Rassistische Polizeigewalt und Diskriminierung in den USA. Michael Miller
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Die Unruhen in Ferguson sind nicht die ersten seit einer langen Pause friedlichen Zusammenlebens der Ethnien. In Cincinnati brachen 2001 gewaltsame Proteste aus, als ein weißer Cop einen schwarzen unbewaffneten Jugendlichen erschossen hatte. In Anaheim in Kalifornien brachen 2012 ebenfalls über mehrere Tage gewaltsame Unruhen nach einem ähnlichen Fall aus. In der Stadt Albuquerque in New Mexiko brachen sogar Unruhen in diesem Frühjahr aus. Die größten Unruhen mit insgesamt 52 Toten und rund 1.000 ausgebrannten oder stark beschädigten Gebäuden waren 1992 in Los Angeles. Der Fall Rodney King, der von mehreren Polizisten zusammengeschlagen wurde und ein Beweisvideo in den Nachrichten die afroamerikanische Community erzürnte, war seit der großen Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre der größte nationale Aufschrei wegen Rassismus. Verbessert hat sich seit 1992 für die Schwarzen in den USA jedoch nicht viel.
Die Demonstrationen in Ferguson verlaufen tagsüber am Dienstag relativ ruhig ab. Mehrere Personen skandieren vor der Polizeistation, die als Schwerpunkt der Krawalle gilt: „Hey hey, ho ho, killer cops have to go!” Die große mediale Berichterstattung über die Krawalle sowie die zunehmende Debatte um Polizeigewalt, lassen die Waffenverkäufe in den USA sprunghaft ansteigen. Meist nach blutigen Amokläufen oder der Androhung einer Waffenrechtsverschärfung steigen die Schusswaffenverkäufe rapide an. Die neuerlichen Gewaltausbrüche in Ferguson lassen in St. Louis und Umgebung die Bewohner ihre privaten Bestände auffüllen. Die überwiegenden Angstkäufe werden von Bewohnern von überwiegend weißen Wohngebieten getätigt, die ihr Eigentum vor den Randalierern schützen wollen. Doch die Krawalle in Ferguson zeichnen sich hauptsächlich in den schwarzen Sozialbausiedlungen ab und betreffen die reicheren weißen Viertel der Stadt zumeist nicht.
Am Dienstag gibt US-Präsident Barack Obama eine Erklärung heraus, indem er den Tod des Jugendlichen als „herzzerreißend“ beschreibt. Die First Lady Michelle Obama spricht der Familie Brown ihr Beileid aus. Es ist nicht das erste Mal für Obama, dass er sein Beileid für einen erschossenen schwarzen Jugendlichen ausspricht. Im Februar 2012 musste der Präsident den Tod des afroamerikanischen 17-jährigen Jugendlichen Trayvon Martin beklagen. „Wenn ich einen Sohn hätte, würde er wie Trayvon aussehen“, sagte Obama schließlich im März 2012. Obama stand da schon längst im Fokus der US-amerikanischen Öffentlichkeit zum Thema alltäglichen Rassismus in den USA. Die afroamerikanischen Wähler, die Barack Obama mit großer Mehrheit 2008 gewählt hatten, steckten auch die große Erwartung an ihm, den alltäglichen Rassismus in den USA zu beenden. Zumindest aber die Polizeigewalt gegenüber der schwarzen Minderheit zu stoppen. Angetreten war Obama auch mit dem Versprechen, die USA in einem „grand bargain“ zu einen, doch vielmehr stellen die US-Bürger jetzt fest, dass die USA mehr denn je in unterschiedliche Ethnien gespalten sind. Viel hat sich seit den sechs Jahren seiner Präsidentschaft für die Afroamerikaner nicht verbessert. Im Alltag erzielt die afroamerikanische Minderheit in den USA keinen Vorteil daraus, dass es einen schwarzen Präsidenten gibt. Die Rassentrennung verläuft jetzt unsichtbarer aber nicht weniger schmerzhaft. Die weißen US-Bürger stellen noch immer die Führungsschicht des Landes, während die Afroamerikaner noch immer die schlechtere Bildung, ein geringeres Einkommen und weniger Chancen auf Wohlstand haben. In der sozialen Mobilität hat die stark wachsende Gruppe der Lateinamerikaner die Afroamerikaner schon längst überholt.
Gleich nach dem Einzug ins Weiße Haus hatte Obama das Thema der Hautfarbe keine allzu große Aufmerksamkeit mehr geschenkt. Er möchte nicht seine Präsidentschaft mit dem Thema der Rassengleichheit in die US-Geschichte eingehen. Eine Einwanderungs- sowie eine Waffenrechtsreform scheinen neben seiner Gesundheitsreform die Meilensteine zu sein, mit denen er als Präsident in Erinnerung bleiben möchte. Außer seiner stark umstrittenen und boykottierten Gesundheitsreform, sind alle weiteren Projekte Obamas nicht vollständig umgesetzt worden. Dafür haben ihn die Republikaner mit ihren Blockaden mürbe gemacht.
