Rassistische Polizeigewalt und Diskriminierung in den USA. Michael Miller
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Viele Afroamerikaner haben im Freundeskreis oder in der Familie von Fällen zu berichten, in denen Schwarze auf den Boden geworfen, teilweise mit Tasern attackiert und festgenommen wurden, nur aufgrund der Frage nach dem Grund der Kontrolle. Schläge und Tritte sind auch nach der Verhaftung durch Polizeibeamte keine Seltenheit. Es ist ein hohes Maß an Gewalt durch Polizeibeamte dokumentiert. Beschwerden und Klagen gegen Polizeibeamte häufen sich seit Jahren. Strafrechtliche Ermittlungen müssen die Polizisten jedoch oftmals nicht fürchten. Vielmehr erhält der Unbescholtene eine Strafermittlung wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und es droht ein hohes Bußgeld.
Schwarze Fahrradfahrer werden häufiger als weißer Radler durch die Polizei angehalten und darauf geprüft, ob das Fahrrad als gestohlen gemeldet wurde. Schwarze Jugendliche werden von weißen Polizisten mehr dem kriminellen Spektrum zugeordnet als weiße Jugendliche. Und so tritt die Polizei in den schwarzen Siedlungen auf, als befände sie sich in einem feindlichen Gebiet. Eine Zusammenarbeit mit der Polizei findet in den Sozialbausiedlungen daher häufig nicht statt. Bei den sogenannten „drive by shootings“, also dem Schießen aus fahrenden Autos heraus auf verfeindete Gangmitglieder, Passanten oder Gebäuden, fehlt es oftmals an Zeugen, die ihre Aussage der Polizei geben wollen, obwohl die Tat auf einer belebten Straße passiert sein könnte.
Während weiße Bewohner auch in Armenvierteln eine Kontrolle durch die Polizei seltener fürchten müssen, werden schwarze Bewohner proportional häufiger einer Kontrolle unterzogen. Bekannt ist diese Ungleichbehandlung als „white privilege“, die auch eine Ignoranz oder Unwissenheit der weißen Bevölkerung gegenüber der alltäglichen diskriminierenden Behandlung der Schwarzen beschreibt. Weiße Eltern müssen sich weniger Sorgen um ihre Kinder machen, als dass diese von weißen Polizisten erschossen werden könnten. Das für Weiße hochgelobte verfassungsmäßige Recht auf Waffenbesitz könnte für einen Afroamerikaner bei einer Polizeikontrolle einem Todesurteil gleich kommen. Denn das „death by cop“ wird oftmals aufgrund einer vermeintlichen Waffe erklärt, die bei einem Verdächtigen gesehen wurde. Verbalattacken von weißen Polizisten bei Straßenkontrollen sind für Schwarze ebenso alltäglich wie das Stoppen von afroamerikanischen Joggern auf der Straße, die als verdächtig gelten, weil sie vor etwas wegzulaufen scheinen. Das tief verwurzelte Unrecht lässt viele Afroamerikaner verzweifeln. Und jedes Mal, wenn über einen weiteren schwarzen Toten durch einen Polizeieinsatz in den Medien berichtet wird, wächst die Wut der afroamerikanischen Gemeinschaft und spaltet die USA wieder ein bisschen mehr.
Die Zahlen und Statistiken malen ein düsteres Bild für ein Land, das sich als „god's own country“ bezeichnet. Obwohl die Gesamtbevölkerung der Afroamerikaner nur bei rund 12,6 Prozent liegt, sind fast 40 Prozent der Gefängnisinsassen Schwarze. Fast jedes zweite Mordopfer gehört zur Bevölkerungsgruppe der Afroamerikaner. Allein im Staatsgefängnis von St. Louis sind von insgesamt 4.713 Insassen nur 598 Weiße, aber 4.083 Schwarze und dass bei einem afroamerikanischen Bevölkerungsanteil von 49 Prozent für St. Louis. Im Jahr 2012 und 2013 waren in der Stadt 94 Angeklagte wegen Mordes Schwarze und nur zwei waren Weiße.
Tötungen durch Polizisten passieren vornehmlich in kriminellen Schwerpunktgebieten. Der Schusswaffengebrauch durch Polizisten liegt hier deutlich über dem US-amerikanischen Durchschnitt. Experten gehen davon aus, dass Polizeigewalt nicht nur vornehmlich auf eine bestimmte Hautfarbe abzielt, sondern in Gemeinden, deren Bewohner hauptsächlich dem kriminellen Milieu zugeordnet werden. Gerade in Armenvierteln mit einer hohen Kriminalitätsrate ist das Verhältnis zwischen Polizisten und Anwohnern zerrüttet, teilweise sogar irreparabel beschädigt, sodass eine Kooperation zwischen beiden Seiten nicht mehr möglich ist. Eine Polizeistudie aus Philadelphia zwischen den Jahren 1970 und 1990 lässt zudem erkennen, dass erst der Einsatz von Deeskalationskursen für Polizisten und die Ausweitung der Sozialarbeit in den Armenvierteln, die Schusswaffenbenutzung durch Polizisten deutlich sinken ließ.
