von 30,6 Prozent viel häufiger in Armut als weiße Familien mit 9,2 Prozent. Sie beziehen auch häufiger Sozialhilfe und Lebensmittelmarken als weiße Familien. Auch die Kindersterblichkeit ist unter afroamerikanischen Kleinkindern um 3,6-mal höher als bei weißen Kindern. Das liegt vor allem an der schlechten und teuren Gesundheitsversorgung in den USA, die Obama in seiner zweiten Präsidentschaftszeit mit seiner Gesundheitsreform verbessern wollte. Denn gerade die schlechter verdienenden Afroamerikaner haben zumeist keinen Versicherungsschutz, wie sie zumeist besser bezahlte Jobs haben. Die Diskussion um Polizeigewalt und Rassismus in den USA dreht sich zunehmend auch um Themen, wie Wohlstandskluft, Bildung und Diskriminierung auf den lokalen Arbeitsmärkten. Afroamerikanische Bürgerrechtler fordern schon länger einen verbesserten Zugang zu besser bezahlten Jobs, die durch Diskriminierung den qualifizierten Afroamerikanern vorenthalten sein sollen.
Die Teilung der USA in einen wohlhabenden weißen und einen armen schwarzen Bevölkerungsanteil wurde schon von einer Kommission im Jahr 1968 befürchtet. Der von der „Kerner Kommission“ veröffentlichte und viel Aufmerksamkeit erzeugende Bericht warnte vor einer „permanenten Teilung unseres Landes in zwei Gesellschaften“. Darin würde sich der afroamerikanische Bevölkerungsanteil von seiner größtenteils prekären finanziellen Situation nicht selbst befreien können und Generationen von Sozialhilfeempfängern den Weg ebnen. Schon in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts war eine wirtschaftliche Segregation zwischen beiden Bevölkerungsanteilen deutlich zu erkennen gewesen, auch wenn die bürgerlichen Rechte stückweise bei den Afroamerikanern verbessert wurden. In den Ballungszentren der USA wurde in den letzten Jahrzehnten laut dem Pew Research Center die Lücke zwischen den Einkommen von Armen und Reichen immer größer. Dieser Trend hat sich auch in der Trennung der Wohnverhältnisse widergespiegelt. Heute gibt es mehr Stadtviertel und