Die Machtbefugnisse des US-Präsidenten sind allerdings auch stark begrenzt, um Änderungen von oben durchzusetzen. Durch den Föderalismus in den USA fehlt dem US-Präsidenten der Einfluss auf die Justiz und auf die Polizeibehörden in den Bundesstaaten. Obama kann nur mit der Macht des Wortes Änderungen predigen, doch auch hier spricht der Präsident nach Ansicht seiner Wähler zu wenig über Rassismus und Polizeigewalt in den USA. Doch Obama agiert nicht ohne Grund vorsichtig bis zaghaft. Als erster afroamerikanischer Präsident will er sich nicht einseitig einer Ethnie im Land zuordnen lassen und tritt daher für die meisten Schwarzen zu verhalten auf. Wiederholt hatte Obama darauf hingewiesen, dass ein Präsident das gesamte Land repräsentiert. Doch eine schärfere Verurteilung von Ungerechtigkeiten würde seiner Präsidentschaft letztendlich eher stärken, auch wenn eine klare Positionierung von ihm in den letzten Amtsjahren nicht mehr zu erwarten ist. Der soziale Frieden in den USA wird trotz Wahlversprechens von 2008 nicht durch Barack Obama wieder hergestellt werden können.
Mit Stolz kann die Obama-Regierung allerdings verkünden, dass sie seit 2010 rund 11 Millionen Arbeitsplätze geschaffen hat. Seit der Immobilien- und Bankenkrise steht das Land wieder im Aufschwung dar. Doch die wirtschaftliche Erholung geht an der afroamerikanischen Community fast vollständig vorbei. Die durchschnittliche Arbeitslosenquote von Schwarzen liegt rund doppelt so hoch wie die von weißen US-Bürgern und selbst die stark anwachsende Bevölkerungsgruppe der Lateinamerikaner steht deutlich besser auf dem US-Arbeitsmarkt dar. In den finanzschwachen und von Sozialtransfer abhängigen Familien bewohnten Gebieten der USA zementiert die schlechte und unterfinanzierte Schulbildung die Chancenungleichheit auf dem Arbeitsmarkt für Generationen fest. Die USA weisen damit drei große Bevölkerungsgruppen auf, die sich unterschiedlich entwickeln und deren Aussichten auf erwirtschafteten Wohlstand sich stark unterscheiden.
Am Dienstag tritt auch der Bürgerrechtler Al Sharpton in einer Kirche in Ferguson auf und sagt, dass sich der unbewaffnete Michael Brown mit erhobenen Händen ergeben wollte und dennoch von einem weißen Polizisten erschossen wurde. Mehrere Zeugen sagen nun aus, dass Brown die Arme nach oben gerissen habe und er von vorn erschossen worden sei. Sharpton will Antworten für die Familie Brown und für alle Afroamerikaner auf die Frage, warum das Zeichen der Kapitulation vom Polizeischützen ignoriert wurde. Der Reverent macht in der Rede auch klar, dass er nicht nach Ferguson gekommen ist, um neue Gewalt zu schüren, sondern der Familie Brown zu helfen Gerechtigkeit in dieser traurigen Angelegenheit zu finden. Er fordert die Ermittlungsbehörden auf, die Untersuchungen transparent und gründlich vorzunehmen. Während der Rede in der Kirche, die nur wenige Kilometer vom Tatort entfernt steht, sitzen auch hohe Beamten der Stadt bei, wie der Polizeichef von Ferguson, Thomas Jackson.
Unterdessen wird am Dienstag, dem 12. August 2014 von der Federal Aviation Administration (FAA), der Bundesluftfahrtbehörde, bekannt gegeben, dass sie eine temporäre Flugbeschränkung über den Luftraum von Ferguson und Teilen von Nord St. Louis verhängt hat. Als Begründung wird lapidar angegeben, dass eine „sichere Umgebung für die Strafverfolgung“ hergestellt werden soll. Zudem soll auf einen Polizeihubschrauber geschossen worden sein. Kritiker sehen darin jedoch eine Einschränkung der Pressefreiheit, weil TV-Hubschrauber nun ab sofort nicht mehr über die Unruhen in Nord St. Louis berichten können. Die Untersuchungen würden auch grundsätzlich am Boden stattfinden, sodass nach Ansicht der Kritiker auch keine Beeinträchtigung von TV-Hubschraubern vorkommen sollte.
Als Ergänzung zu den lokalen Ermittlungen wird der Justizminister Eric Holder den Fall dem FBI übergeben. Mehrere Bundesbeamte sind schon in Ferguson eingetroffen. Mitglieder des US-Kongresses begrüßen die bundesstaatlichen Ermittlungen. Der Fall betrifft nun die fundamentalen Bürgerrechte der USA und soll nicht allein von einem lokalen Staatsanwalt untersucht werden. Der Justizminister will seinen Kampf für gleiche Bürgerrechte für jeden US-Amerikaner in Ferguson fortsetzen. Zu Beginn seiner Amtszeit vor fünf Jahren machte Holder mit einer Aussage Schlagzeilen, als er die USA in ihrem unrühmlichen Umgang mit den Rassenkonflikten als eine „Nation von Feiglingen“ bezeichnete. Die Bundesüberprüfung auf mögliche Bürgerrechtsverletzungen hat Holder schon 20-mal geführt. Ferguson wird aufgrund der wütenden und gewaltsamen Proteste ein besonderes Ereignis sein, welches er sich genau widmen möchte.
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