Rassistische Polizeigewalt und Diskriminierung in den USA. Michael Miller
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Angeklagte Polizisten erhalten durch ihre mächtigen Polizeigewerkschaften zugleich große Unterstützung, die die jeweiligen Staatsanwälte, die zumeist periodisch gewählt werden, in ihren Ermittlungen inoffiziell unter Druck setzen können. Ermittlungen gegen einzelne Polizeibeamte oder gegen eine gesamte Dienststelle können daher nicht auf lokaler Ebene erfolgen, sondern nur durch eine unabhängige Bundesstelle. Hunderttausende Fälle werden so ohne Anklagen oder Strafen eingestellt. Ein Gefühl der Ungerechtigkeit in der Bevölkerung findet somit schleichend Einhalt. Oft verhindern die engen Strukturen zwischen dem lokalen Stadtrat, dem Staatsanwalt und der Polizeigewerkschaft jegliche Ermittlungsarbeit von vornherein. Das Interesse gegen einzelne Polizeibeamte vorzugehen sinkt rapide, wenn eine Seite Nachteile, wie ein Imageverlust, befürchten muss.
In der aufgeladenen Situation in Ferguson wird eine Entscheidung der Ermittlungsbehörden, Anklage gegen den Polizeischützen zu erheben, auch als ein politisches Statement verklärt. Sollte es zu einer Anklage kommen, werden die Polizeibefürworter eine politische Intrige vermuten, die wie im anderen großen, politisch heiklen Fall von OJ Simpson von „oben herab“ diktiert wurde. Damals sprachen die Beweise eher gegen den ehemaligen Footballstar OJ Simpson 1995 in Kalifornien im Mordfall seiner Ex-Frau Nicole Brown Simpson und ihrem Freund Ronald Goldman. OJ Simpson wurde am Ende freigesprochen und löste eine heftige Debatte um Minderheitenschutz aus. Auch damals befürchteten kalifornische Polizeidienststellen gewaltsame Rassenunruhen bei einem Schuldspruch. Sollte im Gegensatz jedoch der Polizeischütze von Ferguson durch die Ermittlungsbehörden nicht angeklagt werden, wird auch dieses Urteil von den meisten Afroamerikanern als ungerecht empfunden werden. Einen Ausbruch von gewaltsamen Protesten würde dann erwartet werden.
Die Rassenspannungen im St. Louis County sind nicht erst seit dem Fall Michael Brown zu spüren. In der Nachbargemeinde Kirkwood ist es am 7. Februar 2008 zu einem Amoklauf eines Afroamerikaners im Rathaus gekommen. Der Schütze Charles „Cookie“ Thornton erschoss damals fünf weiße Beamte aus Hass. Kirkwood ist eine wohlhabende und mit fast 80 Prozent eine vornehmlich weiße Gemeinde. Das durchschnittliche Jahreseinkommen in Kirkwood liegt mit 73.000 US-Dollar rund doppelt so hoch wie in Ferguson. Das hohe soziale Gefälle erzeugt Spannungen zwischen den Bewohnern, die sich in unregelmäßigen Abständen in Gewalttaten entladen.
Und regelmäßig werden Tötungsdelikte durch Polizeieinsätze in den Medien bekannt. Wenige Woche vor der Erschießung Michael Browns kam es ebenfalls zu einer Erschießung eines unbewaffneten Schwarzen durch einen Polizisten im Nachbarort von Ferguson, Bel-Ridge. Am 5. Juli wurde Christopher Maurice Jones erschossen, der zuvor vor einer Verkehrskontrolle auf der Interstate 70 flüchtete und mit seinem Auto 114 Meilen die Stunde über die Autobahn raste. An einer Ausfahrt verlor er die Kontrolle über sein Fahrzeug und flüchtete anschließend zu Fuß. Jones war schwerer und größer als der ihm ebenfalls zu Fuß verfolgende Polizist und widersetzte sich seiner Verhaftung. Nachdem Jones sich an den Hosenbund am Rücken gefasst haben soll, vermutete der Polizist das Ziehen einer Waffe und erschoss Jones sofort. Zeugen oder Überwachungsvideos vom Vorfall gibt es nicht.