Befördert hat die Diskussion über alltägliche Diskriminierung der Schwarzen auch die Tatsache, dass zwar mehr als die Hälfte der Bewohner von Ferguson Afroamerikaner, aber nur drei der 53 Polizeibeamten schwarz sind. Der Bürgermeister, der Polizeichef, die Feuerwehr und fünf der sechs Mitglieder des Stadtrates sind Weiße. Die Proteste richten sich auch gegen eine weiße Elite, die selbst dort das Sagen hat, wo die Afroamerikaner klar in der Mehrheit sind. Polizeichef Thomas Jackson gibt nach den tödlichen Schüssen seines Polizeibeamten zwar bekannt, dass die Polizei auch vielfältiger werden muss. Sagt aber zugleich aus, dass jede Kontrolle eines Passanten „einem begründeten Verdacht oder einer anderen wahrscheinlichen Ursache“ entspringen muss. „Das sind die Regeln. Sie können die Bewohner anhalten und mit ihnen sprechen“, führt Jackson fort. Eine diskriminierende Nutzung des „stop and frisk“ Programms sieht er nicht.
Dass das Ansehen der Polizei in den USA schon in der jüngeren Vergangenheit nicht immer das Beste war, geben die Korruptionsberichte aus den 1970er Jahren wieder. Öffentliche Berichte über Bestechungsgelder aus den Abteilungen der Betäubungsmittelbekämpfung geben ein gutes Bild über strukturierte Korruption einzelner Polizeidienststellen wieder. Aussagen ehemaliger Polizisten brachten Skandale zu Tage und beschädigten das Bild über die Strafverfolgungsbehörden nachhaltig. Als Grund für die schwere Korruption waren nicht nur die finanziellen Probleme einzelner Polizeibeamte, sondern die gelebte eigene Subkultur der Cops in den USA. Die Skandale, die nachträglich auch durch weltbekannte Kinofilme medial verarbeitet wurden, förderten einen eigenen Verhaltenskodex zu Tage, der stark an ein Schweigegelübde der italoamerikanischen Mafia erinnert, in dem Aussagen gegen Polizeikollegen in jedweder Hinsicht nicht zu tolerieren sind. So werden auch Aussagen gegen Kollegen verweigert, die exzessive Gewalt angewendet und offensichtliches Unrecht begangen haben. Als das „blaue Gesetz des Schweigens“ bekannt, wird dieses unausgesprochene Gesetz unter Polizisten, keinen Ihresgleichen zu verpfeifen und Aussagen den Ermittlern gegenüber zugunsten des Angeklagten zu verfälschen, seit Jahrzehnten praktiziert.
Zudem ist die Rechenschaftspflicht bei US-Polizisten sehr unterentwickelt. Oftmals füllen die betroffenen Beamten selbst den Rechenschaftsbericht aus, ohne dass ein weiterer Beamter als neutrale Instanz entscheidet, ob Ermittlungen oder Disziplinarstrafen auferlegt werden sollten. Den Polizisten wird somit strukturell die Verantwortlichkeit ihres Handelns übertragen, ohne dass sie bei kleineren bis mittelschweren Vergehen Konsequenzen zu befürchten haben. Nicht wenige Polizisten fühlen sich mit dieser Kombination aus fehlender Verantwortlichkeit und mangelnden Sanktionen unangreifbar. Dieses Gefühl trägt zur Ausübung von unverhältnismäßiger Gewalt maßgeblich bei. Die eigene Aussage des Polizeibeamten genügt zumeist, die Benutzung der Dienstwaffe auch bei tödlichem Ausgang zu erklären und womögliches Unrecht zu verschleiern. Mit dem Hauptargument, das eigene Leben zu schützen, kann der Verdächtige zumeist ohne rechtliche Konsequenzen erschossen werden. In den überwiegenden Fällen wurden in der Vergangenheit Polizisten aufgrund ihrer alleinigen Aussagen und trotz weiterer gegenteiliger Zeugenaussagen vor Gericht freigesprochen. Es reichte hierbei oftmals schon aus, dass der Erschossene eine kriminelle Vergangenheit hatte. Den Polizisten wird vor Gericht auch mehr Glauben geschenkt als den Aussagen von Zeugen, weil sie gerade unter der weißen Bevölkerungsmehrheit