Einen traurigen Fall von massiven polizeilichen Fehlverhalten hatte die Stadt Ferguson am 20. September 2009 zu verkraften. Der Afroamerikaner Henry Davis, damals 52 Jahre alt, wurde nachts in Ferguson wegen eines angeblichen Haftbefehls von der Polizei angehalten und verhaftet. Auf der Polizeidienststelle stellte sich jedoch ein Irrtum heraus, weil Davis viel kleiner und einen anderen Zweitnamen besaß. Dennoch misshandelten ihn vier weiße Polizisten auf der Wache. Sie schleiften ihn in Handschellen in eine Zelle und traten und schlugen auch dann auf ihn ein, als er am Boden lag. Nachdem sie ihn aufgerichtet hatten, trat ein Polizist mit voller Wucht gegen seinen Kopf und verursachte eine starke massive Blutung. Im Krankenhaus wurden die behandelnden Ärzte angewiesen, keine Fotos von den Verletzungen Davis zu machen. Im Untersuchungsbericht vermerkten die Polizisten, dass Davis mit dem Kopf gegen eine Wand gefallen sei. Zu aller Boshaftigkeit erhielt Davis nach einigen Wochen nach der Tat einen Strafbescheid, der wegen Sachbeschädigung in der Polizeiwache ausgestellt worden war. Als knappe Begründung wurde „wissentliches Bluten auf mehrere Dienstuniformen“ angegeben. Die 30.000 US-Dollar Schäden an den Dienstuniformen sollte Davis selbst bezahlen. Davis geht bis heute gegen den Strafbescheid gerichtlich vor. Ihm plagen bis heute Depressionen und Angstattacken. Den vier Polizeibeamten glückte ihre Vertuschungsaktion, bis heute sind sie nicht angeklagt oder verurteilt worden.
Nur wenige Wochen vor der Erschießung von Michael Brown ereignete sich eine brutale Tat eines Polizisten in Los Angeles am 1. Juli 2014. Während eines Staus zur Rushhour-Zeit auf dem Santa Monica Freeway geht eine Frau den grünen Mittelstreifen in Socken entlang. Die Afroamerikanerin Marlene Pinnock, 51 Jahre alt, machte zu diesem Zeitpunkt einen verwirrten Eindruck. Ein Polizist fängt sie ab, es kommt zu einer kleinen Handgreiflichkeit zwischen beiden. Die Frau will weiter gehen und wird vom Polizisten zu Boden gerissen. Als er auf sie kniet, schlägt er mit seinen behandschuhten Fäusten auf sie mehrfach heftig ein. Erst ein herbeigeeilter zweiter Polizist kann ihn von weiteren Schlägen abhalten. Die Tat wurde von einem Autofahrer mit dem Handy aufgenommen, der im Stau mit hunderten anderen Autofahrern feststeckte. Zeugen vom Vorfall gab es viele. Der Aufschrei der Bürgerrechtler war in den USA groß. Denn schon wieder war das Opfer schwarz und der Polizist weiß. Die Medien verbreiteten den Clip in den Hauptnachrichten stündlich. Über die sozialen Medien wurde er endlos an Freunde und Bekannte verschickt. Der Polizist wurde vom Dienst suspendiert. Nach einer Mediationssitzung und einer Ausgleichszahlung von 1,5 Millionen US-Dollar an Marlene Pinnock, quittierte der betroffene Polizist seinen Dienst bei der Polizei.
Nur sehr wenige Fälle schaffen es überhaupt in die Schlagzeilen und noch weniger werden landesweit bekannt. Der Fall vom 17-jährigen Trayvon Martin brachte Ende Februar 2012 eine breite und langanhaltende Debatte über Rassismus in den USA in Gang. Es gab friedliche Demonstrationen und Protestveranstaltungen im ganzen Land, auch als der Schütze, der selbstberufene Nachbarschaftswächter George Zimmerman, freigesprochen wurde. Zimmerman gab an, in Notwehr geschossen zu haben und dass es zuvor zu einen Kampf mit dem unbewaffneten Trayvon Martin gekommen sein soll.
Auch wenn die Fälle sich unterscheiden, Brown wurde von einem Polizisten erschossen, Martin von einem privaten Nachbarschaftswächter, sind es vornehmlich afroamerikanische Jugendliche und junge Männer, die auf gewaltsamen Weg aus dem Leben scheiden. Und fast allen ist anzumerken, dass sie vorab durch ein diskriminierendes Profiling ausgewählt wurden. Bei Martin war es szenetypische Kleidung, die Zimmerman vermuten ließ, dass es sich um geklaute Waren handelte, die der Jugendliche bei sich trug. Martin hatte sie jedoch zuvor in einem Geschäft gekauft.
Alle Fälle zusammen ergeben ein Bild eines vorurteilsbeladenen Zusammenlebens differenzierter Bevölkerungsteile in den USA. Und die Unglücke scheinen kein Ende zu nehmen. Der afroamerikanische Bürgermeister von Newark, Ras Baraka, sagte nach dem Freispruch des Schützen George Zimmerman, dass dieses Ergebnis „das System der Jim-Crow-Justiz“ ist, welches „dem Mörder von Trayvon Martin in die Freiheit entlässt“. Die „Jim Crow“-Gesetze waren für die Rassentrennung bis in die 1960er Jahre verantwortlich und sollten nach ihrer Aufhebung keine Rolle mehr im US-amerikanischen Leben spielen. „Sie sagen, Jim Crow sei tot. Aber ich sage, Eric Garner ist tot“, sagte Baraka damals sichtlich wütend. Der Afroamerikaner Eric Garner wurde durch einen Polizisten in New York wenige Tage nach der Verkündung des Geschworenenurteils im Fall Martin während einer misslungenen Festnahme getötet.
Die Konflikte zwischen der Polizei und den